Buch - Prof. Dr. Erika Schuchardt
Buch - Prof. Dr. Erika Schuchardt
Buch - Prof. Dr. Erika Schuchardt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
100 Brückenbau – 15 Jahre Begegnungsschulen im Südlichen Afrika<br />
eine fremde Sprache, von der wir fast gar nichts verstehen konnten. Es dauerte<br />
lange, bis wir den Sinn der DSJ als Begegnungsschule begriffen hatten. Viele<br />
von uns waren nur hier, weil unsere Eltern meinten, dass es hier eine bessere<br />
Ausbildung gebe und dass es eine einmalige Gelegenheit sei, Deutsch zu lernen<br />
und etwas von der deutschen Kultur zu erfahren.<br />
Ich habe hart gearbeitet, und es hat sich für mich wirklich gelohnt. Als ich<br />
gleich im ersten Jahr eine Auszeichnung für hervorragende Leistungen (academic<br />
achievement) bekam, haben meine Familie und ich uns sehr gefreut.<br />
Gleichzeitig wurde für mich aber ein neues Problem deutlich: die anderen Kinder<br />
in meiner Klasse waren alle gewohnt, die besten SchülerInnen ihrer Schulen<br />
zu sein. Jetzt bekamen sie aber keine Auszeichnung: das war nicht einfach für<br />
sie – und für mich.<br />
Seit der 8. Klasse war meine beste Freundin an der Schule ein deutsches<br />
Mädchen. Ich kannte sie schon vorher, aber es hat einige Zeit gedauert, bis wir<br />
einander wirklich ohne Vorurteile als Menschen akzeptieren konnten. Dass ich<br />
ein deutsches Mädchen als beste Freundin hatte, fanden einige von meinen<br />
nicht-deutschen Freunden nicht richtig.<br />
1989 waren in Südafrika die Schulen noch nach Hautfarben getrennt und<br />
die Ausbildung an den schwarzen oder „farbigen“ Schulen sehr schlecht. So war<br />
es eine einmalige Gelegenheit für mich, die DSJ besuchen zu können. Natürlich<br />
hat sich meine Familie sehr gefreut, aber es gab ein kleines Problem: weil ich<br />
jeden Tag sehr lange in der Schule bleiben musste, hatte ich keine Zeit, während<br />
der Woche die islamische Schule zu besuchen. Der Lehrer dort war darüber<br />
nicht sehr glücklich, aber er hat mir geholfen, indem er mich an den Wochenenden<br />
privat unterrichtet hat. Ich habe aber dadurch den Kontakt zu anderen<br />
muslimischen Kindern verloren. An der DSJ war ich für die meisten vielleicht<br />
die erste und einzige Muslimin, die sie an der Schule getroffen haben. Das hat<br />
mich gezwungen, mehr über meine Religion und meine Lebensweise zu lernen,<br />
denn ich wollte alle Fragen, die die anderen hatten, beantworten und meine<br />
Lebensweise verteidigen können. Viele an der Schule hatten keine Religion,<br />
und wir haben oft über den Islam gesprochen. Die meisten haben vorher nichts<br />
über meine Religion gewusst. Manche haben sich zum Beispiel darüber lustig<br />
gemacht, dass ich mich zum Gebet hinknie. Mit zehn Jahren hat mich das sehr<br />
verletzt, aber mein Glaube hat mir geholfen, Antwort auf die Fragen zu fi nden,<br />
die uns alle beschäftigten: „Wer bin ich? Wie fi nde ich meinen Platz in der Gesellschaft?“.<br />
Die Schule war sehr tolerant mir gegenüber, in Bezug auf Essen zum Beispiel.<br />
Alle wussten, dass ich nicht alles essen konnte, und sie haben mir immer<br />
geholfen. Während des Ramadans brauchte ich nicht am Sportunterricht teilzunehmen.<br />
Aber ich fand die Schuluniform sehr „muslim-unfreundlich“. Muslimische<br />
Mädchen und Frauen sollen ihre Beine nicht zeigen. Ich habe versucht,<br />
meinen Rock so lang wie möglich zu tragen, aber er war immer noch zu kurz.<br />
Und im Sommer durfte man keine Hose tragen. Ich wusste auch immer, dass<br />
es unmöglich wäre, ein Kopftuch in der Schule zu tragen. Ich fühlte mich aber<br />
nicht weniger als Muslimin, obwohl ich mich nicht „richtig“ anziehen konnte. Wir<br />
hatten ja eine Schuluniform, und ich musste das respektieren und akzeptieren.<br />
Es war ein kleiner Preis für alles, was die Schule für mich getan hat. Das erste<br />
Brückenbau - neues Format.indd 100 17.01.2005 15:47:28