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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

von <strong>de</strong>r Me<strong>de</strong>n – Zur Verfassungswidrigkeit <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s Sittenwidrigkeitsbegriffs i.S.d. § 228 StGB<br />

die im Rahmen von Massenschlägereien begangen wer<strong>de</strong>n,<br />

zu <strong>de</strong>nen sich Hooligans verschie<strong>de</strong>ner Fußballmannschaften<br />

oftmals nach <strong>de</strong>m Fußballspiel verabre<strong>de</strong>n,<br />

strafbar sind. Nach <strong>de</strong>n Feststellungen <strong>de</strong>s Landgerichts<br />

traten sich nach vorangegangenen Körperverletzungen,<br />

die nicht konsentiert waren, zwei Gruppen gegenüber.<br />

Allen Beteiligten „war bewusst, dass es aufgrund <strong>de</strong>r sich<br />

durch wechselseitige Beleidigungen weiter aufheizen<strong>de</strong>n<br />

Stimmung zu körperlichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen kommen<br />

wür<strong>de</strong>. Aufgrund einer faktischen Übereinkunft<br />

stimmten die Beteiligten zu, diese mit Faustschlägen und<br />

Fußtritten auszutragen. Den Eintritt auch erheblicher<br />

Verletzungen billigten sie.“ 1 In <strong>de</strong>r dann folgen<strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

kam es wie erwartet zu erheblichen<br />

Gewalteinwirkungen. Ein Geschädigter erlitt u.a. eine<br />

Schä<strong>de</strong>lprellung, die einen stationären Krankenhausaufenthalt<br />

erfor<strong>de</strong>rlich machte. Ein an<strong>de</strong>rer verlor u.a. drei<br />

Zähne. Ein weiterer Geschädigter wur<strong>de</strong>, am Bo<strong>de</strong>n liegend,<br />

u.a. wie<strong>de</strong>rholt gegen Kopf und Körper getreten.<br />

III. Die Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r<br />

Körperverletzung trotz Einwilligung<br />

In Fortführung <strong>de</strong>r Rechtsprechung zur Reichweite <strong>de</strong>r<br />

erteilten Einwilligung geht <strong>de</strong>r BGH auch in dieser Entscheidung<br />

davon aus, dass die Geschädigten in die Körperverletzungen<br />

eingewilligt haben. Die Einwilligung<br />

kann nach allgemeiner Auffassung in je<strong>de</strong>r Form erteilt<br />

wer<strong>de</strong>n. 2 Es kommt allein auf die natürliche Einsichtsund<br />

Steuerungsfähigkeit und nicht auf die Geschäftsfähigkeit<br />

an. 3 Die gefestigte Rechtsprechung for<strong>de</strong>rt in<br />

Übereistimmung mit <strong>de</strong>r Literatur insoweit, dass <strong>de</strong>r<br />

Einwilligen<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Angriff auf seine körperliche Integrität<br />

in seinem Verlauf und seinen Auswirkungen erkennt. 4<br />

Die vorzunehmen<strong>de</strong> Prüfung ist danach mit Hilfe <strong>de</strong>r<br />

Kriterien zu lösen, die in <strong>de</strong>r Vorsatzlehre für Konstellationen<br />

<strong>de</strong>r Abweichung vom Kausalverlauf entwickelt<br />

wor<strong>de</strong>n sind. 5 Von <strong>de</strong>r Einwilligung ge<strong>de</strong>ckt sind nur<br />

solche Körperverletzungen, die nicht als Folge eines<br />

atypischen Kausalverlaufs erscheinen.<br />

Im Zentrum <strong>de</strong>r Entscheidung steht die Frage nach <strong>de</strong>r<br />

Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r Tat im Sinne <strong>de</strong>s § 228 StGB. Die<br />

Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r Körperverletzung – nicht die Sittenwidrigkeit<br />

<strong>de</strong>r Einwilligung – macht die Einwilligung<br />

unwirksam. Die Bestimmung <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r<br />

Körperverletzung ist von beson<strong>de</strong>rer Brisanz, weil <strong>de</strong>r<br />

Begriff <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit nach <strong>de</strong>r Rechtsprechung die<br />

Einbeziehung sozialethischer Wertvorstellungen in die<br />

1<br />

BGH, Urteil v. 20.02.<strong>2013</strong> – 1 StR 585/12, Rn. 3 = <strong>HRRS</strong><br />

<strong>2013</strong>, Nr. 342. Ich danke Jan Sturm für seine hilfreichen<br />

Hinweise.<br />

2<br />

Vgl. nur Fischer, Strafgesetzbuch, 60. Aufl. (<strong>2013</strong>), § 228<br />

Rn. 5.<br />

3<br />

Fischer, a.a.O. (Fn. 2), § 228 Rn. 5; BGHSt 4, 88; BGHSt 4,<br />

118.<br />

4<br />

BGH, Urteil v. 20.02.<strong>2013</strong> – 1 StR 585/12, Rn. 6 = <strong>HRRS</strong><br />

<strong>2013</strong>, Nr. 342; BGH, Beschluss v. 20.11.2012 – 1 StR<br />

530/12 = <strong>HRRS</strong> <strong>2013</strong>, Nr. 75; BGH NStZ 2000, 87, 88; Fischer,<br />

a.a.O. (Fn. 2), § 228 Rn. 5;<br />

5<br />

Vgl. Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch,<br />

4. Aufl. (<strong>2013</strong>), § 228 Rn. 19 f., <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

<strong>de</strong>s Erklärungsgehalts auf die Vorsatzlehre zurückgreift.<br />

Bewertung strafbarer Körperverletzungen möglich und<br />

erfor<strong>de</strong>rlich wer<strong>de</strong>n lässt; nach einer gebräuchlichen<br />

Formel ist die Tat sittenwidrig, wenn sie auch bei grundsätzlicher<br />

Anerkennung <strong>de</strong>s Verfügungsrechts über die<br />

eigene Körperintegrität nach Ziel, Beweggrün<strong>de</strong>n, Mittel<br />

und Art <strong>de</strong>r Verletzung gegen das Anstandsgefühl aller<br />

billig und gerecht Denken<strong>de</strong>n verstößt und ihr <strong>de</strong>shalb<br />

die rechtliche Billigung nach <strong>de</strong>r für das Zusammenleben<br />

grundlegen<strong>de</strong>n Ordnung zu versagen ist. 6<br />

Die <strong>de</strong>r Formel zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong> Unbestimmtheit <strong>de</strong>s<br />

Begriffs <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit hat dazu geführt, dass eine<br />

beachtliche Anzahl von Stimmen im Schrifttum die Vorschrift<br />

für unvereinbar mit Art. 103 II GG und damit für<br />

verfassungswidrig erachtet. 7 Die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung teilt diese Be<strong>de</strong>nken im Ergebnis nicht. 8<br />

Sie hat sich allerdings in jüngerer Zeit bemüht, <strong>de</strong>n Begriff<br />

<strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit auf einen Kerngehalt zu reduzieren,<br />

um <strong>de</strong>n Generalverweis auf moralische Vorstellungen<br />

in einem freiheitlichen Rechtssystem zumin<strong>de</strong>st<br />

in verfassungskonformer Auslegung zu begrenzen. Nur<br />

unter diesen Voraussetzungen sei <strong>de</strong>m Gebot <strong>de</strong>r Vorhersehbarkeit<br />

staatlichen Strafens genüge getan. 9 Sie hat<br />

damit im Grundsatz anerkannt, dass <strong>de</strong>r strafbewehrten<br />

Durchsetzung moralischer Interessen in einer pluralistischen<br />

Gesellschaft mit großer Vorsicht zu begegnen ist.<br />

In seinen Entscheidungen zur Einwilligung in die Verabreichung<br />

von Heroin und in sadomasochistische Sexualpraktiken<br />

betont <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgerichtshof <strong>de</strong>shalb, dass ein<br />

Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher<br />

Gruppen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>r Tat befassten<br />

Strafgerichts nicht ausreiche, um eine Tat als sittenwidrig<br />

zu qualifizieren. 10<br />

Angesprochen ist damit die Frage, welche Zwecke zur<br />

Bestimmung <strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit <strong>de</strong>r Tat herangezogen<br />

wer<strong>de</strong>n dürfen. In <strong>de</strong>r Literatur stehen zahlreiche Stimmen<br />

Zweckerwägungen grundsätzlich skeptisch gegenüber.<br />

11 Nach<strong>de</strong>m das Reichsgericht und die frühere<br />

Rechtsprechung <strong>de</strong>s BGH insbeson<strong>de</strong>re bei „unlauteren“<br />

Zwecken die Beweggrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tat bei <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r Sittenwidrigkeit mit berücksichtigt hatten, 12 hat die<br />

6<br />

BGHSt 4, 91; BayObLG JR 1978, 296 f.; BayObLG NJW<br />

1999, 372 f.; OLG Hamm, JMBlNW 1964, 128 f.<br />

7<br />

Geerds, GA 1954, 262, 266; Roxin, JuS 1964, 283; Berz GA<br />

1969, 145 ff.; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schrö<strong>de</strong>r,<br />

Strafgesetzbuch, 28. Aufl. (2010), § 228 Rn. 1 ff. m.w.N.<br />

8<br />

BGH, Urteil vom 11.12.2003 – 3 StR 120/03, Rn. 16; BGH,<br />

Urteil vom 26.5.2004 – 2 StR 505/03 = <strong>HRRS</strong> 2004, Nr.<br />

624.<br />

9<br />

BGH, Urteil vom 11.12.2003 – 3 StR 120/03, Rn. 16; BGH,<br />

Urteil vom 26.5.2004 – 2 StR 505/03, Rn. 16 = <strong>HRRS</strong><br />

2004, Nr. 624.<br />

10<br />

BGH, Urteil vom 11.12.2003 – 3 StR 120/03, Rn. 16; BGH,<br />

Urteil vom 26.5.2004 – 2 StR 505/03, Rn. 16 = <strong>HRRS</strong><br />

2004, Nr. 624.<br />

11<br />

Fischer, a.a.O. (Rn. 2), § 228 Rn. 9 ff.; Hirsch, in: 50 Jahre<br />

Bun<strong>de</strong>sgerichtshof, Festgabe <strong>de</strong>r Wissenschaft, Bd. IV<br />

(2000), S. 199, 218; Horn/Wolters, in: Systematischer<br />

Kommentar StGB IV, 9. Aufl. (2005), § 228 Rn. 9 mit <strong>de</strong>r<br />

Einschränkung, das zum Zweck <strong>de</strong>r „Vorbereitung, Ver<strong>de</strong>ckung<br />

o<strong>de</strong>r Vortäuschung einer Straftat verfolgte Zwecke“<br />

sittenwidrig seien.<br />

12<br />

RGSt 74, 91, 94; BGHSt 4, 24, 31; OLG Düsseldorf NStZ-<br />

RR 1997, 325, 327; LG Mönchengladbach NStZ-RR 1997,<br />

169, 170; BayObLGSt 1977, 105, 106 f.; BayObLG NJW<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

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