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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

erstmaliger Anordnung <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung diese<br />

fortan durch eine Zehn-Jahres-Höchstfrist begrenzt war<br />

(§ 67d Abs. 1 S. 1 StGB i.d.F. d. 2. StrRG); eine buchstäblich<br />

lebenslange Sicherungsverwahrung war für Erstverwahrte<br />

nunmehr nicht mehr möglich. Diese partielle<br />

Entschärfung <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung wur<strong>de</strong> durch<br />

das Gesetz zur Bekämpfung von Sexual<strong>de</strong>likten und<br />

an<strong>de</strong>ren gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998<br />

(SexBG) 14 allerdings wie<strong>de</strong>r rückgängig gemacht; auch<br />

die erstmalige Unterbringung in <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung<br />

war damit grundsätzlich wie<strong>de</strong>r unbefristet möglich<br />

(§ 67d Abs. 3 S. 1 StGB i.d.F. d. SexBG). Gem. § 2 Abs. 6<br />

StGB i.V.m. Art. 1a Abs. 3 EGStGB i.d.F. d. SexBG wur<strong>de</strong><br />

überdies eine rückwirken<strong>de</strong> Entfristung <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong>n<br />

Erstsicherungsverwahrungen angeordnet; eine gegen die<br />

rückwirken<strong>de</strong> Gesetzeskraft gerichtete Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

blieb insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>shalb erfolglos, weil das<br />

BVerfG die Sicherungsverwahrung nicht als Strafe i.S.d.<br />

Art. 103 Abs. 2 GG betrachtete. 15<br />

Mit <strong>de</strong>m Gesetz zur Einführung <strong>de</strong>r vorbehaltenen Sicherungsverwahrung<br />

vom 21. August 2002 (SichVEG) 16<br />

wur<strong>de</strong> die im Urteil lediglich vorbehaltene Sicherungsverwahrung<br />

eingeführt (§ 66a StGB i.d.F. d. SichVEG).<br />

Das Gesetz zur Einführung <strong>de</strong>r nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />

vom 23. Juli 2004 (SichVNachtrEG) 17<br />

brachte zu<strong>de</strong>m die Möglichkeit einer nachträglich angeordneten<br />

Sicherungsverwahrung für <strong>de</strong>n Fall, dass neue<br />

Tatsachen (sog. nova) Hinweise auf die erhebliche Gefährlichkeit<br />

eines bereits Verurteilten erbringen (§ 66b<br />

StGB i.d.F. d. SichVNachtrEG); 18 entsprechen<strong>de</strong> Vorstöße<br />

auf Län<strong>de</strong>rebene (z.B. das Bayerische Gesetz zur Unterbringung<br />

von beson<strong>de</strong>rs rückfallgefähr<strong>de</strong>ten hochgefährlichen<br />

Straftätern vom 24. Dezember 2001 – Bay-<br />

StrUBG 19 ) waren zuvor aus kompetenzrechtlichen Grün<strong>de</strong>n<br />

für verfassungswidrig erklärt wor<strong>de</strong>n. 20 Auch dieses<br />

(Bun<strong>de</strong>s-)Gesetz wur<strong>de</strong> gem. § 2 Abs. 6 StGB i.V.m.<br />

Art. 1a EGStGB i.d.F. d. SichVNachtragEG mit rückwirken<strong>de</strong>r<br />

Kraft ausgestattet, sodass bereits Verurteilte ab<br />

diesem Zeitpunkt mit einer nachträglichen Sicherungsverwahrungsanordnung<br />

rechnen mussten; 21 auch in die-<br />

14<br />

BGBl. I, S. 160.<br />

15<br />

BVerfGE 109, 133, 167 Tz. 127 = <strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 166.<br />

16<br />

BGBl. I, S. 3344.<br />

17<br />

BGBl. I, S. 1838.<br />

18<br />

For<strong>de</strong>rungen nach <strong>de</strong>r Einführung einer nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung waren seinerzeit freilich nichts<br />

Neues, vgl. Henkel ZStW 58 (1939), 167, 195. Auch das<br />

GewVerbrG kannte bereits eine rückwirkend-nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung für Altfälle, Laubenthal ZStW 116<br />

(2004), 703, 711 f.<br />

19<br />

BayGVBl. S. 978.<br />

20<br />

BVerfGE 109, 190, 211 Tz. 81 = <strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 169. A.A.<br />

zuvor OLG Bamberg NStZ 2002, 502; Würtenberger/ Sydow<br />

NVwZ 2001, 1201, 1203. Näher dazu Rissing-van<br />

Saan/Peglau, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl.<br />

(2008), § 66b Rn. 25 ff.<br />

21<br />

Zusätzlich abgesichert wur<strong>de</strong> die Rückwirkung <strong>de</strong>r nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung mit <strong>de</strong>m Gesetz zur Reform<br />

<strong>de</strong>r Führungsaufsicht und zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Vorschriften<br />

über die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />

vom 13. April 2007 (BGBl. I, S. 513). Nunmehr konnte<br />

gem. § 66b Abs. 1 S. 2 StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />

auch in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn angeordnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Dazu Höffler/Kaspar ZStW 124 (2012), 87, 91.<br />

Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />

sem Fall blieb die rückwirken<strong>de</strong> Gesetzeskraft verfassungsgerichtlich<br />

unbeanstan<strong>de</strong>t. 22<br />

Mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2009 erklärte allerdings<br />

<strong>de</strong>r EGMR 23 die rückwirken<strong>de</strong> Entfristung <strong>de</strong>r<br />

Sicherungsverwahrung durch das SexBG insbeson<strong>de</strong>re<br />

mit <strong>de</strong>m Argument für konventionswidrig, die Sicherungsverwahrung<br />

in ihrer konkreten Ausgestaltung sei<br />

aus Sicht <strong>de</strong>r Betroffenen <strong>de</strong>rmaßen „strafähnlich“, dass<br />

Art. 7 Abs. 1 EMRK zur Anwendung komme und mithin<br />

das Rückwirkungsverbot verletzt sei; zu<strong>de</strong>m erfülle eine<br />

rückwirken<strong>de</strong> Verlängerung nicht die eine Freiheitsentziehung<br />

legitimieren<strong>de</strong>n Voraussetzungen von Art. 5<br />

Abs. 1 S. 2 lit. a o<strong>de</strong>r c EMRK. Dasselbe habe, so <strong>de</strong>r<br />

EGMR wenig später, auch für die rückwirken<strong>de</strong> nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung zu gelten. 24<br />

Der Gesetzgeber reagierte hierauf mit Korrekturmaßnahmen:<br />

Mit <strong>de</strong>m Gesetz zur Neuordnung <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r<br />

Sicherungsverwahrung und zu begleiten<strong>de</strong>n Regelungen<br />

vom 22. Dezember 2010 (SichVNOG) 25 wur<strong>de</strong> u.a. 26 die<br />

nachträgliche Sicherungsverwahrung für zukünftige Fälle<br />

weitgehend abgeschafft (für vor <strong>de</strong>m Jahr 2011 begangene<br />

Anlasstaten galt altes Recht, insbes. § 66b Abs. 1, 2<br />

StGB a.F., hingegen fort, Art. 316e Abs. 1 EGStGB i.d.F.<br />

d. SichVNOG). Für die infolge <strong>de</strong>r Straßburger Urteile<br />

aus <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung bereits o<strong>de</strong>r noch zu<br />

entlassenen Verwahrten (sog. Parallelfälle) wur<strong>de</strong> eigens<br />

das Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) geschaffen, 27<br />

wonach wenigstens diejenigen von <strong>de</strong>r Rückwirkung<br />

Betroffenen weiterhin aus Sicherheitsgrün<strong>de</strong>n ihrer Freiheit<br />

entzogen wer<strong>de</strong>n konnten, bei welchen eine „psychische<br />

Störung“ eine hohe Wahrscheinlichkeit schwerer<br />

Straftaten erwarten ließ (§ 1 ThUG). Mithilfe dieser<br />

Konstruktion beabsichtige <strong>de</strong>r Gesetzgeber einerseits die<br />

Normierung eines Festnahmegrun<strong>de</strong>s gem. Art. 5 Abs. 1<br />

S. 2 lit. e EMRK („Freiheitsentziehung bei psychisch<br />

Kranken“), an<strong>de</strong>rerseits durch die therapeutische Ausgestaltung<br />

<strong>de</strong>r Unterbringung die zur Anwendbarkeit von<br />

Art. 7 Abs. 1 EMRK führen<strong>de</strong> Strafähnlichkeit zu beseitigen.<br />

Noch während sich <strong>de</strong>r BGH auf <strong>de</strong>r Basis einer ad hoc<br />

geschaffenen Divergenz-Vorlagepflicht (§ 121 Abs. 2 Nr.<br />

3 GVG 28 ) um eine Vereinheitlichung <strong>de</strong>r unklaren<br />

22<br />

BVerfGK 9, 108, 111 = <strong>HRRS</strong> 2006 Nr. 804; BVerfGK 14,<br />

357, 364 = <strong>HRRS</strong> 2008 Nr. 1148. Näher Rissing-van<br />

Saan/Peglau (Fn. 20), § 66b Rn. 32 ff.<br />

23<br />

EGMR NJW 2010, 2495 (M./Deutschland) = <strong>HRRS</strong> 2010<br />

Nr. 65. Dazu etwa Klesczewski <strong>HRRS</strong> 2010, 394 ff.<br />

24<br />

EGMR NJW 2011, 3423 (Haidn/Deutschland) = <strong>HRRS</strong><br />

2011 Nr. 277. Zur Übertragbarkeit <strong>de</strong>s zum BayStrUBG ergan-genen<br />

Urteils auf § 66b StGB Ullenbruch/Drenkhahn, in:<br />

Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl. (2012), § 66b<br />

Rn. 37.<br />

25<br />

BGBl. I, S. 2300.<br />

26<br />

Nicht im direkten Zusammenhang mit <strong>de</strong>r EGMR-<br />

Entscheidung stand die sog. Konsolidierung <strong>de</strong>r anfänglichen<br />

Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB, mit welcher<br />

u.a. gewaltlose Vermögens- und Eigentums<strong>de</strong>likte aus <strong>de</strong>m<br />

Katalog <strong>de</strong>r Anlasstaten gestrichen wur<strong>de</strong>n. Die nach altem<br />

Recht infolge entsprechen<strong>de</strong>r Anlasstaten Verwahrten waren<br />

gem. Art. 316e Abs. 3 EGStGB bis zum Juli 2011 zu<br />

entlassen, näher dazu Pollähne ZJS 2011, 216 ff.<br />

27<br />

BGBl. I 2010, S. 2300.<br />

28<br />

BGBl. I 2010, S. 976.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

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