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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

gungsanordnung und <strong>de</strong>r (repressiven) Ahndung <strong>de</strong>r<br />

Anlasstat. Letztere bil<strong>de</strong> nicht bloß <strong>de</strong>n äußeren Anlass<br />

für die Unterbringung, son<strong>de</strong>rn bil<strong>de</strong> darüber hinaus<br />

kraft ihrer Indizwirkung die inhaltliche Basis <strong>de</strong>r Gefährlichkeitsprognose<br />

182 – bspw. spreche § 66 StGB Abs. 1 S.<br />

1 Nr. 4 StGB ausdrücklich von einer „Gesamtwürdigung<br />

<strong>de</strong>s Täter und seiner Taten“. Entsprechend verneinte das<br />

Gericht die Län<strong>de</strong>rzuständigkeit zur Regelung <strong>de</strong>r Unterbringung<br />

von beson<strong>de</strong>rs rückfallgefähr<strong>de</strong>ten hochgefährlichen<br />

Straftätern mit <strong>de</strong>m Argument, die erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Prognose stelle entschei<strong>de</strong>nd auf das Kriterium <strong>de</strong>s<br />

„Rückfalls“ – und mithin auf die Würdigung einer Anlasstat<br />

– ab; 183 zu<strong>de</strong>m war nach <strong>de</strong>n für verfassungswidrig<br />

erklärten Län<strong>de</strong>rgesetzen jeweils eine Strafvollstreckungskammer<br />

zuständig.<br />

Misst man das ThUG anhand dieser Maßstäbe, bleibt von<br />

<strong>de</strong>n die bun<strong>de</strong>srechtliche Annexkompetenz begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Faktoren nicht mehr viel übrig. So ist nicht nur die<br />

Anknüpfung an das Strafrecht nur noch rudimentär ausgeprägt<br />

(es genügt eine Verurteilung wegen einer <strong>de</strong>r in<br />

§ 66 Abs. 3 StGB genannten Straftaten), 184 auch die erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Gefahrprognose kreist vornehmlich um das<br />

Merkmal <strong>de</strong>r psychischen Störung, statt an eine Vortatwürdigung<br />

o<strong>de</strong>r eine Rückfallprognose anzuknüpfen 185<br />

(<strong>de</strong>nkbar ist sogar, dass die psychische Störung, auf welcher<br />

die Gefährlichkeit „im Sinne einer Kausalität“ beruhen<br />

muss 186 , erst nach <strong>de</strong>r Anlasstat entstan<strong>de</strong>n ist 187 ).<br />

Nimmt man die <strong>de</strong>zidiert zivilrechtliche Ausgestaltung<br />

<strong>de</strong>s ThUG hinzu, so verfehlt das Gesetz sämtliche <strong>de</strong>r<br />

vom BVerfG aufgestellten Kriterien zur Begründung eines<br />

ausreichen<strong>de</strong>n Sachzusammenhangs zwischen Präventivunterbringung<br />

und Strafrecht. Folglich ist das ThUG aus<br />

kompetenzrechtlichen Grün<strong>de</strong>n verfassungswidrig. 188<br />

cc) Nicht zu beanstan<strong>de</strong>n ist das ThUG hingegen unter<br />

konventionsrechtlichen Aspekten. Geht man – wie hier –<br />

einmal davon aus, dass das Merkmal <strong>de</strong>r psychischen<br />

Störung <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an die Entziehung <strong>de</strong>r Freiheit<br />

eines psychisch Kranken i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e<br />

EMRK genügt, bleibt als letzte Hür<strong>de</strong> das Rückwirkungsverbot<br />

gem. Art. 7 Abs. 1 EMRK. Da die Therapieunterbringung<br />

jedoch das Abstandsgebot wahrt, entfällt die<br />

zur Anwendung von Art. 7 Abs. 1 EMRK notwendige<br />

Strafähnlichkeit. 189<br />

182<br />

BVerfGE 109, 190, 216 Tz. 98.<br />

183<br />

BVerfGE 109, 190, 221 Tz. 116 u. S. 225 Tz. 127<br />

184<br />

Nußstein NJW 2011, 1194.<br />

185<br />

A.A. Eschelbach (Fn. 36), § 66b Anh. ThUG Rn. 1, wonach<br />

das ThUG primär auf eine „Rückfallgefahr“ abstelle.<br />

186<br />

BT-Drs. 17/3403, S. 86.<br />

187<br />

An<strong>de</strong>rs JZ 2012, 498, 502; Klein (Fn. 141), § 1 ThUG<br />

Rn. 27a. A.A. wohl Kreuzer/Bartsch StV 2011, 472, 475 (zur<br />

Übergangsregelung <strong>de</strong>s BVerfG bzgl. Altfälle).<br />

188<br />

So i.E. auch G. Merkel/Roth HFR 2010, 250, 272 Fn. 85;<br />

Ullenbruch StV 2012, 44, 48. A.A. Klein (Fn. 141), § 1 ThUG<br />

Rn. 11.1; Schrö<strong>de</strong>r/Starke DRiZ 2011, 254, 256; Eisenberg<br />

StV 2012, 235. Zweifelnd OLG Saarbrücken StV 2012, 31<br />

f.; Kinzig NJW 2011, 177, 181; Nußstein NJW 2011, 1194;<br />

Höffler/Kaspar ZStW 124 (2012), 87, 127; An<strong>de</strong>rs JZ 2012,<br />

498, 503.<br />

189<br />

BT-Drs. 17/3403, S. 21; Bartsch Forum Strafvollzug 2011,<br />

267, 274. A.A. Ullenbruch StV 2012, 44, 48.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />

b) Sonstige Altfälle mit Rückwirkungsproblematik<br />

Für die nicht in <strong>de</strong>n formellen Anwendungsbereich <strong>de</strong>s<br />

ThUG fallen<strong>de</strong>n Parallelfälle verbleibt es bei <strong>de</strong>r rückwirken<strong>de</strong>n<br />

Anwendbarkeit <strong>de</strong>s Sicherungsverwahrungsrechts.<br />

Da in Art. 316f Abs. 2 S. 2 (bzgl. <strong>de</strong>r rückwirken<strong>de</strong>n<br />

Entfristung bzw. rückwirkend-nachträglichen Anordnung)<br />

und S. 3 (rückwirken<strong>de</strong>r Vorbehalt) EGStGB<br />

als zusätzliche Anordnungsvoraussetzungen das Vorliegen<br />

einer psychischen Störung sowie einer hochgradigen<br />

Gefahr schwerster Gewalt- o<strong>de</strong>r Sexualstraftaten statuiert<br />

sind, bewegt sich die Norm im Rahmen <strong>de</strong>r verfassungsgerichtlichen<br />

Vorgaben zur Einhaltung <strong>de</strong>s Vertrauensschutzgebots.<br />

Dies, in Verbindung mit <strong>de</strong>r Einhaltung<br />

<strong>de</strong>s Abstandsgebots, lässt die rückwirken<strong>de</strong> Sicherungsverwahrung<br />

in Altfällen sowohl unter verfassungs- als<br />

auch unter konventionsrechtlichen Gesichtspunkten<br />

unproblematisch erscheinen.<br />

V. Fazit und Ausblick – Die Zukunft <strong>de</strong>r<br />

Sicherungsverwahrung<br />

Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung ist überwiegend<br />

gut gelungen. Die verfassungsgerichtlichen Vorgaben<br />

zum Abstandsgebot sind sowohl bun<strong>de</strong>sgesetzlich<br />

(§ 66c StGB) als auch auf Lan<strong>de</strong>sebene umgesetzt. In<br />

konventionsrechtlicher Hinsicht bereitet lediglich die<br />

nachträgliche Sicherungsverwahrung nach <strong>de</strong>r Erledigung<br />

<strong>de</strong>r Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

(§ 66b StGB) Schwierigkeiten. Größere Be<strong>de</strong>nken<br />

bestehen hinsichtlich <strong>de</strong>s Umgangs mit Alt- und Parallelfällen.<br />

Ob das gesetzgeberische Konzept, mithilfe <strong>de</strong>s<br />

Merkmals <strong>de</strong>r psychischen Störung (Art. 316f Abs. 2 S. 2<br />

EGStGB; § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG) eine Legitimation <strong>de</strong>s<br />

Freiheitsentzugs nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. e EMRK zu<br />

erreichen, aufgeht, ist offen. Darüber hinaus ist das für<br />

bestimmte Parallelfälle entwickelte Konzept <strong>de</strong>r Therapieunterbringung<br />

aus kompetenzrechtlichen Grün<strong>de</strong>n<br />

akut vom Verdikt <strong>de</strong>r Verfassungswidrigkeit bedroht.<br />

Probleme mit <strong>de</strong>m Rückwirkungsverbot gem. Art. 7<br />

EMRK stehen in<strong>de</strong>s nicht zu erwarten.<br />

Die vorgenannten Rechtsprobleme sollten ob <strong>de</strong>r Endlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Altfallreservoirs in praktischer Hinsicht nicht<br />

überschätzt wer<strong>de</strong>n. 190 Interessanter ist die Frage, ob das<br />

Instrument <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung infolge <strong>de</strong>r rechtlichen<br />

Neuerungen mittelfristig zurückgedrängt wer<strong>de</strong>n<br />

wird. Dafür spricht neben <strong>de</strong>n „unjuristischen“ Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Ökonomie und Ressourcenschonung, 191 dass mit <strong>de</strong>r<br />

elektronischen Aufenthaltsüberwachung (§ 68b Abs. 1 S.<br />

1 Nr. 12 StGB, § 463a Abs. 4 StPO) 192 inzwischen ein<br />

190<br />

Nach <strong>de</strong>n Berechnungen von Schöch (Fn. 37), S. 119 können<br />

die Altfallregelungen allerdings theoretisch bis ins Jahr<br />

2045 Anwendung fin<strong>de</strong>n.<br />

191<br />

Höffler/Kaspar ZStW 124 (2012), 87, 131 prognostizieren<br />

„mit enormen finanziellen Verpflichtungen einhergehen<strong>de</strong><br />

Anstrengungen“ bei <strong>de</strong>r praktischen Umsetzung <strong>de</strong>s Abstandsgebots.<br />

192<br />

Ausführlich dazu Brauneisen StV 2011, 311 ff.; Haverkamp/Schwedler/Wößner<br />

NK 2012, 62 ff.; Hochmayr ZIS 2012,<br />

537 ff. Zur Alternative einer polizeirechtlichen Dauerobservation<br />

BVerfG NJW-Spezial <strong>2013</strong>, 24 f.; VG Freiburg 4 K<br />

1115/12, Urteil v. 14.02.<strong>2013</strong>; Greve/Lucius DÖV 2012, 97<br />

ff.<br />

177

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