31.10.2013 Aufrufe

Kulturtipp - chasaeditura.ch

Kulturtipp - chasaeditura.ch

Kulturtipp - chasaeditura.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

CARTE BLANCHE<br />

Wer ni<strong>ch</strong>t hören will,<br />

muss lesen<br />

Simon Chen über einen puristis<strong>ch</strong>en Radio- und TV-Konsumenten<br />

THEO KÜBLER<br />

Ri<strong>ch</strong>ard war ein dur<strong>ch</strong><br />

und dur<strong>ch</strong> kultivierter<br />

Zeitgenosse, ein intellektueller<br />

Kunstliebhaber,<br />

ein ho<strong>ch</strong>gebildeter<br />

Ästhet, ein S<strong>ch</strong>öngeist, wie er im Bu<strong>ch</strong>e<br />

steht. Kunst und Kultur waren<br />

ihm so unentbehrli<strong>ch</strong> wie anderen<br />

Brot und Spiele. Er<br />

s<strong>ch</strong>welgte in klassis<strong>ch</strong>er Musik,<br />

vertiefte si<strong>ch</strong> in moderne<br />

Kunst und ging in belletristis<strong>ch</strong>er<br />

Literatur auf.<br />

Das Triviale indes vera<strong>ch</strong>tete<br />

der Pensionär. Er verurteilte<br />

alles einfa<strong>ch</strong> Konsumierbare.<br />

Was die Mens<strong>ch</strong>en<br />

vom Tier unters<strong>ch</strong>ied,<br />

so Ri<strong>ch</strong>ards Ansi<strong>ch</strong>t, war das<br />

S<strong>ch</strong>affen oder Geniessen von<br />

wahrer Kunst und ho<strong>ch</strong>stehender<br />

Kultur. Entspre<strong>ch</strong>end stufte<br />

er Film und Fernsehen als primitiv<br />

ein und Fussballer, S<strong>ch</strong>lagersänger<br />

inklusive deren Zus<strong>ch</strong>auer<br />

klassifizierte er als Affen.<br />

Häufig lag der finanziell Unabhängige<br />

in seinem Wohnzimmer<br />

auf der Corbusier-Liege und<br />

laus<strong>ch</strong>te den Berliner<br />

Philharmonikern oder<br />

den Arien einer Callas.<br />

Besu<strong>ch</strong>te er<br />

ein Konzert,<br />

s<strong>ch</strong>loss er<br />

dabei<br />

die Augen, um si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von optis<strong>ch</strong>en<br />

Eindrücken ablenken zu lassen.<br />

Aber vor allen Dingen las Ri<strong>ch</strong>ard.<br />

Die Wände seiner Wohnung waren bis<br />

auf die Aussparungen für Türen und<br />

Fenster von Bü<strong>ch</strong>ern bedeckt. Literatur<br />

war seine Welt, Lesen sein Leben.<br />

Lektüre war Futter, pardon, Nahrung<br />

für seine Fantasie. In seinen Gedanken<br />

wurden die erfundenen Charaktere lebendig,<br />

vor seinem inneren Auge nahmen<br />

die bes<strong>ch</strong>riebenen Lands<strong>ch</strong>aften<br />

Gestalt an, in seinem Kopf spielten<br />

Shakespeares Figuren Welttheater. Ins<br />

«Ri<strong>ch</strong>ard verurteilte<br />

alles einfa<strong>ch</strong><br />

Konsumierbare»<br />

S<strong>ch</strong>auspielhaus ging er jedo<strong>ch</strong> selten;<br />

zu inszeniert, zu interpretiert war ihm<br />

das Vorgeführte, es s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>te seine<br />

Einbildungskraft. Si<strong>ch</strong> selbst ein Bild<br />

zu ma<strong>ch</strong>en, darin bestand seiner Auffassung<br />

na<strong>ch</strong> die künstleris<strong>ch</strong>e Aufgabe<br />

eines wahrhaftigen Kunstkonsumenten.<br />

Das s<strong>ch</strong>limmste Vergehen an der Literatur,<br />

glei<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Bü<strong>ch</strong>erverbrennung,<br />

waren für ihn aber Romanverfilmungen,<br />

in seinen Augen ein Ho<strong>ch</strong>verrat<br />

am Autor und vor allem am Leser.<br />

Er war der festen Überzeugung,<br />

dass Filme die Fantasie zerstörten, sie<br />

im Keim erstickten. Sie s<strong>ch</strong>rieben dem<br />

Zus<strong>ch</strong>auer die Bilder vor, die er zu sehen<br />

hatte – 24 pro Sekunde! –, diktierten<br />

ihm eine von unendli<strong>ch</strong> vielen<br />

Lesarten der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Die einzig<br />

zulässige Literaturverfilmung war für<br />

Ri<strong>ch</strong>ard der Film, wel<strong>ch</strong>er im<br />

Kopf jedes einzelnen Lesers<br />

ablief, punktum!<br />

32 kulturtipp 12 l 13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!