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HRRS Ausgabe 5/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

<strong>de</strong>r oberlan<strong>de</strong>sgerichtlichen Rspr. kontrovers beurteilt<br />

wor<strong>de</strong>n. 83 Angesichts einer durchschnittlichen Zimmergröße<br />

von 13 m² in bayerischen Stu<strong>de</strong>ntenwohnheimen 84<br />

erscheint die Regelung <strong>de</strong>s Art. 16 Abs. 1 S. 4 BaySvVollzG<br />

aber durchaus noch im Bereich <strong>de</strong>s verfassungsrechtlich<br />

Zulässigen angesie<strong>de</strong>lt. Weitere Privilegierungen<br />

<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrten betreffen die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Selbstverpflegung (Art. 19 Abs. 2 BaySvVollzG), die<br />

Nutzung von eigener Kleidung, Wäsche und Bettzeug<br />

(Art. 18 BaySvVollzG) 85 sowie <strong>de</strong>r Gestattung eines anstaltsinternen<br />

Tauschhan<strong>de</strong>ls mit geringwertigen Sachen<br />

(Art. 17 Abs. 3 BaySvVollzG).<br />

Des Weiteren sind <strong>de</strong>n Untergebrachten erweiterte Rechte<br />

zu Außenkontakten zu gewähren. Neben <strong>de</strong>r Gestattung<br />

vermittelter Telefongespräche (Art. 25 Abs. 1 BaySvVollzG)<br />

sowie <strong>de</strong>r Nutzung an<strong>de</strong>rer Formen <strong>de</strong>r Telekommunikation<br />

(Art. 30 BaySvVollzG, bspw. E-Mail-<br />

Verkehr und Bildtelefonie) haben die Sicherungsverwahrten<br />

gem. Art. 22 Abs. 1 BaySvVollzG das Recht, min<strong>de</strong>stens<br />

zwölf Stun<strong>de</strong>n im Monat Besuch zu empfangen. 86<br />

Abs. 2 <strong>de</strong>s Artikels sieht darüber hinaus bei geeigneten<br />

Sicherungsverwahrten mehrstündige, behandlerisch<br />

begleitete Besuche zur För<strong>de</strong>rung familiärer, partnerschaftlicher<br />

o<strong>de</strong>r ähnlicher Kontakte vor. Ob damit, wie<br />

<strong>de</strong>r Gesetzgeber meint, Intimbesuche per se ausgeschlossen<br />

sind, 87 mag bereits angesichts <strong>de</strong>s offenen Normwortlauts<br />

bezweifelt wer<strong>de</strong>n. In je<strong>de</strong>m Fall aber wäre ein<br />

kategorisches Intimbesuchsverbot als mit Erfor<strong>de</strong>rlichkeitserwägungen<br />

kaum begründbare Schikane mit <strong>de</strong>m<br />

Gebot eines minimalinvasiven Freiheitsentzugs unvereinbar;<br />

88 <strong>de</strong>r ggf. lebenslange Entzug von Sexualkontakten<br />

ist insoweit unzumutbar und unterschreitet das Erfor<strong>de</strong>rnis<br />

eines bestimmten Min<strong>de</strong>stlebensqualitätsniveaus<br />

in <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung. Immerhin sind im<br />

System „vollzugsöffnen<strong>de</strong>r Maßnahmen“ (Art. 54 BaySvVollzG)<br />

– <strong>de</strong>r Begriff ist § 66c Abs. 1 Nr. 3 lit. a StGB<br />

entlehnt – auch Langzeitausgänge von bis zu zwei Wochen<br />

vorgesehen. Können entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen<br />

aus Sicherheits- o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren zwingen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n nicht<br />

gewährt wer<strong>de</strong>n, hat <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrte Anspruch<br />

auf eine min<strong>de</strong>stens viermal im Jahr erfolgen<strong>de</strong> Ausführung.<br />

Weitere Unterschie<strong>de</strong> zum Strafvollzug bestehen<br />

schließlich in <strong>de</strong>r signifikant erhöhten Vergütung für<br />

beschäftigte Verwahrte (gem. Art. 39 Abs. 3 S. 1 BaySvVollzG<br />

i.V.m. § 18 SGV IV <strong>de</strong>rzeit 2,52 € Stun<strong>de</strong>nlohn<br />

statt 1,42 € im Strafvollzug) sowie in <strong>de</strong>r Ergänzung <strong>de</strong>s<br />

Disziplinarmaßnahmenkatalogs um Mechanismen gütlicher<br />

Streitbeilegung (Art. 78 Abs. 5 BaySvVollzG).<br />

83<br />

Siehe etwa OLG Naumburg Forum Strafvollzug 2012, 55,<br />

58 (min<strong>de</strong>stens 20 m²) versus OLG Hamm (Fn. 47), Tz.<br />

26.<br />

84<br />

Arloth Forum Strafvollzug 2012, 59, 60.<br />

85<br />

Nach Bartsch Forum Strafvollzug 2011, 267, 270 ist allerdings<br />

die Nutzung eigener Kleidung auch in <strong>de</strong>r Strafhaft<br />

„vielerorts längst erlaubt“.<br />

86<br />

Zum Vergleich: Nach Art. 27 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG<br />

beträgt das Besuchsrecht Strafgefangener min<strong>de</strong>stens eine<br />

Stun<strong>de</strong> im Monat.<br />

87<br />

BayLT-Drs. 16/13834, S. 38.<br />

88<br />

Zur Problematik im Bereich <strong>de</strong>s Strafvollzugs siehe Joester/Wegner,<br />

in: Alternativ-Kommentar-StVollzG, 6. Aufl.<br />

(2012), § 24 Rn. 26.<br />

Zimmermann – Das neue Recht <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung (ohne JGG)<br />

Insgesamt lässt sich sagen, dass das BaySvVollzG, von<br />

<strong>de</strong>n im Text angesprochenen Problempunkten abgesehen,<br />

<strong>de</strong>n verfassungs- und sonstigen bun<strong>de</strong>srechtlichen Vorgaben<br />

zum Abstandsgebot Genüge tut. Es steht zu erwarten,<br />

dass <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrvollzug in Bayern aus<br />

Sicht <strong>de</strong>r Betroffenen künftig spürbare Erleichterungen<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Strafvollzug bereithält.<br />

IV. Die einzelnen Formen <strong>de</strong>r<br />

Sicherungsverwahrung<br />

1. Anfängliche Sicherungsverwahrung<br />

a) Die anfängliche (auch: primäre 89 o<strong>de</strong>r originäre 90 )<br />

Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB bleibt hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r formellen und materiellen Voraussetzungen unverän<strong>de</strong>rt.<br />

Erfor<strong>de</strong>rlich sind im Wesentlichen min<strong>de</strong>stens zwei<br />

schwere Vortaten, eine bzw. mehrere Vorverurteilungen<br />

sowie eine negative Prognose dahingehend, <strong>de</strong>r Täter<br />

wer<strong>de</strong> auch in Zukunft infolge seines Hangs zu erheblichen<br />

Straftaten eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.<br />

Auf eine nähere Aufzählung <strong>de</strong>r Voraussetzungen im<br />

Einzelnen wird hier verzichtet. 91<br />

b) Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist die<br />

Beibehaltung <strong>de</strong>s „alten“ § 66 StGB nicht zu beanstan<strong>de</strong>n.<br />

Denn das Verdikt <strong>de</strong>r Verfassungswidrigkeit beruhte<br />

allein auf <strong>de</strong>r Verletzung <strong>de</strong>s Abstandsgebots beim Vollzug.<br />

92 Ferner war es, entgegen Hörnle, 93 auch nicht erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

die Vorschriften zur Anordnung <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung<br />

– hier: § 66 StGB – in unverän<strong>de</strong>rter Form<br />

erneut zu verabschie<strong>de</strong>n. 94 Das BVerfG hat die fragliche<br />

Norm nämlich gera<strong>de</strong> nicht für nichtig (also rechtlich<br />

inexistent), son<strong>de</strong>rn lediglich für mit <strong>de</strong>r Verfassung<br />

unvereinbar erklärt. 95 Demgemäß han<strong>de</strong>lt es sich „nur“<br />

um eine Normbeanstandung, welche eine Anwendungssperre<br />

bewirkt. 96 Repariert <strong>de</strong>r Gesetzgeber das Anwendungshin<strong>de</strong>rnis<br />

– hier: mittels Wahrung <strong>de</strong>s Abstandsgebots<br />

durch § 66c StGB i.V.m. <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sgesetzen über<br />

<strong>de</strong>n Vollzug <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung –, steht <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>ranwendbarkeit<br />

<strong>de</strong>r alten Norm nichts im Weg. 97<br />

Gleichwohl hat sich <strong>de</strong>r Gesetzgeber immerhin dazu<br />

veranlasst gesehen, „zur Klarstellung“ in Art. 316f Abs. 1<br />

89<br />

So Kinzig NJW 2011, 177. Grosse-Bröhmer/Klein ZRP 2010,<br />

172, 174 verwen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Begriff „ursprüngliche“ Sicherungs-verwahrung.<br />

90<br />

Mosbacher <strong>HRRS</strong> 2011, 229, 237.<br />

91<br />

Guter Kurzüberblick bei Esser JA 2011, 727, 733; Mitsch JuS<br />

2011, 785, 787 f.; Kinzig NJW 2011, 177 f. Ein vollständiger<br />

Katalog möglicher Anlasstaten fin<strong>de</strong>t sich bei Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern<br />

(Fn. 6), § 66 Rn. 61 f.<br />

92<br />

Hörnle NStZ 2011, 488, 492; An<strong>de</strong>rs JZ 2012, 498, 500.<br />

93<br />

Hörnle NStZ 2011, 488, 493. Wohl ebenso Bartsch Forum<br />

Strafvollzug 2011, 267, 273; Kreuzer/Bartsch StV 2011, 472,<br />

479.<br />

94<br />

Ebenso BT-Drs. 17/11388, S. 33 f.<br />

95<br />

BVerfGE 128, 326 Tenor zu II.<br />

96<br />

Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,<br />

BVerfGG, 29. EL (Stand 10/2008), § 78 Rn. 56-63.<br />

97<br />

Vgl. auch Volkmann JZ 2011, 835, 840 („Nicht durch das,<br />

was sie enthalten, verstoßen [die vorhan<strong>de</strong>nen Regelungen]<br />

gegen das GG, son<strong>de</strong>rn durch das, was ihnen noch alles<br />

fehlt.“).<br />

<strong>HRRS</strong> Mai <strong>2013</strong> (5/<strong>2013</strong>)<br />

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