HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Rechtsprechung<br />
Gefahr <strong>de</strong>s nahen To<strong>de</strong>s ausreichend belegt war, weil dies<br />
in <strong>de</strong>m gerichtlichen Verfahren gera<strong>de</strong> hätte geklärt wer<strong>de</strong>n<br />
müssen.<br />
2. Mit <strong>de</strong>m Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich<br />
vereinbar, die Rechtsschutzgewährung vom Fortbestehen<br />
eines Rechtsschutzinteresses abhängig zu machen,<br />
sofern berücksichtigt wird, dass ausnahmsweise<br />
auch nach Erledigung <strong>de</strong>s Verfahrensgegenstan<strong>de</strong>s ein<br />
Interesse <strong>de</strong>s Betroffenen an <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>r Rechtslage<br />
bestehen kann.<br />
3. Neben <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholungsgefahr, <strong>de</strong>r fortbestehen<strong>de</strong>n<br />
Beeinträchtigung und <strong>de</strong>s Rehabilitationsinteresses<br />
kann ein Rechtsschutzinteresse auch bei gewichtigen<br />
Grundrechtseingriffen gegeben sein, insbeson<strong>de</strong>re<br />
wenn sich <strong>de</strong>r Eingriff auf einen Zeitraum beschränkt, in<br />
<strong>de</strong>m gerichtlicher Rechtsschutz typischerweise kaum zu<br />
erlangen ist.<br />
4. Die Anfor<strong>de</strong>rungen an das Gewicht <strong>de</strong>s Grundrechtseingriffs<br />
dürfen dabei nicht überspannt wer<strong>de</strong>n, weil<br />
ansonsten gegen Eingriffe in bestimmten Bereichen – wie<br />
etwa im Strafvollzug – überhaupt kein Rechtsschutz zu<br />
erlangen wäre.<br />
5. Der nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotene beson<strong>de</strong>re Schutz<br />
von Ehe und Familie beansprucht auch für <strong>de</strong>n Strafvollzug<br />
Geltung und bezieht sich auch auf das Verhältnis<br />
zwischen Eltern und ihren volljährigen Kin<strong>de</strong>rn. In das<br />
Grundrecht wird in gewichtiger Weise eingegriffen, wenn<br />
einem Strafgefangenen die Ausführung zu seinem im<br />
Sterben liegen<strong>de</strong>n Vater versagt wird.<br />
6. In diesem Zusammenhang gebietet es das Grundrecht<br />
auf effektiven Rechtsschutz auch, die Rechtsbeschwer<strong>de</strong><br />
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen,<br />
weil die erstinstanzliche Entscheidung erkennbar<br />
von <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts<br />
sowie <strong>de</strong>r Obergerichte zur Frage <strong>de</strong>s Feststellungsinteresses<br />
abweicht.<br />
7. Will das Beschwer<strong>de</strong>gericht die Nichtzulassung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsbeschwer<strong>de</strong> (auch) damit begrün<strong>de</strong>n, dass die<br />
Entscheidung <strong>de</strong>r Justizvollzugsanstalt rechtmäßig gewesen<br />
sei, so ist dies mit Art. 19 Abs. 4 GG nur vereinbar,<br />
wenn das Beschwer<strong>de</strong>gericht keine – im Rechtsbeschwer<strong>de</strong>verfahren<br />
nicht gestatteten – eigenen Sachverhaltsfeststellungen<br />
trifft, son<strong>de</strong>rn sich allein auf Tatsachen stützt,<br />
die in <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s Tatsachengerichts eine<br />
Grundlage fin<strong>de</strong>n.<br />
384. BVerfG 2 BvR 2595/12 (1. Kammer <strong>de</strong>s<br />
Zweiten Senats) – Beschluss vom 20. März<br />
<strong>2013</strong> (OLG Koblenz)<br />
Zulässigkeit <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> (Substantiierung;<br />
Vorlage von Unterlagen; erneute Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>);<br />
Wi<strong>de</strong>rruf einer Gna<strong>de</strong>nentscheidung (Freiheitsgrundrecht;<br />
Rechtsstaatsprinzip; Vertrauensschutzgebot;<br />
Bewährungszeit; Fristablauf; Verfahrensverzögerung;<br />
Hinweispflicht; Zwischennachricht).<br />
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 56g<br />
StGB; Nr. 34.2 Gna<strong>de</strong>nordnung; § 23 Abs. 1 Satz 2,<br />
§ 92 BVerfGG<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
Straf- und Strafverfahrensrechtliche Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR/BVerfG<br />
1. Die gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf einer Gna<strong>de</strong>nentscheidung<br />
gerichtete Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> genügt <strong>de</strong>n Substantiierungsanfor<strong>de</strong>rungen<br />
nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92<br />
BVerfGG, soweit sich aus ihr hinreichend klar ergibt, dass<br />
<strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer sich dadurch in willkürlicher und<br />
rechtsstaatswidriger Weise in seiner Freiheit und seinen<br />
Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sieht, dass die<br />
Wi<strong>de</strong>rrufsentscheidung nach seiner Auffassung nicht<br />
mehr in <strong>de</strong>m rechtlich gebotenen zeitlichen Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bewährungszeit erfolgt ist.<br />
2. Betrifft eine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> eine Entscheidung,<br />
die nach einer Aufhebung und Zurückverweisung<br />
durch das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht ergangen ist (hier:<br />
Folgeentscheidung zu BVerfG, Beschluss vom 27. September<br />
2012 – 2 BvR 1766/12 – [= <strong>HRRS</strong> 2012 Nr.<br />
1005]), so ist <strong>de</strong>n Substantiierungsanfor<strong>de</strong>rungen genügt,<br />
wenn die maßgeblichen Unterlagen im ersten Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>verfahren<br />
vorgelegt wor<strong>de</strong>n sind.<br />
3. Entscheidungen über <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf einer Aussetzung<br />
<strong>de</strong>r Strafvollstreckung zur Bewährung – gleich ob nach<br />
allgemeinem Strafrecht o<strong>de</strong>r im Gna<strong>de</strong>nwege – sind an<br />
<strong>de</strong>m nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheitsgrundrecht<br />
und <strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Rechtsstaatsprinzip<br />
herzuleiten<strong>de</strong>n Vertrauensschutzgebot zu messen. Der<br />
Verurteilte kann sich danach darauf vertrauen, dass die<br />
Strafaussetzung nicht unvorhersehbar und nur in <strong>de</strong>n<br />
gesetzlich vorgegebenen Grenzen – insbeson<strong>de</strong>re unter<br />
Beachtung <strong>de</strong>r zeitlichen Beschränkungen – wi<strong>de</strong>rrufen<br />
wird.<br />
4. Ein schutzwürdiges Vertrauen <strong>de</strong>s Verurteilten ergibt<br />
sich allerdings nicht bereits daraus, dass die Strafaussetzung<br />
nicht während o<strong>de</strong>r unmittelbar nach Ablauf <strong>de</strong>r<br />
Bewährungszeit wi<strong>de</strong>rrufen wor<strong>de</strong>n ist. Vielmehr hat ein<br />
unter Bewährung Stehen<strong>de</strong>r grundsätzlich damit zu rechnen,<br />
dass Straftaten innerhalb <strong>de</strong>r Bewährungszeit zum<br />
Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Strafaussetzung führen können. Dies gilt<br />
je<strong>de</strong>nfalls innerhalb <strong>de</strong>r Jahresfrist <strong>de</strong>s § 56g StGB, <strong>de</strong>ssen<br />
Wertung auch im Gna<strong>de</strong>nverfahren zu berücksichtigen ist.<br />
5. Jedoch ist ein Wi<strong>de</strong>rruf nach Ablauf <strong>de</strong>r Bewährungszeit<br />
aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Vertrauensschutzes nur innerhalb<br />
einer angemessenen Frist zulässig, auch wenn eine solche<br />
nicht gesetzlich bestimmt ist. Für die Angemessenheit<br />
<strong>de</strong>r Frist ist neben <strong>de</strong>m Zeitablauf als solchem insbeson<strong>de</strong>re<br />
auf etwaige ungebührliche Verfahrensverzögerungen<br />
sowie auf Schwere und Häufigkeit <strong>de</strong>r neuerlichen Taten<br />
abzustellen.<br />
6. Eine ungebührliche Verfahrensverzögerung liegt nicht<br />
darin, dass die Vollstreckungsbehör<strong>de</strong> vor einer Wi<strong>de</strong>rrufsentscheidung<br />
die Rechtskraft einer Folgeverurteilung<br />
nicht nur hinsichtlich <strong>de</strong>s Schuldspruchs, son<strong>de</strong>rn auch<br />
in Bezug auf das Strafmaß abwartet.<br />
7. Ein von Verfassungs wegen schutzwürdiges Vertrauen<br />
kann entstehen, wenn <strong>de</strong>r Verurteilte nicht darauf hingewiesen<br />
wor<strong>de</strong>n ist, dass die Vollstreckungsbehör<strong>de</strong> noch<br />
die Rechtskraft einer Folgeverurteilung abwartet. Dies<br />
gilt allerdings nur dann, wenn ein solcher Hinweis aufgrund<br />
bestimmter Umstän<strong>de</strong> zu erwarten war, wie dies<br />
etwa aufgrund Nr. 34.2 <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nordnung o<strong>de</strong>r bei<br />
einer entsprechen<strong>de</strong>n Verwaltungspraxis <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
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