HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Rechtsprechung<br />
Hervorzuheben<strong>de</strong> Entscheidungen <strong>de</strong>s BGH: IV. Strafverfahrensrecht mit GVG<br />
Rechtsprechung<br />
IV. Strafverfahrensrecht mit GVG<br />
455. BGH 5 StR 120/13 – Beschluss vom 9.<br />
April <strong>2013</strong> (LG Kiel)<br />
BGHSt; Vertikale Teilrechtskraft im Sicherungsverfahren;<br />
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />
(Anfor<strong>de</strong>rungen an die Gefährlichkeitsprognose<br />
bei Anlasstaten im Bereich <strong>de</strong>r geringen bis mittleren<br />
Kriminalität)<br />
§ 414 Abs. 1 StPO; § 63 StGB<br />
1. Vertikale Teilrechtskraft im Sicherungsverfahren.<br />
(BGHSt)<br />
2. Vorfälle, die im selbständigen Sicherungsverfahren<br />
Gegenstand <strong>de</strong>r Antragsschrift waren und vom Gericht<br />
als nicht tatbestandsmäßig beurteilt wur<strong>de</strong>n, können<br />
anschließend nicht mehr als Anlasstaten für die Unterbringung<br />
nach § 63 StGB herangezogen wer<strong>de</strong>n. Insoweit<br />
kann <strong>de</strong>r Beschuldigte nicht schlechter stehen als ein<br />
teilfreigesprochener Angeklagter im Strafverfahren, <strong>de</strong>r<br />
sich mit seiner Revision mangels Beschwer gegen <strong>de</strong>n<br />
Teilfreispruch nicht wen<strong>de</strong>n kann. (Bearbeiter)<br />
387. BGH 1 StR 263/12 – Beschluss vom 6.<br />
Februar <strong>2013</strong> (LG Stuttgart)<br />
BGHR; Betrug bei <strong>de</strong>r massenhaften Vortäuschung von<br />
Auslagen (Porto-, Telefon- und Auskunftskosten; Irrtum:<br />
erfor<strong>de</strong>rliche Vernehmung, prozessordnungsgemäße<br />
Verfahrensökonomie, Aufklärungspflicht,<br />
Strengbeweisverfahren, Normativierung; uneigentliches<br />
Organisations<strong>de</strong>likt eines faktischen Geschäftsführers);<br />
Strafzumessung beim Versuch (Mil<strong>de</strong>rung).<br />
§ 263 StGB; § 244 Abs. 2 StPO; § 261 StPO; § 251<br />
StPO<br />
1. Zur tatgerichtlichen Klärung, ob bei Betrug die einzelnen<br />
Vermögensverfügungen jeweils durch <strong>de</strong>n Irrtum <strong>de</strong>r<br />
Geschädigten veranlasst waren, wenn <strong>de</strong>n Angeklagten<br />
die Täuschung einer sehr großen Zahl von Personen<br />
(hier: mehr als 50.000) mit Kleinschä<strong>de</strong>n (hier: jeweils<br />
unter 50 Euro) zur Last liegt. (BGHR)<br />
2. Die Vorgehensweise, bei einem massenhaften Betrug<br />
nur fünfzehn Geschädigte zu vernehmen und im Übrigen<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r weit überwiegen<strong>de</strong>n Zahl <strong>de</strong>r tateinheitlich<br />
begangenen Taten „aus verfahrensökonomischen<br />
Grün<strong>de</strong>n“ infolge eines nicht belegten Irrtums lediglich<br />
einen Tatversuch anzunehmen, ist unzutreffend. Es besteht<br />
zwar die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r<br />
Strafrechtspflege zu erhalten. Ein Tatgericht muss jedoch<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Beweisaufnahme die in <strong>de</strong>r Strafprozessordnung<br />
dafür bereit gehaltenen Wege beschreiten. Eine<br />
einseitige Beschränkung <strong>de</strong>r Strafverfolgung auf bloßen<br />
Tatversuch ohne Zustimmung <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft,<br />
sieht die Strafprozessordnung auch im Rahmen gleichartiger<br />
Tateinheit mit vollen<strong>de</strong>ten Delikten nicht vor.<br />
(Bearbeiter)<br />
3. In Fällen eines hohen Gesamtscha<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r sich aus<br />
einer sehr großen Anzahl von Kleinschä<strong>de</strong>n zusammensetzt,<br />
sind die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung<br />
eingeschränkt. Das Tatgericht hat hier<br />
grundsätzlich die von <strong>de</strong>r Anklage umfasste prozessuale<br />
Tat (§ 264 StPO) im Rahmen seiner gerichtlichen Kognitionspflicht<br />
nach <strong>de</strong>n für die Beweisaufnahme gelten<strong>de</strong>n<br />
Regeln <strong>de</strong>r Strafprozessordnung (vgl. § 244 StPO) aufzuklären.<br />
(Bearbeiter)<br />
4. Da <strong>de</strong>r Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung<br />
durch <strong>de</strong>n Irrtum <strong>de</strong>s Getäuschten veranlasst<br />
wor<strong>de</strong>n ist, müssen die Urteilsgrün<strong>de</strong> regelmäßig<br />
darlegen, wer die Verfügung getroffen hat und welche<br />
Vorstellungen er dabei hatte. Die Überzeugung <strong>de</strong>s Gerichts,<br />
dass <strong>de</strong>r Verfügen<strong>de</strong> einem Irrtum erlegen ist,<br />
wird dabei – von einfach gelagerten Fällen (z.B. bei standardisierten,<br />
auf massenhafte Erledigung ausgerichteten<br />
Abrechnungsverfahren) abgesehen – in <strong>de</strong>r Regel <strong>de</strong>ssen<br />
Vernehmung erfor<strong>de</strong>rn (BGH NStZ 2003, 313, 314).<br />
(Bearbeiter)<br />
5. In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbil<strong>de</strong>s<br />
kann es insgesamt ausreichen, nur einige Zeugen einzuvernehmen,<br />
wenn sich dabei das Ergebnis bestätigt fin<strong>de</strong>t.<br />
Aus diesem Grund hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgerichtshof etwa<br />
die Vernehmung <strong>de</strong>r 170.000 Empfänger einer falsch<br />
berechneten Straßenreinigungsgebührenrechnung für<br />
entbehrlich gehalten (BGH wistra 2009, 433, 434). (Bearbeiter)<br />
6. Ist die Beweisaufnahme auf eine Vielzahl Geschädigter<br />
zu erstrecken, besteht zu<strong>de</strong>m die Möglichkeit, bereits im<br />
Ermittlungsverfahren durch Fragebögen zu ermitteln, aus<br />
welchen Grün<strong>de</strong>n die Leisten<strong>de</strong>n die ihr Vermögen schädigen<strong>de</strong><br />
Verfügung vorgenommen haben. Das Ergebnis<br />
dieser Erhebung kann dann – etwa nach Maßgabe <strong>de</strong>s<br />
§ 251 StPO – in die Hauptverhandlung eingeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Hierauf kann dann auch die Überzeugung <strong>de</strong>s Gerichts<br />
gestützt wer<strong>de</strong>n, ob und gegebenenfalls in welchen<br />
Fällen die Leisten<strong>de</strong>n eine Vermögensverfügung irrtumsbedingt<br />
vorgenommen haben. Ob es in <strong>de</strong>rartigen Fällen<br />
dann noch einer persönlichen Vernehmung von Geschädigten<br />
bedarf, entschei<strong>de</strong>t sich nach <strong>de</strong>n Erfor<strong>de</strong>rnissen<br />
<strong>de</strong>s Amtsaufklärungsgrundsatzes (§ 244 Abs. 2 StPO)<br />
und <strong>de</strong>s Beweisantragsrechts (insb. § 244 Abs. 3 StPO).<br />
In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbil<strong>de</strong>s<br />
kommt dabei die Ablehnung <strong>de</strong>s Antrags auf die Vernehmung<br />
einer größeren Zahl von Geschädigten als Zeugen<br />
in Betracht (vgl. BGH wistra 2009, 433, 434). (Bearbeiter)<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
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