HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen<br />
Führungsaufsichtsinstrument zur Verfügung steht, das<br />
als <strong>de</strong>utlich mil<strong>de</strong>res Mittel gegenüber <strong>de</strong>m eingriffsintensiven<br />
Freiheitsentzug <strong>de</strong>nnoch eine Überwachung <strong>de</strong>s<br />
Entlassenen ggf. „auf Schritt und Tritt“ ermöglicht 193 –<br />
und daher vielleicht, auch rechtspolitischen Zwängen<br />
zum Trotz, künftig eine echte „Freiheitsorientiertheit“<br />
<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung ermöglicht. 194 Allerdings<br />
erscheint zukünftig auch eine Renaissance <strong>de</strong>r nunmehr<br />
nahezu abgeschafften nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />
<strong>de</strong>nkbar; neuerliche Begehrlichkeiten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r<br />
sind im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung<br />
<strong>de</strong>s Abstandsgebots bereits <strong>de</strong>utlich zu Tage getreten. 195<br />
Sollte das Konzept <strong>de</strong>r psychischen Störung, wie hier<br />
vermutet, vor <strong>de</strong>m EGMR Bestand haben, stün<strong>de</strong> einer<br />
Wie<strong>de</strong>reinführung aus rechtlicher Perspektive wenig<br />
entgegen. 196<br />
Eine gänzliche Abschaffung <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung,<br />
wiewohl rechtlich zulässig, erscheint auch auf lange Sicht<br />
extrem unwahrscheinlich. 197 Zu erwarten steht vielmehr<br />
eine ganz an<strong>de</strong>re Fundamental<strong>de</strong>batte. Nach <strong>de</strong>r Binnenlogik<br />
<strong>de</strong>s Präventionsgedankens ist <strong>de</strong>r Zusammenhang<br />
zwischen schuldhaft begangener Anlasstat und vorbeugen<strong>de</strong>m<br />
Freiheitsentzug keine Notwendigkeit. 198 Es ist<br />
nicht in Stein gemeißelt, dass Sicherungsverwahrung<br />
zwingend eine Anlasstat voraussetzte. 199 Zwar hat das<br />
193<br />
Hochmayr ZIS 2012, 537, 541.<br />
194<br />
Vgl. Drenkhahn/Morgenstern ZStW 124 (2012), 132, 183;<br />
Kreuzer ZRP 2011, 7, 9; Streng JZ 2011, 827, 835. Skeptisch<br />
in<strong>de</strong>s Grosse-Bröhmer/Klein ZRP 2010, 172, 174.<br />
195<br />
Siehe BR-Stellungnahme, BT-Drs. 17/9874, S. 37 ff. (zur<br />
Einführung einer „nachträglichen Therapieunterbringung“).<br />
Dazu An<strong>de</strong>rs JZ 2012, 498 ff.; Schöch NK 2012, 47,<br />
53.<br />
196<br />
Vgl. An<strong>de</strong>rs JZ 2012, 498, 500.<br />
197<br />
Vgl. Hörnle NStZ 2011, 488, 492; Streng JZ 2011, 827, 833.<br />
198<br />
So bereits Henkel ZStW 57 (1938), 702, 722 (im Anschluss<br />
an Kleinschrod: „die Sicherungsmaßregel hat eine Verbrechensbegehung<br />
nicht notwendig zur Voraussetzung, da es<br />
bei ihr ausschließlich auf die künftige Gefährdung <strong>de</strong>r Allgemeinheit<br />
ankommt.“). Ebenso <strong>de</strong>rs. ZStW 58 (1939),<br />
167, 168 („nicht wesensnotwendig“).<br />
199<br />
Entsprechen<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rungen auf <strong>de</strong>n Verzicht einer Anlasstat<br />
fin<strong>de</strong>n sich bereits bei Tittmann, Handbuch <strong>de</strong>r Strafrechtswissenschaft,<br />
2. Aufl. (1822), S. 34 (§ 24) i.V.m. S.<br />
264 (§ 133); v. Liszt MschrKrimPsych 1 (1904/05), 8, 9 (in<br />
Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />
BVerfG in seiner Entscheidung zur Unterbringung gefährlicher<br />
Rückfalltäter nach Lan<strong>de</strong>srecht ausgeführt, es<br />
sei „gera<strong>de</strong> und ausschließlich das schwerwiegen<strong>de</strong> und<br />
<strong>de</strong>m Betroffenen zurechenbare Indiz <strong>de</strong>r Anlasstaten,<br />
welches <strong>de</strong>n Staat berechtigt, die Gefährlichkeit seiner<br />
Bürger zu überprüfen und auf das Ergebnis dieser Überprüfung<br />
eine langfristige schuldunabhängige Freiheitsentziehung<br />
zu grün<strong>de</strong>n“; eine Aus<strong>de</strong>hnung darüber hinaus<br />
sei bei psychisch Gesun<strong>de</strong>n „unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />
<strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit […] nicht vertretbar.“ 200<br />
Diese Behauptung ist aber an zwei Stellen brüchig. Was<br />
die indizielle Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Anlasstat anbetrifft, hängt<br />
diese offenkundig von <strong>de</strong>r Qualität sachverständiger<br />
Prognosen ab. Sollten daher z.B. die bildgeben<strong>de</strong>n Verfahren<br />
<strong>de</strong>r Neurowissenschaftler eines Tages auch ohne<br />
Vorliegen einer Anlasstat bessere Vorhersagen über <strong>de</strong>linquentes<br />
Verhalten abgeben können, 201 als es die –<br />
wenig präzisen 202 – Prognosen <strong>de</strong>r psychiatrischen Wissenschaft<br />
heute unter Berücksichtigung einer Anlasstat<br />
tun, dann ist die argumentative Validität insoweit dahin.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren ging das BVerfG seinerzeit ersichtlich von<br />
<strong>de</strong>r Differenzierung psychisch krank/schuldunfähig<br />
einerseits und psychisch gesund/ schuldfähig an<strong>de</strong>rerseits<br />
aus; nur bezüglich <strong>de</strong>r letzteren Personengruppe<br />
bedürfe es zwingend einer Anlasstat. Inwieweit das verfassungsgerichtlich<br />
bereits gebilligte Konzept einer die<br />
Schuldfähigkeit unberührt lassen<strong>de</strong>n psychischen Störung<br />
am zwingen<strong>de</strong>n Erfor<strong>de</strong>rnis einer Anlasstat rüttelt,<br />
bleibt einstweilen offen.<br />
Bezug auf vermin<strong>de</strong>rt Schuldfähige). Vgl. auch Ullenbruch<br />
NStZ 2001, 292, 297 f.<br />
200<br />
BVerfGE 109, 190, 220 Tz. 111. Im Son<strong>de</strong>rvotum wird die<br />
Anlasstat zu<strong>de</strong>m als „verfassungsrechtlich unabdingbare<br />
Voraussetzung“ bzw. „Legitimationsgrundlage“ <strong>de</strong>r Unterbringung<br />
bezeichnet (S. 254 Tz. 208). Ähnlich Rosenau, in:<br />
Festschrift für Venzlaff, S. 292. Zu diesem Gedanken<br />
bereits Exner ZStW 53 (1934), 629, 637 ff.<br />
201<br />
Zur aktuellen Entwicklung siehe Simpson (Hrsg.), Neuroimaging<br />
in Forensic Psychiatry – From the Clinic to the<br />
Courtroom (2012); Sarkar/Clark/Deeley Advances in Psychiatric<br />
Treatment 17 (2011), 191 ff.; McCloskey/ Phan/Coccaro<br />
Current Psychiatry Reports 7 (2005), 65 ff.; Blair British<br />
Journal of Psychiatry 182 (2003), 5 ff.<br />
202<br />
Siehe oben Fn. 63.<br />
<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />
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