19.01.2014 Aufrufe

HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Aufsätze und Anmerkungen Begemeier – Reichweite <strong>de</strong>r unionsrechtskonformen Auslegung im <strong>de</strong>utschen Straf- und Strafverfahrensrecht<br />

<strong>de</strong>ln mit „Vorsatz“ 67 zu vermuten. Bei näherer Betrachtung<br />

<strong>de</strong>r Urteilsgrün<strong>de</strong> wird jedoch <strong>de</strong>utlich, dass es <strong>de</strong>m<br />

EuGH trotz <strong>de</strong>r entgegenstehen<strong>de</strong>n Terminologie um<br />

eine Kausalitätsvermutung geht. 68 Für diese Annahme<br />

spricht beispielsweise folgen<strong>de</strong> einleiten<strong>de</strong> Aussage <strong>de</strong>r<br />

Entscheidung: „Art. 2 Abs. 1 RL 2003/06 [...] besagt<br />

nicht ausdrücklich, dass <strong>de</strong>r Nachweis erfor<strong>de</strong>rlich ist,<br />

dass die Insi<strong>de</strong>r-Information für die Entscheidung, das<br />

fragliche Geschäft auf <strong>de</strong>m Markt zu tätigen, bestimmend<br />

war [...].“ 69 Ferner wird nur dieses Verständnis <strong>de</strong>r Vorlagefrage<br />

<strong>de</strong>s Gerichts und <strong>de</strong>m Sachverhalt <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens<br />

gerecht. 70 Bei<strong>de</strong> drehen sich im Kern um<br />

die Frage, ob <strong>de</strong>r Rückkauf von Aktien durch die anstehen<strong>de</strong><br />

Veröffentlichung <strong>de</strong>s Geschäftsberichts beeinflusst<br />

wur<strong>de</strong>. Be<strong>de</strong>nkt man, dass es sich bei diesem Einfluss um<br />

einen inneren Vorgang han<strong>de</strong>lt, lässt sich auch die Terminologie<br />

<strong>de</strong>s EuGH verstehen. Der Einfluss ist ein innerer<br />

Entscheidungsprozess. 71 In diesem Sinne begreift <strong>de</strong>r<br />

EuGH das „Nutzen“ einer Insi<strong>de</strong>rinformation als subjektives<br />

Tatbestandsmerkmal und bezeichnet es als Vorsatz.<br />

72 Der Sache nach geht es aber um <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r<br />

Insi<strong>de</strong>rinformation auf die Insi<strong>de</strong>rhandlung und damit in<br />

<strong>de</strong>utscher Terminologie um Kausalität. 73<br />

Die „Spector Photo Group“ Entscheidung enthält damit<br />

zwei Vorgaben für eine unionsrechtskonforme Auslegung<br />

<strong>de</strong>s Begriffs „Nutzen“ in Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG.<br />

Die „Nutzung“ einer Information setzt die Kausalität<br />

zwischen Insi<strong>de</strong>rinformation und <strong>de</strong>m fraglichen Geschäft<br />

voraus. Die Kausalität kann jedoch vermutet wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn das Wissen um eine Insi<strong>de</strong>rinformation und<br />

die Vornahme eines Geschäfts feststehen. Ins <strong>de</strong>utsche<br />

Recht wird Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG über die Vorgaben<br />

<strong>de</strong>r Richtlinie hinaus durch das Strafblankett <strong>de</strong>s<br />

§ 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG umgesetzt.<br />

74 Daraus ergibt sich die eingangs angesprochene<br />

Brisanz <strong>de</strong>r „Spector Photo Group“ Entscheidung. Denn<br />

die Vorgaben, die <strong>de</strong>r EuGH anlässlich <strong>de</strong>s belgischen<br />

Verwaltungsverfahrens für die Auslegung <strong>de</strong>s Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots<br />

gemacht hat, betreffen damit die Auslegung<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Straf- und Strafverfahrensrechts.<br />

67<br />

EuGH Slg. 2009, 12100, 12116 (Spector).<br />

68<br />

Ransiek wistra 2011, 1, 3 Fn. 21; für diese Interpretation<br />

sprechen auch die Schlussanträge <strong>de</strong>r Generalanwältin Juliane<br />

Kokott, EuGH Slg. 2009, 12086: „Im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall ist daher zu klären, ob für das Vorliegen eines Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>ls<br />

ausnahmslos das Han<strong>de</strong>ln in Kenntnis <strong>de</strong>r Insi<strong>de</strong>r-<br />

Information hinreichend ist o<strong>de</strong>r noch ein weiteres Element<br />

hinzukommen muss.“; Hervorhebungen vom Autor.<br />

69<br />

EuGH Slg. 2009, 12100, 12115 (Spector); Hervorhebungen<br />

vom Autor.<br />

70<br />

Ransiek wistra 2011, 1, 2; Cascante/Bingel NZG 2010, 161,<br />

162; Gehrmann ZBB 2010, 48, 50.<br />

71<br />

Ransiek wistra 2011, 1, 2; Cascante/Bingel NZG 2010, 161,<br />

162.<br />

72<br />

Cascante/Bingel NZG 2010, 161, 162; vgl. Ransiek wistra<br />

2011, 1 zu weiteren Argumenten.<br />

73<br />

Der weiteren Untersuchung wird die Interpretation <strong>de</strong>r<br />

herrschen<strong>de</strong>n Lehre (vgl. Fn. 64) zu Grun<strong>de</strong> gelegt.<br />

74<br />

Gemäß Art. 14 RL 2003/6/EG verlangt die Richtlinie nur<br />

ein verwaltungsrechtliches Vorgehen gegen Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>l.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

IV. Auswirkungen auf das Strafrecht<br />

Aus <strong>de</strong>utscher Sicht geht es bei <strong>de</strong>r Frage, ob <strong>de</strong>r Tatbestand<br />

<strong>de</strong>s Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots Kausalität voraussetzt,<br />

um die Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs „Verwendung“ in<br />

§ 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Der<br />

Wortlaut „Verwen<strong>de</strong>n“ entspricht inhaltlich <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r<br />

Richtlinie zu fin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Begriff „Nutzen“. Er steht einer<br />

Übertragung <strong>de</strong>r Vorgaben aus<br />

Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Nutzung“<br />

nicht entgegen. 75 Vielmehr <strong>de</strong>utet er – ebenso wie<br />

<strong>de</strong>r Begriff „Nutzung“ – an, dass <strong>de</strong>r Tatbestand mehr als<br />

nur <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>r Insi<strong>de</strong>rinformation voraussetzt. 76<br />

Daneben zeigt die Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber mit diesem<br />

unionsrechtliche Vorgaben umsetzen wollte. 77 Der Auslegung<br />

stehen we<strong>de</strong>r verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche<br />

Be<strong>de</strong>nken entgegen, so dass <strong>de</strong>r Begriff „Verwendung“<br />

im Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong> unionsrechtskonform als<br />

Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis zwischen Insi<strong>de</strong>rinformation und<br />

Insi<strong>de</strong>rhandlung zu verstehen ist. Insofern bestätigen die<br />

unionsrechtlichen Vorgaben die Auslegung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong>s in <strong>de</strong>r Literatur, wonach <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r<br />

„Verwendung“ ebenfalls als materielles Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis<br />

interpretiert wird. 78<br />

V. Auswirkungen auf das<br />

Strafverfahrensrecht<br />

Neben <strong>de</strong>m materiellen Kausalitätserfor<strong>de</strong>rnis hat <strong>de</strong>r<br />

EuGH auch eine prozessuale Vorgabe aus Art. 2 Abs.<br />

1 RL 2003/6/EG abgeleitet. Er ist <strong>de</strong>r Auffassung, die<br />

nachweisliche Kenntnis einer Insi<strong>de</strong>rinformation und die<br />

Durchführung eines Wertpapiergeschäfts, das von <strong>de</strong>r<br />

Information betroffen ist, begrün<strong>de</strong>n die Vermutung,<br />

dieses Wissen habe Einfluss auf die Durchführung <strong>de</strong>s<br />

Wertpapiergeschäfts gehabt. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r materiellen<br />

Vorgabe, die <strong>de</strong>r Interpretation im <strong>de</strong>utschen<br />

Insi<strong>de</strong>r<strong>strafrecht</strong> entspricht, ist <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Strafrechtverfahrensrecht<br />

eine Beweislast <strong>de</strong>s Täters fremd.<br />

Für eine Pflicht, die Vorgaben bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r<br />

Strafprozessordnung zu berücksichtigen, müsste das<br />

nationale Recht einen Auslegungsspielraum bieten und<br />

eine solche Auslegung müsste mit <strong>de</strong>m gesamten<br />

Unionsrecht vereinbar sein.<br />

75<br />

Flick/Lorenz RIW 2010, 381, 382; Cascante/Bingel NZG 2010,<br />

161, 162.<br />

76<br />

Assmann, in: WpHG (Fn. 64), § 14 Rn. 25.<br />

77<br />

Während die sogenannte Insi<strong>de</strong>rrichtlinie <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten<br />

aufgab, ein Geschäft unter Ausnutzung einer Insi<strong>de</strong>rinformation<br />

zu untersagen, ist nach Art. 2 Abs.<br />

1 RL 2003/6/EG ein Geschäft bereits dann zu verbieten,<br />

wenn es unter Nutzung einer Insi<strong>de</strong>rinformation stattfin<strong>de</strong>t.<br />

Der <strong>de</strong>utsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung dieser Richtlinie<br />

das Gesetz zur Verbesserung <strong>de</strong>s Anlegerschutzes erlassen.<br />

Mit diesem Gesetz ist <strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>s § 14 Abs. 1<br />

Nr.1 WpHG von „unter Ausnutzung“ zu „unter Verwendung“<br />

geän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n.<br />

78<br />

Vogel, in: WpHG (Fn. 64), § 38 Rn. 2 u. 5 mit Verweis auf<br />

Assmann, in: WpHG (Fn. 64), § 14 Rn. 25; Zimmer/Cloppenburg,<br />

in: Kapitalmarktrechts-Kommentar (Fn.<br />

64), § 38 Rn. 8; Ransiek wistra 2011, 1, 2; St. Schulz ZIP<br />

2010, 609, 610; Nietsch ZHR 2010, 557, 568; Flick/Lorenz<br />

RIW 2010, 381, 383.<br />

184

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!