HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen Begemeier – Reichweite <strong>de</strong>r unionsrechtskonformen Auslegung im <strong>de</strong>utschen Straf- und Strafverfahrensrecht<br />
<strong>de</strong>ln mit „Vorsatz“ 67 zu vermuten. Bei näherer Betrachtung<br />
<strong>de</strong>r Urteilsgrün<strong>de</strong> wird jedoch <strong>de</strong>utlich, dass es <strong>de</strong>m<br />
EuGH trotz <strong>de</strong>r entgegenstehen<strong>de</strong>n Terminologie um<br />
eine Kausalitätsvermutung geht. 68 Für diese Annahme<br />
spricht beispielsweise folgen<strong>de</strong> einleiten<strong>de</strong> Aussage <strong>de</strong>r<br />
Entscheidung: „Art. 2 Abs. 1 RL 2003/06 [...] besagt<br />
nicht ausdrücklich, dass <strong>de</strong>r Nachweis erfor<strong>de</strong>rlich ist,<br />
dass die Insi<strong>de</strong>r-Information für die Entscheidung, das<br />
fragliche Geschäft auf <strong>de</strong>m Markt zu tätigen, bestimmend<br />
war [...].“ 69 Ferner wird nur dieses Verständnis <strong>de</strong>r Vorlagefrage<br />
<strong>de</strong>s Gerichts und <strong>de</strong>m Sachverhalt <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens<br />
gerecht. 70 Bei<strong>de</strong> drehen sich im Kern um<br />
die Frage, ob <strong>de</strong>r Rückkauf von Aktien durch die anstehen<strong>de</strong><br />
Veröffentlichung <strong>de</strong>s Geschäftsberichts beeinflusst<br />
wur<strong>de</strong>. Be<strong>de</strong>nkt man, dass es sich bei diesem Einfluss um<br />
einen inneren Vorgang han<strong>de</strong>lt, lässt sich auch die Terminologie<br />
<strong>de</strong>s EuGH verstehen. Der Einfluss ist ein innerer<br />
Entscheidungsprozess. 71 In diesem Sinne begreift <strong>de</strong>r<br />
EuGH das „Nutzen“ einer Insi<strong>de</strong>rinformation als subjektives<br />
Tatbestandsmerkmal und bezeichnet es als Vorsatz.<br />
72 Der Sache nach geht es aber um <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r<br />
Insi<strong>de</strong>rinformation auf die Insi<strong>de</strong>rhandlung und damit in<br />
<strong>de</strong>utscher Terminologie um Kausalität. 73<br />
Die „Spector Photo Group“ Entscheidung enthält damit<br />
zwei Vorgaben für eine unionsrechtskonforme Auslegung<br />
<strong>de</strong>s Begriffs „Nutzen“ in Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG.<br />
Die „Nutzung“ einer Information setzt die Kausalität<br />
zwischen Insi<strong>de</strong>rinformation und <strong>de</strong>m fraglichen Geschäft<br />
voraus. Die Kausalität kann jedoch vermutet wer<strong>de</strong>n,<br />
wenn das Wissen um eine Insi<strong>de</strong>rinformation und<br />
die Vornahme eines Geschäfts feststehen. Ins <strong>de</strong>utsche<br />
Recht wird Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG über die Vorgaben<br />
<strong>de</strong>r Richtlinie hinaus durch das Strafblankett <strong>de</strong>s<br />
§ 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG umgesetzt.<br />
74 Daraus ergibt sich die eingangs angesprochene<br />
Brisanz <strong>de</strong>r „Spector Photo Group“ Entscheidung. Denn<br />
die Vorgaben, die <strong>de</strong>r EuGH anlässlich <strong>de</strong>s belgischen<br />
Verwaltungsverfahrens für die Auslegung <strong>de</strong>s Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots<br />
gemacht hat, betreffen damit die Auslegung<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Straf- und Strafverfahrensrechts.<br />
67<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12116 (Spector).<br />
68<br />
Ransiek wistra 2011, 1, 3 Fn. 21; für diese Interpretation<br />
sprechen auch die Schlussanträge <strong>de</strong>r Generalanwältin Juliane<br />
Kokott, EuGH Slg. 2009, 12086: „Im vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Fall ist daher zu klären, ob für das Vorliegen eines Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>ls<br />
ausnahmslos das Han<strong>de</strong>ln in Kenntnis <strong>de</strong>r Insi<strong>de</strong>r-<br />
Information hinreichend ist o<strong>de</strong>r noch ein weiteres Element<br />
hinzukommen muss.“; Hervorhebungen vom Autor.<br />
69<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12115 (Spector); Hervorhebungen<br />
vom Autor.<br />
70<br />
Ransiek wistra 2011, 1, 2; Cascante/Bingel NZG 2010, 161,<br />
162; Gehrmann ZBB 2010, 48, 50.<br />
71<br />
Ransiek wistra 2011, 1, 2; Cascante/Bingel NZG 2010, 161,<br />
162.<br />
72<br />
Cascante/Bingel NZG 2010, 161, 162; vgl. Ransiek wistra<br />
2011, 1 zu weiteren Argumenten.<br />
73<br />
Der weiteren Untersuchung wird die Interpretation <strong>de</strong>r<br />
herrschen<strong>de</strong>n Lehre (vgl. Fn. 64) zu Grun<strong>de</strong> gelegt.<br />
74<br />
Gemäß Art. 14 RL 2003/6/EG verlangt die Richtlinie nur<br />
ein verwaltungsrechtliches Vorgehen gegen Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>l.<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
IV. Auswirkungen auf das Strafrecht<br />
Aus <strong>de</strong>utscher Sicht geht es bei <strong>de</strong>r Frage, ob <strong>de</strong>r Tatbestand<br />
<strong>de</strong>s Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots Kausalität voraussetzt,<br />
um die Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs „Verwendung“ in<br />
§ 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Der<br />
Wortlaut „Verwen<strong>de</strong>n“ entspricht inhaltlich <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r<br />
Richtlinie zu fin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Begriff „Nutzen“. Er steht einer<br />
Übertragung <strong>de</strong>r Vorgaben aus<br />
Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Nutzung“<br />
nicht entgegen. 75 Vielmehr <strong>de</strong>utet er – ebenso wie<br />
<strong>de</strong>r Begriff „Nutzung“ – an, dass <strong>de</strong>r Tatbestand mehr als<br />
nur <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>r Insi<strong>de</strong>rinformation voraussetzt. 76<br />
Daneben zeigt die Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber mit diesem<br />
unionsrechtliche Vorgaben umsetzen wollte. 77 Der Auslegung<br />
stehen we<strong>de</strong>r verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche<br />
Be<strong>de</strong>nken entgegen, so dass <strong>de</strong>r Begriff „Verwendung“<br />
im Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong> unionsrechtskonform als<br />
Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis zwischen Insi<strong>de</strong>rinformation und<br />
Insi<strong>de</strong>rhandlung zu verstehen ist. Insofern bestätigen die<br />
unionsrechtlichen Vorgaben die Auslegung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong>s in <strong>de</strong>r Literatur, wonach <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r<br />
„Verwendung“ ebenfalls als materielles Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis<br />
interpretiert wird. 78<br />
V. Auswirkungen auf das<br />
Strafverfahrensrecht<br />
Neben <strong>de</strong>m materiellen Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis hat <strong>de</strong>r<br />
EuGH auch eine prozessuale Vorgabe aus Art. 2 Abs.<br />
1 RL 2003/6/EG abgeleitet. Er ist <strong>de</strong>r Auffassung, die<br />
nachweisliche Kenntnis einer Insi<strong>de</strong>rinformation und die<br />
Durchführung eines Wertpapiergeschäfts, das von <strong>de</strong>r<br />
Information betroffen ist, begrün<strong>de</strong>n die Vermutung,<br />
dieses Wissen habe Einfluss auf die Durchführung <strong>de</strong>s<br />
Wertpapiergeschäfts gehabt. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r materiellen<br />
Vorgabe, die <strong>de</strong>r Interpretation im <strong>de</strong>utschen<br />
Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong> entspricht, ist <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Strafrechtverfahrensrecht<br />
eine Beweislast <strong>de</strong>s Täters fremd.<br />
Für eine Pflicht, die Vorgaben bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r<br />
Strafprozessordnung zu berücksichtigen, müsste das<br />
nationale Recht einen Auslegungsspielraum bieten und<br />
eine solche Auslegung müsste mit <strong>de</strong>m gesamten<br />
Unionsrecht vereinbar sein.<br />
75<br />
Flick/Lorenz RIW 2010, 381, 382; Cascante/Bingel NZG 2010,<br />
161, 162.<br />
76<br />
Assmann, in: WpHG (Fn. 64), § 14 Rn. 25.<br />
77<br />
Während die sogenannte Insi<strong>de</strong>rrichtlinie <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten<br />
aufgab, ein Geschäft unter Ausnutzung einer Insi<strong>de</strong>rinformation<br />
zu untersagen, ist nach Art. 2 Abs.<br />
1 RL 2003/6/EG ein Geschäft bereits dann zu verbieten,<br />
wenn es unter Nutzung einer Insi<strong>de</strong>rinformation stattfin<strong>de</strong>t.<br />
Der <strong>de</strong>utsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung dieser Richtlinie<br />
das Gesetz zur Verbesserung <strong>de</strong>s Anlegerschutzes erlassen.<br />
Mit diesem Gesetz ist <strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>s § 14 Abs. 1<br />
Nr.1 WpHG von „unter Ausnutzung“ zu „unter Verwendung“<br />
geän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n.<br />
78<br />
Vogel, in: WpHG (Fn. 64), § 38 Rn. 2 u. 5 mit Verweis auf<br />
Assmann, in: WpHG (Fn. 64), § 14 Rn. 25; Zimmer/Cloppenburg,<br />
in: Kapitalmarktrechts-Kommentar (Fn.<br />
64), § 38 Rn. 8; Ransiek wistra 2011, 1, 2; St. Schulz ZIP<br />
2010, 609, 610; Nietsch ZHR 2010, 557, 568; Flick/Lorenz<br />
RIW 2010, 381, 383.<br />
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