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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

rallelfälle“ bezeichnet. 170 Die rechtliche Situation hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Parallelfälle ist uneinheitlich.<br />

a) Therapieunterbringungsgesetz (ThUG)<br />

aa) Eine spezielle Altfallregelung gilt zunächst für jene<br />

(wenigen) Parallelfälle, in <strong>de</strong>nen die unsichere Rechtslage<br />

nach <strong>de</strong>r am 10. Mai 2010 bestandskräftig gewor<strong>de</strong>nen<br />

Entscheidung <strong>de</strong>s EGMR dazu geführt hat, dass eine<br />

Person auf Grund einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung<br />

aus <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung entlassen wor<strong>de</strong>n ist<br />

(§ 1 Abs. 2 ThUG), entlassen wer<strong>de</strong>n sollte (§ 1 Abs. 1<br />

ThUG) o<strong>de</strong>r trotz erstinstanzlicher Anordnung (gem.<br />

§ 275a Abs. 6 StPO) die Verwahrung gar nicht erst vollzogen<br />

wor<strong>de</strong>n ist (Art. 316e Abs. 4 EGStGB 171 ). Materielle<br />

Anordnungsvoraussetzungen einer Therapieunterbringung<br />

sind u.a. das Vorliegen einer psychischen Störung<br />

sowie die Gefahrprognose, dass die Person infolge <strong>de</strong>r<br />

Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit Leib, Leben, persönliche<br />

Freiheit o<strong>de</strong>r die sexuelle Selbstbestimmung<br />

eines an<strong>de</strong>ren erheblich beeinträchtigen wird (§ 1 Abs. 1<br />

Nr. 1 ThUG). Zuständig für eine Unterbringungsanordnung<br />

sind die Zivilkammern <strong>de</strong>r Landgerichte (§ 4 Abs. 1<br />

S. 1 ThUG); diese entschei<strong>de</strong>n gem. § 3 ThUG nach <strong>de</strong>n<br />

Verfahrensvorschriften <strong>de</strong>s FamFG.<br />

bb) Gegen die Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s ThUG bestehen<br />

erhebliche Be<strong>de</strong>nken. 172 Unproblematisch ist dabei zunächst<br />

die Verwendung <strong>de</strong>s Merkmals <strong>de</strong>r psychischen<br />

Störung (dazu oben). Auch unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s<br />

Abstandsgebots ist die Unterbringung nach ThUG nicht<br />

zu beanstan<strong>de</strong>n. Denn wie sich aus § 2 Abs. 1 und insbes.<br />

Abs. 2 ThUG ergibt, müssen die für die Therapieunterbringung<br />

geeigneten Einrichtungen min<strong>de</strong>stens<br />

<strong>de</strong>nselben Anfor<strong>de</strong>rungen genügen wie eine für <strong>de</strong>n Sicherungsverwahrungsvollzug<br />

geeignete Unterbringung.<br />

In <strong>de</strong>r Praxis wird es daher künftig mutmaßlich so aussehen,<br />

dass Therapieuntergebrachte und Sicherungsverwahrte<br />

gemeinsam untergebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Verfassungsrechtliche Schwierigkeiten bereitet allerdings<br />

die gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG erfor<strong>de</strong>rliche Gefahrprognose,<br />

nach welcher lediglich die „hohe Wahrscheinlichkeit“<br />

einer „erheblichen Beeinträchtigung“ hochrangiger<br />

Rechtsgüter vorzuliegen braucht. Damit liegt die Anordnungsschwelle<br />

<strong>de</strong>s ThUG nach herkömmlicher Lesart<br />

etwas unterhalb <strong>de</strong>rjenigen, welche das BVerfG als Voraussetzung<br />

einer zulässigen rückwirken<strong>de</strong>n Sicherungsverwahrung<br />

aufgestellt hat („hochgradige Gefahr<br />

schwerster Gewalt- o<strong>de</strong>r Sexualstraftaten“ 173 ). 174 Mithin<br />

170<br />

Vgl. BT-Drs. 17/3403, S. 19.<br />

171<br />

Die am 28. Dezember 2012 in Kraft getretene Norm (BGBl.<br />

I, S. 2756) war erfor<strong>de</strong>rlich gewor<strong>de</strong>n, nach<strong>de</strong>m BGH NJW<br />

2012, 3181 die unter <strong>de</strong>n OLGen zuvor umstrittene Frage<br />

<strong>de</strong>r Anwendbarkeit <strong>de</strong>s ThUG in diesen Fällen – siehe etwa<br />

OLG Saarbrücken StV 2012, 31, 33 f. versus OLG Nürnberg<br />

StV 2012, 233 – verneint hatte. Abl. zur Neuregelung Ullenbruch<br />

StV <strong>2013</strong>, 268 ff.<br />

172<br />

BVerfGE 128, 326, 407 Tz. 173 hat die Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>s ThUG ausdrücklich offen gelassen (ebenso<br />

BGH NJW 2012, 3181, 3182 Tz. 7); krit. dazu Kreuzer/<br />

Bartsch StV 2011, 472, 474. Jedoch ist <strong>de</strong>rzeit eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> anhängig (2 BvR 2302/11).<br />

173<br />

BVerfGE 128, 326, 399 Tz. 156. (in Anlehnung an<br />

BGHSt 56, 73, 87 Tz. 42 = <strong>HRRS</strong> 2010 Nr. 1043). Zur<br />

Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />

sind Fälle <strong>de</strong>nkbar, in welchen zwar eine rückwirken<strong>de</strong><br />

Anordnung (o<strong>de</strong>r Fortdauer) <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung<br />

gem. Art. 316f Abs. 2 S. 2 EGStGB mangels hochgradiger<br />

Gefahr nicht möglich ist, <strong>de</strong>r psychisch gestörte Verurteilte<br />

sich anschließend jedoch aufgrund einer Unterbringungsanordnung<br />

nach ThUG in genau <strong>de</strong>rselben<br />

Verwahreinrichtung wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>r er nach Sicherungsverwahrungsrecht<br />

nicht untergebracht wer<strong>de</strong>n<br />

darf. 175 Dieser Wi<strong>de</strong>rspruch kann keinen Bestand haben.<br />

176<br />

Zwei Auswege sind <strong>de</strong>nkbar: Entwe<strong>de</strong>r man erklärt das<br />

ThUG insoweit für verfassungswidrig, o<strong>de</strong>r aber man<br />

begnügt sich mit einer verfassungskonform-restriktiven<br />

Auslegung. 177 Die letztgenannte Möglichkeit ist überzeugen<strong>de</strong>r.<br />

Zum einen ist das ThUG älter als die fragliche<br />

BVerfG-Entscheidung (und mithin kann <strong>de</strong>m Gesetzgeber<br />

ein bewusstes Abweichen von <strong>de</strong>ssen Vorgaben nicht<br />

unterstellt wer<strong>de</strong>n), zum an<strong>de</strong>ren bewegt es sich durchaus<br />

noch im Rahmen <strong>de</strong>s sprachlich vertretbaren, die<br />

hohe Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung<br />

von Leben, körperlicher Unversehrtheit, persönlicher<br />

Freiheit o<strong>de</strong>r sexueller Selbstbestimmung mit einer<br />

hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- o<strong>de</strong>r Sexualstraftaten<br />

gleichzusetzen. 178<br />

Schwerste Be<strong>de</strong>nken hinsichtlich <strong>de</strong>r Grundgesetzkonformität<br />

<strong>de</strong>s ThUG sind jedoch unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>r Gesetzgebungskompetenz zu konstatieren. Der Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber<br />

hat sich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG<br />

(„Strafrecht“) berufen. 179 Die Inanspruchnahme dieses<br />

Kompetenztitels ist insofern problematisch, als es sich<br />

bei <strong>de</strong>r Präventivverwahrung (ehemaliger) Straftäter <strong>de</strong>r<br />

Sache nach um eine Maßnahme <strong>de</strong>s materiellen Polizeirechts<br />

han<strong>de</strong>lt 180 – und die Materie insofern eigentlich in<br />

die Zuständigkeit <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r fällt. Dennoch hat das<br />

BVerfG hinsichtlich <strong>de</strong>r Regeln über die Sicherungsverwahrung<br />

einen so engen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Regelungsmaterie<br />

<strong>de</strong>s Strafrechts ausgemacht, dass von einer<br />

Annexkompetenz <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgesetzgebers auszugehen<br />

sei. 181 Ausschlaggebend sei dabei vor allem <strong>de</strong>r enge<br />

Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>r (präventiven) Unterbrin-<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r hochgradigen Gefahr Mosbacher<br />

<strong>HRRS</strong> 2011, 229, 233 f.; Schöch GA 2012, 14, 29 ff.<br />

174<br />

OLG Nürnberg StV 2011, 686; An<strong>de</strong>rs JZ 2012, 498, 501;<br />

Schöch NK 2012, 47, 51.<br />

175<br />

Vgl. Nußstein StV 2011, 633, 634.<br />

176<br />

Kinzig StraFo 2011, 429, 437 („wi<strong>de</strong>rsinnig“); Schöch GA<br />

2012, 14, 22. An<strong>de</strong>rs, aber ohne stichhaltige Begründung,<br />

OLG Nürnberg StV 2011, 686; Klein (Fn. 141), § 1 ThUG<br />

Rn. 6a, 30a. Nicht weiter hilft die Überlegung von Hörnle<br />

NStZ 2011, 488, 491, wonach die geringeren Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an die Gefahrprognose nach § 1 ThUG gegenüber <strong>de</strong>rjenigen<br />

für eine rückwirken<strong>de</strong> Sicherungsverwahrung aufgrund<br />

<strong>de</strong>r besseren Unterbringungsbedingungen für Therapieunterge-brachte<br />

gerechtfertigt seien. Denn je<strong>de</strong>nfalls besteht<br />

ein solcher Unterschied von Gesetzes wegen nicht<br />

(mehr) – § 2 Abs. 2 ThUG n.F.<br />

177<br />

So Nußstein StV 2011, 633, 634.<br />

178<br />

Nußstein StV 2011, 633, 634 f.<br />

179<br />

BT-Drs. 17/3403, S. 19 f.<br />

180<br />

Grosse-Brömer/Klein ZRP 2010, 172; Klein (Fn. 141), § 1<br />

ThUG Rn. 3; Rosenau, in: Festschrift für Venzlaff (2006),<br />

S. 286.<br />

181<br />

BVerfGE 109, 190, 215 Tz. 95. A.A. zuvor Peglau ZRP 2000,<br />

147, 148 f.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

176

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