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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

von <strong>de</strong>r Me<strong>de</strong>n – Zur Verfassungswidrigkeit <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s Sittenwidrigkeitsbegriffs i.S.d. § 228 StGB<br />

sozialadäquat. Umgekehrt begegnet die Argumentation,<br />

<strong>de</strong>r Maßstab <strong>de</strong>r konkreten To<strong>de</strong>sgefahr sei auch als Min<strong>de</strong>stanfor<strong>de</strong>rung<br />

für die Annahme <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit<br />

als allein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Kriterium abzulehnen, 24 durchgreifen<strong>de</strong>n<br />

systematischen und verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken.<br />

Der 1. Strafsenat vertritt die Auffassung, dass neben <strong>de</strong>r<br />

durch die To<strong>de</strong>sgefahr <strong>de</strong>r Körperverletzung begrün<strong>de</strong>ten<br />

Unwirksamkeit <strong>de</strong>r Einwilligung, die „Überschreitung<br />

<strong>de</strong>r Grenze <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit auch aus an<strong>de</strong>ren, für die<br />

Bewertung <strong>de</strong>r Rechtsgutgefährlichkeit relevanten tatsächlichen<br />

Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tatbegehung“ abgeleitet wer<strong>de</strong>n<br />

kann. 25 Bei konsentierten Körperverletzungen im<br />

Rahmen von Gruppenschlägereien soll <strong>de</strong>mnach nun die<br />

Unkontrollierbarkeit <strong>de</strong>r komplexen gruppendynamischen<br />

Situation, die typischerweise mit diesen Schlägereien<br />

einhergeht, als gefahrerhöhen<strong>de</strong>s Moment Berücksichtigung<br />

bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s § 228 StGB fin<strong>de</strong>n. Der<br />

Wortlaut <strong>de</strong>s § 228 StGB spricht dabei nicht gegen die<br />

Einbeziehung <strong>de</strong>r Körperverletzungshandlung in das Sittenwidrigkeitsurteil.<br />

26 Die Frage, inwieweit <strong>de</strong>r Begriff<br />

<strong>de</strong>r Körperverletzung sich neben <strong>de</strong>m Körperverletzungserfolg<br />

auch auf die Körperverletzungshandlung<br />

bezieht, lässt sich, wie im Rahmen <strong>de</strong>s § 227 StGB, auch<br />

bei § 228 StGB auf die Handlung selbst ausweiten, ohne<br />

die Wortsinngrenze zu verletzen. 27 Die mit <strong>de</strong>r Rechtsprechungsän<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s 1. Strafsenats einhergehen<strong>de</strong><br />

Beschränkung <strong>de</strong>s Selbstbestimmungsrechts aus paternalistischen<br />

Grün<strong>de</strong>n 28 verkennt aber das Verhältnis von<br />

Einwilligungstatbestand und Wirksamkeit <strong>de</strong>r Einwilligung;<br />

durch die dogmatische Vermengung von Kategorien,<br />

die auseinan<strong>de</strong>rgehalten wer<strong>de</strong>n müssen, führt <strong>de</strong>r<br />

1. Strafsenat wie<strong>de</strong>r ein objektives Zweckverständnis,<br />

verbun<strong>de</strong>n mit einer subjektiven Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit ein (1.). Die Entscheidung steht<br />

außer<strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>r Systematik <strong>de</strong>r Körperverletzungs<strong>de</strong>likte<br />

nicht in Einklang (2.).<br />

1. Einwilligungstatbestand und Wirksamkeit<br />

<strong>de</strong>r Einwilligung – ein „verstecktes“<br />

objektives Zweckverständnis<br />

Der 1. Strafsenat geht in seiner Entscheidung davon aus,<br />

dass es bei Körperverletzungen im Rahmen von Sportwettkämpfen<br />

nicht darauf ankomme, „ob <strong>de</strong>r Ausschluss<br />

<strong>de</strong>r Rechtfertigung darauf beruht, dass das grob regelwidrige<br />

Verhalten von vornherein nicht Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

24<br />

BGH, Urteil vom 20.02.<strong>2013</strong> – 1 StR 585/12, Rn. 10 =<br />

<strong>HRRS</strong> <strong>2013</strong>, Nr. 342.<br />

25<br />

BGH, Urteil vom 20.02.<strong>2013</strong> – 1 StR 585/12, Rn. 10 =<br />

<strong>HRRS</strong> <strong>2013</strong>, Nr. 342.<br />

26<br />

Die h.M. bezieht die Einwilligung auf die Körperverletzungshandlung,<br />

vgl. etwa Horn/Walters, a.a.O. (Fn. 11),<br />

§ 228 Rn. 6; Lenckner, in: Schönke/Schrö<strong>de</strong>r (Fn. 7), Vorbemerkung<br />

§§ 32 ff. Rn. 102; BayObLGSt 1977, 694, 695;<br />

OLG Frankfurt MDR 1970, 105, 106; eine a.A. hält <strong>de</strong>n Erfolg<br />

für entschei<strong>de</strong>nd, vgl. etwa Geppert ZStW 83 (1971),<br />

947, 974; Schild Jura 1982, 520, 522.<br />

27<br />

Vgl. zum Streitstand bei § 227 StGB Fischer, a.a.O. (Fn. 2),<br />

§ 228 Rn. 3 ff.<br />

28<br />

Ich thematisiere hier nicht die Frage, ob die Entscheidung<br />

auch <strong>de</strong>shalb verfassungswidrig ist, weil sie die Grundrechte<br />

aus Art. 2 I und II 2 GG unverhältnismäßig einschränkt.<br />

erteilten Einwilligung ist o<strong>de</strong>r die Tat trotz <strong>de</strong>r Einwilligung<br />

[…] gegen die guten Sitten verstößt.“ 29 Er überträgt<br />

diesen Grundsatz sodann auf <strong>de</strong>n Fall von einverständlichen<br />

Gruppenschlägereien. In bei<strong>de</strong>n Fällen beachtet das<br />

Gericht dabei nicht <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n Unterschied<br />

zwischen <strong>de</strong>m Tatbestand <strong>de</strong>r Einwilligung und <strong>de</strong>ssen<br />

rechtlicher Bewertung. Unabhängig davon, ob man die<br />

Einwilligung als Rechtfertigungsgrund o<strong>de</strong>r bereits als<br />

tatbestandausschließend versteht, 30 schließt das Vorliegen<br />

einer Einwilligung nach allgemeiner Auffassung<br />

grundsätzlich eine Verurteilung aus. Ausnahmsweise<br />

wird <strong>de</strong>r Einwilligung die rechtliche Anerkennung aus<br />

Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Allgemeininteresses versagt. Während es<br />

sich aber bei <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>r erteilten Einwilligung<br />

in erster Linie um ein Problem im Tatsächlichen han<strong>de</strong>lt,<br />

geht es bei <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>r Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />

ausschließlich um die rechtliche Frage, unter<br />

welchen Voraussetzungen <strong>de</strong>r Einwilligung – trotz ihres<br />

Vorliegens – die Wirksamkeit abgesprochen wird. Das<br />

Vorliegen und <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>r Einwilligung sind damit<br />

nicht nur (hinsichtlich <strong>de</strong>r Zustimmung zur Körperverletzung)<br />

eine <strong>de</strong>m Beweis zugängliche Frage, die an<strong>de</strong>rs<br />

zu ermitteln als ein Rechtsproblem zu lösen ist, son<strong>de</strong>rn<br />

sie ist auch logisch vorrangig. Erst wenn Inhalt und<br />

Grenzen <strong>de</strong>s Einwilligungstatbestan<strong>de</strong>s geklärt sind,<br />

kann die Frage beantwortet wer<strong>de</strong>n, ob die Einwilligung<br />

als sittenwidrig zu qualifizieren ist. Es ist also, entgegen<br />

<strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>s 1. Strafsenats, keineswegs ein unerheblicher<br />

Umstand, ob es schon an einer Einwilligung fehlt<br />

o<strong>de</strong>r ob diese unbeachtlich ist.<br />

Die Verwischung dieses Unterschieds führt <strong>de</strong>n 1. Strafsenat<br />

zu seinem Differenzierungskriterium <strong>de</strong>s Fehlens<br />

von „das Gefährlichkeitspotential begrenzen<strong>de</strong>n Absprachen<br />

und effektiven Sicherungen“. Weil Körperverletzungen,<br />

die bei sportlichen Wettkämpfen begangen wer<strong>de</strong>n,<br />

konsentiert sind, solange sie im Rahmen <strong>de</strong>s Regelwerks<br />

verübt wer<strong>de</strong>n, können sie nicht sittenwidrig sein. Dies<br />

liegt aber nicht am Regelwerk o<strong>de</strong>r sonstigen Sicherungen,<br />

wie z.B. Schiedsrichtern, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>r durch die<br />

Teilnahme am Wettkampf zumin<strong>de</strong>st konklu<strong>de</strong>nt erklärten<br />

Einwilligung. Konsentierte Körperverletzungen im<br />

Rahmen von Sportveranstaltungen sind nicht sittenwidrig,<br />

solange <strong>de</strong>r sportliche Wettkampf sozialadäquat ist.<br />

Umgekehrt lässt sich aus <strong>de</strong>m Fehlen eines Regelwerks<br />

und sonstiger Schutzvorkehrungen aber nicht die Sittenwidrigkeit<br />

<strong>de</strong>r Körperverletzungen ableiten. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r 1.<br />

Strafsenat diesen impliziten Umkehrschluss vollzieht,<br />

führt er durch die Hintertür wie<strong>de</strong>r das von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Strafsenaten bereits aufgegebene objektive Zweckverständnis<br />

ein, welches auch zu Lasten <strong>de</strong>s Täters sozial<br />

missbilligte Zwecke (d.h. Zwecke, die von weiten Teilen<br />

<strong>de</strong>r Bevölkerung scheinbar missbilligt wer<strong>de</strong>n) <strong>de</strong>m<br />

Urteil <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit unterwirft und damit <strong>de</strong>n<br />

unmittelbaren Rechtsgutsbezug für irrelevant erklärt.<br />

Denn die gefor<strong>de</strong>rten Sicherheitsvorkehrungen liegen nur<br />

in Situationen vor, in <strong>de</strong>nen sportliche Zwecke verfolgt<br />

wer<strong>de</strong>n. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r 1. Strafsenat das Differenzierungskri-<br />

29<br />

BGH, Urteil vom 20.02.<strong>2013</strong> – 1 StR 585/12, Rn. 13 =<br />

<strong>HRRS</strong> <strong>2013</strong>, Nr. 342.<br />

30<br />

Vgl. zur Frage, ob es sich bei <strong>de</strong>r Preisgabe <strong>de</strong>s Rechtsguts<br />

durch <strong>de</strong>n Berechtigten um ein tatbestandsausschließen<strong>de</strong>s<br />

Einverständnis o<strong>de</strong>r um eine rechtfertigen<strong>de</strong> Einwilligung<br />

han<strong>de</strong>lt Paeffgen, a.a.O. (Fn. 5), § 228 Rn. 5 und 8 m.w.N.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

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