HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen<br />
EGStGB eine „Anwendbarkeitserklärung im Sinne einer<br />
‚Normbestätigung‘“ zu implementieren. 98<br />
c) Gleichfalls keine Zweifel bestehen an <strong>de</strong>r Konventionskonformität<br />
<strong>de</strong>r anfänglichen Sicherungsverwahrung.<br />
99 Eine bereits im Urteil zusätzlich zur Kriminalstrafe<br />
angeordnete und im Anschluss an <strong>de</strong>ren Verbüßung<br />
vollstreckte Sicherungsverwahrung als präventive Form<br />
<strong>de</strong>r Unterbringung stellt eine kausal auf die Verurteilung<br />
zurückzuführen<strong>de</strong> und <strong>de</strong>shalb von Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.<br />
a EMRK ge<strong>de</strong>ckte Freiheitsentziehung dar. 100 Eine Rechtfertigung<br />
gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK ist dagegen<br />
in Bezug auf alle im StGB vorgesehenen Formen <strong>de</strong>r<br />
Sicherungsverwahrung ausgeschlossen, da es insoweit<br />
ganz regelmäßig am Erfor<strong>de</strong>rnis einer hinreichend konkreten<br />
und spezifischen drohen<strong>de</strong>n Straftat mangelt. 101<br />
2. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung<br />
a) Der unverän<strong>de</strong>rt fortbestehen<strong>de</strong> § 66a StGB 102 ermöglicht<br />
<strong>de</strong>m erkennen<strong>de</strong>n Gericht, im Urteil die Anordnung<br />
<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung vorzubehalten, wenn zwar<br />
nicht mit hinreichen<strong>de</strong>r Sicherheit feststellbar, aber aufgrund<br />
<strong>de</strong>r Gesamtwürdigung <strong>de</strong>s Täters und seiner Taten<br />
doch wahrscheinlich ist, dass <strong>de</strong>r Täter infolge seines<br />
Hangs zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Verurteilung<br />
für die Allgemeinheit gefährlich ist. 103 Über die<br />
endgültige Anordnung <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung entschei<strong>de</strong>t<br />
das Gericht <strong>de</strong>s ersten Rechtszugs gem. § 275a<br />
StPO in einer neuen Hauptverhandlung spätestens sechs<br />
Monate vor <strong>de</strong>r vollständigen Vollstreckung <strong>de</strong>r Freiheitsstrafe<br />
(„zeitlich aufgespaltene Hauptverhandlung“<br />
104 ).<br />
b) Sub specie Verfassungsrecht bestehen keine Be<strong>de</strong>nken<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.<br />
Auch in Bezug auf § 66a StGB bezog sich die Unvereinbarerklärung<br />
durch das BVerfG allein auf die – nunmehr<br />
behobene – Missachtung <strong>de</strong>s Abstandsgebots. 105<br />
c) Umstritten ist in<strong>de</strong>s die Vereinbarkeit mit <strong>de</strong>r EMRK.<br />
Auch für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung kommt<br />
als Rechtfertigungsgrund für <strong>de</strong>n Freiheitsentzug allein<br />
Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK in Betracht. Problematisch<br />
erscheint vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r gespaltenen Hauptverhandlung<br />
das vom EGMR postulierte Erfor<strong>de</strong>rnis<br />
eines „ausreichen<strong>de</strong>n Kausalzusammenhangs“ zwischen<br />
98<br />
BT-Drs. 17/11388, S. 34.<br />
99<br />
Drenkhahn/Morgenstern ZStW 124 (2012), 132, 148.<br />
100<br />
Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. (2012), Art. 5<br />
EMRK/Art. 9, 10, 11 IPBPR Rn. 80; Kinzig NJW 2011, 177,<br />
178 Fn. 10 (jew. m. Nachw. a.d. EGMR-Rspr.).<br />
101<br />
Esser (Fn. 100), Art. 5 EMRK/Art. 9, 10, 11 IPBPR Rn. 134<br />
m.w.N.; Drenkhahn/Morgenstern ZStW 124 (2012), 132, 151.<br />
A.A. wohl Grosse-Bröhmer/Klein ZRP 2010, 172, 173.<br />
102<br />
Siehe aber Kinzig StraFo 2011, 429, 436, <strong>de</strong>r zuvor für eine<br />
Abschaffung <strong>de</strong>r vorbehaltenen Sicherungsverwahrung plädiert<br />
hatte.<br />
103<br />
Esser JA 2011, 727, 728. Zu <strong>de</strong>n Einzelheiten <strong>de</strong>r Anordnungsvoraussetzungen<br />
Kinzig NJW 2011, 177, 178 f.<br />
104<br />
Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. (<strong>2013</strong>),<br />
§ 275a Rn. 4.<br />
105<br />
Ausdrücklich klargestellt von BVerfG NJW 2012, 3357,<br />
3358 Tz. 68 = <strong>HRRS</strong> 2012 Nr. 657.<br />
Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />
Verurteilung und Freiheitsentziehung. 106 Da als Verurteilung<br />
i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a EMRK nur die eine<br />
Schuldfeststellung beinhalten<strong>de</strong> gerichtliche Freiheitsentzugsanordnung<br />
angesehen wird, 107 kommt die Anordnungsverhandlung<br />
nach § 275a StPO – also <strong>de</strong>r zweite<br />
Teil <strong>de</strong>r Hauptverhandlung – als Verurteilung i.S.d.<br />
EMRK nicht in Betracht. 108 Denn in diesem Verfahren<br />
geht es nicht mehr um die Schuldfrage bzgl. <strong>de</strong>r Anlasstat,<br />
son<strong>de</strong>rn ausschließlich um die Voraussetzungen <strong>de</strong>r<br />
Sicherungsverwahrungsanordnung (insbes. die Prognose<br />
künftiger Gefährlichkeit). Mithin kommt als <strong>de</strong>n Freiheitsentzug<br />
rechtfertigen<strong>de</strong> Verurteilung allein das die<br />
Sicherungsverwahrung vorbehalten<strong>de</strong> Urteil – also <strong>de</strong>r<br />
erste Teil <strong>de</strong>r Hauptverhandlung – in Betracht.<br />
In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob<br />
nicht durch die u.U. lange Zeitspanne zwischen Sicherungsverwahrungsvorbehalt<br />
und <strong>de</strong>r tatsächlichen Anordnung<br />
sowie durch das „Dazwischentreten“ <strong>de</strong>s zweiten<br />
Hauptverhandlungsteils <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rte Kausalzusammenhang<br />
unterbrochen o<strong>de</strong>r doch zumin<strong>de</strong>st zu sehr<br />
ausgedünnt wird. Teilweise wird diese Frage bejaht. 109<br />
Die weitaus besseren Argumente sprechen jedoch für die<br />
Gegenauffassung. 110 In <strong>de</strong>n Kategorien <strong>de</strong>r Kausalitätslehre<br />
gesprochen, han<strong>de</strong>lt es sich beim vorbehalten<strong>de</strong>n<br />
Urteil ohne Zweifel um eine conditio-sine-qua-non <strong>de</strong>r<br />
späteren Anordnung; vorbehalten<strong>de</strong> und anordnen<strong>de</strong><br />
Hauptverhandlung sind somit für <strong>de</strong>n Freiheitsentzug<br />
kumulativ kausal. Da letztere auf ersterer aufbaut bzw.<br />
inhaltlich an diese anknüpft, kann auch von einem<br />
„überholen<strong>de</strong>n Zweitereignis“ 111 keine Re<strong>de</strong> sein. Normative<br />
Restriktionen, bspw. unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />
<strong>de</strong>s Vertrauensschutzes, sind ebenfalls nicht geboten, da<br />
alle Beteiligten bereits im ersten Urteil erfahren, „woran<br />
sie sind“ 112 . Schließlich gelangt auch das BVerfG im<br />
Rahmen einer ausführlichen Analyse <strong>de</strong>r EGMR-Rspr.<br />
zum Merkmal <strong>de</strong>r Verurteilung zu <strong>de</strong>m Ergebnis eines<br />
ausreichen<strong>de</strong>n Kausalzusammenhangs. 113<br />
3. Nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />
Als nachträglich wird bezeichnet die Sicherungsverwahrung,<br />
welche we<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r die Anlasstat betreffen<strong>de</strong>n<br />
Entscheidung angeordnet noch vorbehalten wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Diese Form <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung wird auch in <strong>de</strong>r<br />
106<br />
EGMR NJW 2010, 2495 f. Tz. 87 f. (M./Deutschland);<br />
2012, 1707, 1708 Tz. 36 (Schmitz/Deutschland). Dazu,<br />
dass die Re<strong>de</strong>weise von einer Kausalbeziehung in diesem<br />
Zusammenhang verfehlt ist, Hörnle, in: Festschrift für Rissing-van<br />
Saan, S. 239, 246 („Der Sache nach gemeint ist offensichtlich<br />
Zurechnung.“).<br />
107<br />
Esser (Fn. 100), Art. 5 EMRK/Art. 9, 10, 11 IPBPR Rn. 68<br />
108<br />
Esser (Fn. 100), Art. 5 EMRK/Art. 9, 10, 11 IPBPR Rn. 84.<br />
109<br />
Kinzig NStZ 2010, 233, 239; <strong>de</strong>rs. NJW 2011, 177, 179<br />
(unter Hinweis auf OLG Hamm NStZ-RR 2010, 388 f.);<br />
<strong>de</strong>rs. StraFo 2011, 429, 432. Skeptisch auch Hörnle NStZ<br />
2011, 488, 493 a.E. Diff. Esser (Fn. 100), Art. 5 EMRK/<br />
Art. 9, 10, 11 IPBPR Rn. 85.<br />
110<br />
Kreuzer ZRP 2011, 7, 8 f.; Streng JZ 2011, 827, 834; Bartsch<br />
Forum Strafvollzug 2011, 267, 273; Satzger StV <strong>2013</strong>, 243,<br />
247.<br />
111<br />
Wessels/Beulke, Strafrecht AT, 42. Aufl. (2012), Rn. 167.<br />
112<br />
Kreuzer ZRP 2011, 7, 8.<br />
113<br />
BVerfG NJW 2012, 3357, 3360 ff. Tz. 92-112 mit abl. Anm.<br />
G. Merkel ZIS 2012, 521 ff.<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
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