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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

ggf. bereits während <strong>de</strong>s Strafvollzugs ausgeschöpft<br />

wer<strong>de</strong>n. 48<br />

- Individualisierungs- und Intensivierungsgebot: Es muss<br />

spätestens zu Beginn <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung<br />

eine umfassen<strong>de</strong> und wissenschaftlichen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen genügen<strong>de</strong> Behandlungsuntersuchung<br />

stattfin<strong>de</strong>n und in einen Vollzugsplan<br />

mün<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re im therapeutischen Bereich<br />

müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft wer<strong>de</strong>n,<br />

ggf. durch ein individuell zugeschnittenes<br />

Therapieangebot. 49<br />

- Motivierungsgebot: Den drohen<strong>de</strong>n psychischen<br />

Auswirkungen, die mit <strong>de</strong>r unbestimmten Dauer<br />

<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung verbun<strong>de</strong>n sind, ist<br />

durch ein Behandlungs- und Betreuungsangebot zu<br />

begegnen. 50<br />

- Trennungsgebot: Der äußere Vollzugsrahmen muss<br />

einen <strong>de</strong>utlichen Abstand zum regulären<br />

Strafvollzug erkennen lassen. Eine vollständige<br />

räumliche Ablösung vom Strafvollzug ist jedoch<br />

nicht erfor<strong>de</strong>rlich. 51<br />

- Minimierungsgebot: Die gebotene Konzeption muss<br />

Vollzugslockerungen vorsehen und Vorgaben zur<br />

Entlassungsvorbereitung enthalten. Entlassungsvorbereitungen<br />

sind mit planmäßigen Hilfen für die<br />

Phase nach <strong>de</strong>r Entlassung zu verzahnen. 52<br />

- Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot: Dem Untergebrachten<br />

ist ein Rechtsanspruch auf Durchführung<br />

<strong>de</strong>r zur Reduzierung seiner Gefährlichkeit<br />

gebotenen Maßnahmen einzuräumen; er ist bei <strong>de</strong>r<br />

Wahrnehmung seiner Interessen zu unterstützen. 53<br />

- Kontrollgebot: Die Fortdauer <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung<br />

ist min<strong>de</strong>stens jährlich gerichtlich zu<br />

überprüfen. Anhaltspunkte für eine Aussetzungsreife<br />

gebieten eine unverzügliche geson<strong>de</strong>rte<br />

Überprüfung. 54<br />

Die praktische Umsetzung <strong>de</strong>s Abstandsgebots und seiner<br />

Sub-Gebote ist trotz dieser <strong>de</strong>taillierten Vorgaben<br />

nicht einfach. Nicht zu Unrecht haben verschie<strong>de</strong>ne<br />

Autoren darauf hingewiesen, dass es sich bei <strong>de</strong>r verfassungsgerichtlich<br />

eingefor<strong>de</strong>rten Therapie- und Freiheitsorientierung<br />

<strong>de</strong>s Maßregelvollzugs weitgehend um eine<br />

bloße Reformulierung <strong>de</strong>r auch für <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Strafvollzug<br />

gelten<strong>de</strong>n Prinzipien han<strong>de</strong>lt 55 (eine Ausnahme<br />

bil<strong>de</strong>n freilich das Ultima-ratio- und das räumliche Trennungsgebot).<br />

Vor diesem Hintergrund ist wie<strong>de</strong>rholt die<br />

Befürchtung geäußert wor<strong>de</strong>n, die Herstellung <strong>de</strong>s gefor<strong>de</strong>rten<br />

Abstands könne auch durch eine Herabsenkung<br />

48<br />

BVerfGE 128, 326, 379 Tz. 112.<br />

49<br />

BVerfGE 128, 326, 379 f. Tz. 113.<br />

50<br />

BVerfGE 128, 326, 380 Tz. 114.<br />

51<br />

BVerfGE 128, 326, 380 f. Tz. 115.<br />

52<br />

BVerfGE 128, 326, 381 f. Tz. 116. Eingehend Köhne ZRP<br />

2012, 89.<br />

53<br />

BVerfGE 128, 326, 382 Tz. 117.<br />

54<br />

BVerfGE 128, 326, 382 Tz. 118.<br />

55<br />

Streng JZ 2011, 827, 831.<br />

Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />

<strong>de</strong>r Strafvollzugsstandards erzielt wer<strong>de</strong>n; 56 mithin ginge<br />

das Abstandsgebot letztlich zu Lasten <strong>de</strong>r Strafhäftlinge,<br />

ohne aber die Situation für <strong>de</strong>n Maßregelvollzug zu verbessern.<br />

Eine weitere Konsequenz eines solcherart wörtlich<br />

genommenen Abstandsgebots läge in <strong>de</strong>r Unmöglichkeit<br />

einer maximalen Optimierung von Straf- und Maßregelvollzug.<br />

„Zugespitzt formuliert: eine Verletzung <strong>de</strong>s<br />

‚Abstandsgebots‘ wäre auch dann gegeben, wenn sowohl<br />

Freiheitsstrafe als auch Sicherungsverwahrung in mustergültiger,<br />

aber gleicher Weise ‚freiheits- und therapieorientiert‘<br />

ausgestaltet wären.“ 57<br />

Das BVerfG hat diesen <strong>de</strong>m Abstandsgebot inhärenten<br />

Konflikt im Ansatz auch erkannt – ist darüber jedoch mit<br />

einer lapidar-substanzlosen Bemerkung hinweggegangen.<br />

58 Dennoch kann we<strong>de</strong>r davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass das Gericht sich mit einer Abstandsherstellung<br />

„nach unten“ zufrie<strong>de</strong>n geben wür<strong>de</strong>, noch, dass Resozialisierungsbemühungen<br />

im Strafvollzug künftig bewusst<br />

suboptimal gehalten sein müssen. Aufschluss über das<br />

vom BVerfG tatsächlich Gemeinte gibt die vom Gericht<br />

bemühte Herleitung <strong>de</strong>s Abstandsgebots. Dieses beruhe,<br />

so das BVerfG, auf <strong>de</strong>n „kategorial unterschiedlichen<br />

Legitimationsgrundlagen und Zwecksetzungen <strong>de</strong>s Vollzugs<br />

<strong>de</strong>r Freiheitsstrafe und <strong>de</strong>s Vollzugs <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung“.<br />

59 Während nämlich <strong>de</strong>r repressive Strafvollzug<br />

eine Reaktion auf die vorwerfbare Begehung<br />

einer Straftat darstellt, beruhe das Präventionsinstrument<br />

<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung allein auf <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>s<br />

überwiegen<strong>de</strong>n Interesses. Wer<strong>de</strong> aber ein als weiterhin<br />

hochgefährlich eingeschätzter Verurteilter nach Verbüßung<br />

seiner Strafe allein aufgrund eines überwiegen<strong>de</strong>n<br />

Sicherheitsinteresses <strong>de</strong>r Allgemeinheit in seinen Freiheitsinteressen<br />

beschränkt, verlange <strong>de</strong>r Staat <strong>de</strong>m solcherart<br />

Verwahrten ein „Son<strong>de</strong>ropfer“ ab. 60 Diesem Umstand<br />

müsse im Gegenzug mit einem privilegierten Vollzug<br />

Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese verfassungsgerichtlichen Erwägungen sind durchaus<br />

plausibel: Während <strong>de</strong>r zu Freiheitsstrafe verurteilte<br />

Straftäter, gleichsam einem rechtswidrig Angreifen<strong>de</strong>n,<br />

die Reaktion <strong>de</strong>r Rechtsordnung sich selbst zuzuschreiben<br />

hat, wird <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrte zur Gefahrenabwehr<br />

herangezogen, ohne dass ihm sein mutmaßliches<br />

So-(gefährlich-)sein vorgeworfen wer<strong>de</strong>n könnte. D.h.<br />

während die Strafhaft eher einer lediglich vom Erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

und von <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> begrenzten Notwehr<br />

(„zur Verteidigung <strong>de</strong>r Rechtsordnung“, § 47 Abs. 2<br />

StGB) entspricht, wird <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrte im Mo-<br />

56<br />

Vgl. Kreuzer/Bartsch StV 2011, 472, 479; Höffler/Kaspar<br />

ZStW 124 (2012), 87, 115 („Man sollte nicht vergessen:<br />

Abstand lässt sich stets in bei<strong>de</strong> Richtungen herstellen.“);<br />

Singelnstein ZJS 2012, 128, 131. Eschelbach (Fn. 36), § 66b<br />

Rn. 18 bezeichnet daher das Abstandsgebot sogar als „seinerseits<br />

verfassungswidrig“.<br />

57<br />

Höffler/Kaspar ZStW 124 (2012), 87, 119. Ähnlich Drenkhahn/Morgenstern<br />

ZStW 124 (2012), 132, 196.<br />

58<br />

BVerfGE 128, 326, 377 Tz. 108 („Dies mag <strong>de</strong>r Ausfüllung<br />

<strong>de</strong>s Abstandsgebots gewisse faktische Grenzen setzen.“).<br />

59<br />

Krit. zu dieser Behauptung Kreuzer/Bartsch StV 2011, 472,<br />

473; Höffler/Kaspar ZStW 124 (2012), 87, 111 ff. Hingegen<br />

zutreffend <strong>de</strong>n kategorialen Unterschied zwischen Strafe<br />

und Maßregel betonend Radtke GA 2011, 636 ff.; Landau<br />

NStZ 2011, 537, 538 f.<br />

60<br />

BVerfGE 128, 326, 374 Tz. 101.<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

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