Buch - Prof. Dr. Erika Schuchardt
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Integrationsversuche – erlebt und erlitten<br />
43<br />
Der 21. Juni 1990 war bei diesem Bemühen sicherlich ein historisches Datum,<br />
für alle Beteiligten, auch für mich selbst, eine Lehrstunde, ein Beleg dafür,<br />
wie viel auf dem Weg zu echter Begegnung in der Schule und außerhalb von<br />
deren Mauern noch zu tun blieb. Es war, drei Monate nach meiner Ankunft in<br />
Namibia, meine erste Grundsatzrede vor der versammelten Gemeinschaft der<br />
Eltern im Rahmen einer außerordentlichen Jahreshauptversammlung, die wegen<br />
anstehender Vorstandsneuwahlen erforderlich geworden war.<br />
Zum ersten Male seit meinem Eintritt in den Auswärtigen Dienst hatte ich<br />
den Eindruck, dass ich mich bei der Berufswahl getäuscht hatte. Die Versammlung,<br />
mehrere hundert Personen, angelockt nicht zuletzt von der Neugierde auf<br />
den ersten deutschen Botschafter im gerade unabhängigen Lande, geriet zum<br />
Hexenkessel, in dem ich mir vorkam wie ein umstrittener Politiker in der heißen<br />
Phase des Wahlkampfes. Das Protokoll notiert an einigen Stellen: „Helle Aufregung<br />
und Empörung im Saal“, Rufe wie „Hör’ doch auf“, „Buh“, „Pfui“.<br />
Ich stand die knapp 20 Minuten am Rednerpult tapfer durch, tröstete mich<br />
mit doch auch recht deutlicher Zustimmung und Beifall eines Teils der Versammlung.<br />
Tief beeindruckt aber bin ich bis heute von der Reaktion des oben schon<br />
erwähnten Nestors und Ehrenvorsitzenden des Schulvereins, Wilhelm Weitzel,<br />
sicherlich selbst eines Konservativen im besten Sinne des Wortes, der neben<br />
mir saß und sich bei meiner Rückkehr zu meinem Platz an mich wandte und mir<br />
zufl üsterte. „Machen Sie sich nichts draus. Diese Leute sind ja so unverständig!“<br />
Herr Weitzel, der danach für viele Jahre für mich eine Art väterlicher Freund war,<br />
hat mir damals in seiner Weisheit und Klugheit ganz wesentlich dabei geholfen,<br />
nicht den Mut zu verlieren und mich in Fragen der Schulpolitik weiter aktiv zu<br />
engagieren und einzumischen.<br />
Was hatte die Versammlung so aufgebracht? Ich unterstrich zunächst noch<br />
einmal die Zielsetzung der Begegnungsschule und zitierte den Beschluss des<br />
Deutschen Bundestages, in dem es heißt: „Der Deutsche Bundestag fordert<br />
die Bundesregierung auf, den Begegnungscharakter aller deutschen Schulen im<br />
Ausland stärker als bisher und wenn nötig nachdrücklich zu verwirklichen. Dieses<br />
gilt insbesondere für das Südliche Afrika.“ Ich betonte und wiederholte dabei,<br />
nicht zur Freude aller Anwesenden, „aller“, „nachdrücklich“ und „insbesondere“.<br />
Es war klar, dass hiermit auch mit dem Knüppel des Subventionsentzugs gedroht<br />
wurde. Auch die Bemerkung, dass Kinder mit dem Begegnungscharakter<br />
von Schulen keine Probleme hätten, diese vielmehr von den Eltern kämen, stieß<br />
nicht gerade auf Beifall. Konkret forderte ich, mit der Öffnung der Schule nicht<br />
auf halbem Wege stehen zu bleiben, auch das Heim in diese Öffnung einzubeziehen<br />
– wörtlich: „Die Geduld der Bundesregierung in diesem Punkt ist nicht<br />
grenzenlos“ –, die durch den Fremdsprachenzweig notwendige Zweisprachigkeit<br />
nicht als Belastung, sondern als Chance zu begreifen, bei den anstehenden Vorstandswahlen<br />
auch Vertreter von anderen Gruppen als denen, die den Vorstand<br />
bisher dominierten, zu berücksichtigen, einschließlich von Eltern der Kinder des<br />
Fremdsprachenzweiges. Letztendlich brachte die Bemerkung, die Apartheid in<br />
den Köpfen müsse abgebaut werden, das Fass zum Überlaufen.<br />
Die Quittung für diese unbotmäßige Behandlung eines Großteils der Elternschaft<br />
bekam ich – und mit mir diejenigen, die auf meiner Seite standen<br />
– noch am selben Abend präsentiert: das Ergebnis der Vorstandswahlen hätte<br />
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