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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

Roggan – Der tkü-spezifische Kernbereichsschutz im Verständnis <strong>de</strong>s Zweiten Senats <strong>de</strong>s BVerfG<br />

Aufsätze und Anmerkungen<br />

Der tkü-spezifische Kernbereichsschutz im<br />

Verständnis <strong>de</strong>s Zweiten Senats <strong>de</strong>s BVerfG<br />

Eine Besprechung von BVerfGE 129, 208 = <strong>HRRS</strong> 2012 Nr. 29 und<br />

Folgerungen für die Praxis<br />

Von Prof. Dr. Fredrik Roggan, Berlin<br />

I. Einleitung<br />

Der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist in <strong>de</strong>n<br />

Focus <strong>de</strong>r rechtswissenschaftlichen Aufmerksamkeit<br />

durch die Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG zum großen Lauschangriff<br />

vom 3. März 2004 1 gelangt. 2 Im Gegensatz zur<br />

Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO<br />

han<strong>de</strong>lt es ich bei solchen Maßnahmen nach § 100c StPO<br />

freilich um ein quantitatives Randphänomen. 3 Jedoch<br />

lässt sich die hier interessieren<strong>de</strong> Problematik ohne<br />

Kenntnis <strong>de</strong>r dort entwickelten Grundsätze nur unvollständig<br />

erfassen, weshalb sie hier einleitend kurz zu<br />

referieren sind.<br />

Aus <strong>de</strong>m Menschenwür<strong>de</strong>gehalt <strong>de</strong>s Wohnungsgrundrechts<br />

(Art. 13 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG) leitet das<br />

BVerfG ab, dass zur Entfaltung <strong>de</strong>r Persönlichkeit im<br />

Kernbereich privater Lebensgestaltung die Möglichkeit<br />

gehört, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle<br />

sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher<br />

Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar<br />

ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen.<br />

Vom (absoluten!) Schutz umfasst sind auch Gefühlsäußerungen,<br />

Äußerungen <strong>de</strong>s unbewussten Erlebens sowie<br />

Ausdrucksformen <strong>de</strong>r Sexualität. 4 Insbeson<strong>de</strong>re ist die<br />

Kommunikation mit Personen <strong>de</strong>s beson<strong>de</strong>ren Vertrauens<br />

5 in beson<strong>de</strong>rer Weise schutzwürdig und folglich von<br />

einer staatlichen Kenntnisnahme im Sinne eines abwägungsfesten<br />

Schutzes grundsätzlich auszunehmen. Für<br />

<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Lauschangriffe folgt hieraus, dass be-<br />

1<br />

BVerfG StV 2004, 169 = BVerfGE 109, 279 = BVerfG<br />

<strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 170 – <strong>HRRS</strong> bezieht sich auf die Online-<br />

Zeitschrift für Strafrecht, (http://www.<strong>hrr</strong>-<strong>strafrecht</strong>.<strong>de</strong>).<br />

2<br />

Grundlegend Warntjen, Heimliche Zwangsmaßnahmen und<br />

<strong>de</strong>r Kernbereich privater Lebensgestaltung (2007, zugl.<br />

Diss.).<br />

3<br />

In 2011 etwa wur<strong>de</strong> die Maßnahme zehnmal angeordnet,<br />

vgl. BT-Drs. 17/10601, S. 3.<br />

4<br />

BVerfG StV 2004, 169, 170 = BVerfGE 109, 279, 313 =<br />

BVerfG <strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 170 – gera<strong>de</strong> letztere wer<strong>de</strong>n sich<br />

freilich eher in <strong>de</strong>r räumlichen <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r telekommunikativen<br />

Privatsphäre verwirklichen; vgl. dazu auch Löffelmann<br />

ZStW 118, 358, 382.<br />

5<br />

Zu diesem Kreis näher BVerfG StV 2004, 169, 172 f. =<br />

BVerfGE 109, 279, 321 ff = BVerfG <strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 170.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

stimmte Räumlichkeiten von einer Überwachung a priori<br />

ausgenommen sein können (vgl. § 100c Abs. 4 StPO)<br />

bzw. eine Überwachung abzubrechen ist, wenn sich (unerwartet)<br />

Anhaltspunkte für die Betroffenheit <strong>de</strong>r Intimsphäre<br />

ergeben. Sodann greifen Löschungsgebote, absolute<br />

Verwertungsverbote 6 sowie flankieren<strong>de</strong> Dokumentationspflichten<br />

(vgl. § 100c Abs. 5 StPO).<br />

Als Quintessenz folgt hieraus, dass es verfassungsrechtlich<br />

um eine möglichst weit reichen<strong>de</strong> Minimierung <strong>de</strong>s<br />

Risikos <strong>de</strong>r Betroffenheit <strong>de</strong>s Kernbereichs privater Lebensgestaltung<br />

geht: Schon aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

ist dafür zu sorgen, dass Verletzungen dieses<br />

Bereichs nach Möglichkeit unterbleiben.<br />

Im Nachgang zu <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG zu § 100c<br />

StPO hatte <strong>de</strong>r Erste Senat wie<strong>de</strong>rholt die Gelegenheit, auf<br />

das Erfor<strong>de</strong>rnis eines gesetzlichen Kernbereichs-<br />

Schutzkonzepts auch bei an<strong>de</strong>ren Ermittlungsmetho<strong>de</strong>n,<br />

namentlich auch Telekommunikationsüberwachungen, 7<br />

hinzuweisen. In <strong>de</strong>r Entscheidung zum Nie<strong>de</strong>rsächsischen<br />

SOG etwa heißt es, dass die Bürger zur höchstpersönlichen<br />

Kommunikation zwar nicht in gleicher Weise<br />

auf die Telekommunikation angewiesen seien wie auf<br />

eine Wohnung. Die stets garantierte Unantastbarkeit <strong>de</strong>r<br />

Menschenwür<strong>de</strong> verlange aber auch im Gewährleistungsbereich<br />

<strong>de</strong>s Art. 10 Abs. 1 GG Vorkehrungen zum<br />

Schutz individueller Entfaltung im Kernbereich privater<br />

Lebensgestaltung. Deshalb bedürfe es auch in diesem<br />

Bereich kernbereichsschützen<strong>de</strong>r Regelungen. Diese<br />

hätten im Rahmen einer gesetzgeberischen Schutzpflicht 8<br />

vorzusehen, dass bei konkreten Anhaltspunkten für die<br />

Annahme, dass eine Telekommunikationsüberwachung<br />

Inhalte erfasse, die zu diesem Kernbereich gehören, sie<br />

nicht zu rechtfertigen sei und damit zu unterbleiben<br />

habe. 9<br />

6<br />

BVerfG StV 2004, 169, 175 = BVerfGE 109, 279, 331 =<br />

BVerfG <strong>HRRS</strong> 2004 Nr. 170.<br />

7<br />

Ausf. dazu schon Warntjen KJ 2005, 276 ff.<br />

8<br />

Baldus JZ 2008, 218, 220 f.<br />

9<br />

BVerfGE 113, 348, 391 f. = BVerfG <strong>HRRS</strong> 2005 Nr. 718;<br />

ausf. dazu Bergemann, in: Roggan (Hg.), Lauschen im<br />

Rechtsstaat – Lisken-GS, 2004, S. 69 ff.; a. A. bspw. noch<br />

BGHSt 29, 23, 25.<br />

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