Buch - Prof. Dr. Erika Schuchardt
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224 Brückenbau – 15 Jahre Begegnungsschulen im Südlichen Afrika<br />
phase 5): ‚Wozu …, alles ist sinnlos …?’ bis hin zur Annahme (Spiralphase 6):<br />
‚Ich erkenne erst jetzt …!‘ zu neuer Aktivität (Spiralphase 7): ‚Ich tue das …!’<br />
letztendlich zur Solidarität (Spiralphase 8): ‚Wir handeln gemeinsam …! 8 Im<br />
Zusammenwirken von Kopf, Herz und Hand windet sich der schon betroffene<br />
Mensch durch die 8 Spiralphasen hindurch, im Eingangs-Stadium primär kognitiv-reaktiv<br />
vom ‚Kopf’ her gesteuert, im Durchgangs-Stadium primär emotional<br />
vom ‚Herzen’ her ungesteuert und im Ziel-Stadium primär refl exiv-aktional von<br />
der ‚Hand’ her gesteuert.<br />
Exemplarisch in Testimonies: Da ist beispielsweise das Bekenntnis einer<br />
weißen Schülerin, der mit Schrecken bewusst wird, mit 17 Jahren erstmalig und<br />
überdies nur gezwungenerweise nach Soweto gekommen zu sein, wo sie viele<br />
ihrer Mitschülerinnen und -schüler unvorstellbar verarmt im Township so ‚selbstverständlich<br />
neben ihr’ leben sah (Testimony Natalie, weiß, S. 88). Da waren<br />
die weißen Eltern, die übereinstimmend nicht wollten, „dass ihre Kinder mit der<br />
‚schwarzen’ Parallelklasse ins Schulcamp fuhren“ (Testimony Eltern, S. 105). Da<br />
war die Lehrkraft, die die Begegnung mit den neuen Förderklassen immer wieder<br />
herauszögerte mit dem Argument: „Der kostbare Deutschunterricht dürfe ja<br />
nicht ausfallen.“ (Testimony Nicola, weiß, S. 134).<br />
Aber beim Durchlaufen der Krisenspirale entwickeln sich für alle ungeahnte<br />
Möglichkeiten. Da erwächst für eine schon fremde Schülerin aus dem Township<br />
die Chance, neben dem eigenen Schulbesuch unerwartet die eigene Familie<br />
und die Freundinnen aus ihrem Umkreis, ihrer ursprünglichen Beheimatung<br />
„kräftig mit zu erziehen und … mit ihnen das Wissen, das ich in der DSP bekomme“,<br />
zu teilen. (Testimony Glacia, schwarz, S. 139). Das reicht bis zu dem festen<br />
Vorsatz, die eigenen Kinder auf eine Schule zu schicken, „die wie die Deutsche<br />
Schule ein Begegnungskonzept hat“ (Testimony Nadine, schwarz, S. 82).<br />
Da erschließt sich komplementär für die noch nicht fremden, weißen<br />
Schüler aus ihrer ursprünglichen ‚Furcht’ vor den schon fremden schwarzen/coloured<br />
Mitschülern eine anwachsend ‚ehr-fürchtige’ Haltung gegenüber der von<br />
jenen zu bewältigenden vierfachen Herausforderung: schulische und sprachliche<br />
Leistung, familiär/soziale Einfl ussnahme und Gewinnung kultureller/interkultureller<br />
Kompetenz in der alltäglichen Gleichzeitigkeit zweier Welten. Das<br />
bedeutet im Einzelnen:<br />
- schulisch: das Abschluss-Examen, die Matrik, erreichen<br />
- sprachlich: in drei bis vier Sprachwelten gleichzeitig leben: bis zum Schuleintritt<br />
in einer afrikanischen Sprache, z. B. Zulu, Afrikaans oder Englisch, bis<br />
zur 5. Klasse in der Förderklasse der neuen Sekundarstufe der Begegnungsschule<br />
in Englisch, bis zur 10. Klasse die Matrik in Deutsch vollbringen<br />
- familiär/sozial: alltäglich neu zur Aufrechterhaltung der Familie, u. a. im<br />
Township, selbstverständlich beitragen<br />
8<br />
<strong>Schuchardt</strong>, <strong>Erika</strong>: Krisen-Management und Integration. a.a.O., 2003, Bd. 1: Biographische<br />
Erfahrung und wissenschaftliche Theorie, S. 15<br />
<strong>Schuchardt</strong>, <strong>Erika</strong>: Warum gerade ich …? Leben lernen in Krisen. Fazit aus Lebensgeschichten<br />
eines Jahrhunderts. Göttingen 2004, 12. Aufl age, ausgezeichnet mit dem<br />
Literaturpreis, S. 33ff<br />
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