HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen Begemeier – Reichweite <strong>de</strong>r unionsrechtskonformen Auslegung im <strong>de</strong>utschen Straf- und Strafverfahrensrecht<br />
Weitere allgemeine Rechtsgrundsätze <strong>de</strong>s Unionsrechts<br />
sind durch die Rechtsprechung <strong>de</strong>s EuGH geprägt. 56 Für<br />
die Auslegung <strong>de</strong>s Strafrechts sind insbeson<strong>de</strong>re das<br />
Rückwirkungsverbot 57 sowie <strong>de</strong>r Bestimmtheitsgrundsatz<br />
58 maßgeblich.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Reichweite<br />
<strong>de</strong>r Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung<br />
von zahlreichen Vorgaben <strong>de</strong>s nationalen Rechts und <strong>de</strong>s<br />
Unionsrecht abhängt. Anhand dieser Einschränkungen<br />
sind auch die Auswirkungen <strong>de</strong>r viel beachteten „Spector<br />
Photo Group“ Entscheidung auf die Auslegung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Straf- und Strafverfahrensrechts zu beurteilen.<br />
III. Die „Spector Photo Group“<br />
Entscheidung<br />
In <strong>de</strong>r „Spector Photo Group“ Entscheidung vom 23.<br />
Dezember 2009 hat sich <strong>de</strong>r EuGH zur Reichweite <strong>de</strong>s<br />
Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbots gemäß Art. 2 I 2003/6/EG RL<br />
geäußert. Zu Beginn wer<strong>de</strong>n zum besseren Verständnis<br />
das Ausgangsverfahren und die wichtigste Vorlagefrage<br />
dargestellt.<br />
1. Ausgangsverfahren<br />
Der Hof van beroep te Brussel musste in einem Rechtsstreit<br />
über eine Geldbuße entschei<strong>de</strong>n, welche die belgische<br />
Finanzaufsichtsbehör<strong>de</strong> gegen die belgische Spector<br />
Photo Group N.V. (Spector) und einen ihrer Mitarbeiter<br />
verhängt hatte. Spector hatte eigene Aktien in erheblichem<br />
Umfang erworben. Anschließend veröffentlichte<br />
Spector Informationen über ihre Geschäftsergebnisse,<br />
was zu einem Anstieg <strong>de</strong>s Aktienkurses führte. Dies<br />
wur<strong>de</strong> als verbotenes Insi<strong>de</strong>rgeschäft beurteilt. Spector<br />
verteidigte sich mit <strong>de</strong>m Einwand, es sei nicht nachgewiesen<br />
wor<strong>de</strong>n, dass die Aktien wegen <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n<br />
Veröffentlichung <strong>de</strong>r Geschäftsergebnisse zurückerworben<br />
wur<strong>de</strong>n.<br />
Grundlage <strong>de</strong>r Verhängung <strong>de</strong>r Geldbuße war eine belgische<br />
Vorschrift, die <strong>de</strong>r Umsetzung von<br />
Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG diente. Kern <strong>de</strong>s Verfahrens<br />
war die Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs „Nutzung“ einer Insi<strong>de</strong>rinformation<br />
im Sinne <strong>de</strong>s Art. 2 Abs. 1 RL 2003/6/EG. 59<br />
<strong>de</strong>n unionsrechtlichen Justizgrundrechten bietet Jarass<br />
NStZ 2012, 611.<br />
56<br />
Grundlegend EuGH Slg. 1987, 3969 (Kolpinghuis Nijmegen);<br />
1996, 6609 (Telecom Italia); zur Fortgeltung <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Rechtsgrundsätze nach <strong>de</strong>m Vertag von Lissabon<br />
Kokott/Sobotta EuGRZ 2010, 265.<br />
57<br />
EuGH Slg. 1987, 3969, 3986 (Kolpinghuis Nijmegen);<br />
ausführlich dazu Satzger, Europäisierung <strong>de</strong>s Strafrechts<br />
(Fn. 1), S. 538; Hecker, Europäisches Strafrecht (Fn. 5),<br />
§ 10 Rn. 38.<br />
58<br />
EuGH Slg. 1996, 6609, 6647 (Telecom Italia); zu <strong>de</strong>r daraus<br />
abgeleiteten Voraussetzung, dass nur ein hinreichend<br />
bestimmter Unionsrechtsakt Ausgangspunkt <strong>de</strong>r unionsrechtskonformen<br />
Auslegung <strong>de</strong>s nationalen Strafrechts sein<br />
kann Satzger a.a.O. (Fn. 2), § 9 Rn. 92; Schrö<strong>de</strong>r a.a.O.<br />
(Fn. 7), S. 387.<br />
59<br />
Vgl. EuGH Slg. 2009, 12100, 12114 (Spector); <strong>de</strong>r EuGH<br />
fasste die zweite und dritte Vorlagefrage zusammen und<br />
beantwortete bei<strong>de</strong> gemeinsam.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re war fraglich, ob für eine „Nutzung“ <strong>de</strong>r<br />
Nachweis genügt, dass ein Insi<strong>de</strong>r eine Insi<strong>de</strong>rinformation<br />
besitzt und auf <strong>de</strong>m Markt ein Geschäft mit Finanzinstrumenten<br />
tätigt, auf die sich die Information bezieht,<br />
o<strong>de</strong>r, ob zusätzlich nachgewiesen wer<strong>de</strong>n muss, dass<br />
diese Information bewusst genutzt wor<strong>de</strong>n ist. 60<br />
2. Vorgaben für eine unionsrechts-konforme<br />
Auslegung<br />
Dazu führte <strong>de</strong>r EuGH aus, dass <strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>s<br />
Art. 2 I RL 2003/6/EG nicht explizit eine subjektive<br />
Voraussetzung festlege. Insbeson<strong>de</strong>re erfor<strong>de</strong>re er nicht<br />
ausdrücklich <strong>de</strong>n Nachweis, dass die Information für das<br />
fragliche Geschäft bestimmend war. 61 Das Insi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lsverbot<br />
sichere die Integrität <strong>de</strong>r Finanzmärkte nur<br />
dann, wenn es effektiv durchsetzbar sei. 62 Vor diesem<br />
Hintergrund sei es gerechtfertigt, die „Nutzung“ einer<br />
Insi<strong>de</strong>rinformation zu vermuten, wenn eine Person<br />
nachweislich über sie verfügt und auf <strong>de</strong>m Markt ein<br />
Geschäft mit Finanzinstrumenten getätigt hat, auf die<br />
sich die Information bezieht. 63<br />
Welche Vorgaben sich daraus für eine unionsrechtskonforme<br />
Auslegung <strong>de</strong>s Art. 2 I RL 2003/6/EG ergeben,<br />
erschließt sich aus <strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>s EuGH nicht<br />
ein<strong>de</strong>utig. 64 Vor allem ist unklar, was genau <strong>de</strong>r EuGH<br />
unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „Nutzung“ versteht und damit als<br />
Gegenstand <strong>de</strong>r Vermutung ansieht. Teilweise wird die<br />
Entscheidung so interpretiert, dass bei Erfüllung <strong>de</strong>s<br />
objektiven Tatbestan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Vorsatz zu vermuten sei.<br />
Nach an<strong>de</strong>rer Interpretation wird <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r Insi<strong>de</strong>rinformation<br />
auf das fragliche Geschäft und damit die<br />
Kausalität als Gegenstand <strong>de</strong>r Vermutung angesehen.<br />
Die Unsicherheit hinsichtlich <strong>de</strong>s genauen Inhalts ist vor<br />
allem auf die verwen<strong>de</strong>te Terminologie in <strong>de</strong>r Entscheidung<br />
zurückzuführen. Zunächst ist festzustellen, dass<br />
<strong>de</strong>r EuGH eine Kausalität zwischen Insi<strong>de</strong>rinformation<br />
und <strong>de</strong>m durchgeführten Geschäft nicht ausdrücklich<br />
erwähnt. 65 Er betont, dass die Richtlinie ein „subjektives<br />
Tatbestandsmerkmal“ 66 nicht ausdrücklich vorsehe. Die<br />
beson<strong>de</strong>re Natur <strong>de</strong>s Insi<strong>de</strong>rgeschäfts erlaube es, bei<br />
Erfüllung <strong>de</strong>r objektiven Tatbestandsmerkmale ein Han-<br />
60<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12114 (Spector).<br />
61<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12115 (Spector).<br />
62<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12116 (Spector).<br />
63<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12123 (Spector).<br />
64<br />
Das wird eindrucksvoll an <strong>de</strong>n unterschiedlichen Interpretationen<br />
<strong>de</strong>r Entscheidung in <strong>de</strong>r Literatur <strong>de</strong>utlich: Vorsatz:<br />
Opitz BKR 2010, 71, 74; St. Schulz ZIP 2010, 609, 611;<br />
Heusel BKR 2010, 77, 79; Assmann, in: Assmann/Schnei<strong>de</strong>r<br />
(Hrsg.), WpHG, 6. Aufl. (2012), § 14 Rn. 26. Kausalität:<br />
Ransiek wistra 2011, 1, 2; Nietsch ZHR 2010, 557, 572; Bussian<br />
WM 2011, 8, 9; Cascante/Bingel NZG 2010, 161, 162;<br />
Nikoleyczik/Gubitz GWR 2010, 159; Gehrmann ZBB 2010, 48,<br />
50; Flick/Lorenz RIW 2010, 381, 382; Schrö<strong>de</strong>r, in: Achenbach/Ransiek<br />
(Hrsg.), Handbuch Wirtschafts<strong>strafrecht</strong>, 3.<br />
Aufl. (2012), X 2 Rn. 163; a.A. Vogel, in: WpHG (Fn. 64),<br />
§ 38 Rn. 3: Der EuGH habe lediglich darauf aufmerksam<br />
gemacht, dass vorhan<strong>de</strong>ne Insi<strong>de</strong>rinformationen in aller<br />
Regel in die Vornahme von Insi<strong>de</strong>rgeschäften einfließen.<br />
65<br />
Nietsch ZHR 2010, 557, 564; St. Schulz ZIP 2010, 609, 611;<br />
Ransiek wistra 2011, 1, 3 Fn. 21.<br />
66<br />
EuGH Slg. 2009, 12100, 12116 (Spector).<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
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