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PLATFORM3 - Räume für zeitgenössische Kunst - 2009

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Liquid Archives –<br />

Notes on Relations, Ruptures and Silences<br />

Anna Schneider<br />

Die Ausstellung Liquid Archives hinterfragt die<br />

Mechanismen der Geschichtsproduktion. Die<br />

Idee von Geschichte als einer unumstößlichen,<br />

großen Erzählung, die sich aus den Tiefen vermeintlich<br />

statischer Archive speist, wird dekonstruiert.<br />

Der Begriff des „flüssigen Archivs“<br />

steht hierbei vor allem <strong>für</strong> einen alternativen<br />

Zugang zu globaler Geschichte und politischer<br />

Gegenwart. Ermöglicht wird dieser Perspektivwechsel<br />

durch die Hinwendung zu einer ozeanischen<br />

Betrachtungsweise. Die Idee dieses<br />

Maritime Turns funktioniert als eine Art Gegenentwurf<br />

zu terrestrischer Betrachtung. Letztere<br />

erzählt primär von Nationalstaatlichkeit und<br />

Abgrenzung. Die ozeanische Perspektive hingegen<br />

lebt von der Vision multilateraler Geschichten,<br />

verbunden durch weite räumliche und lange<br />

zeitliche Bögen. Das Meer, per se global – physisch<br />

und ideell, wird als ursprüngliche Struktur<br />

der globalen Vernetzung verstanden, und die<br />

Metaphorik des Meeres wird in interdisziplinären<br />

Ansätzen als Methode genutzt, politische, ökonomische<br />

und kulturelle Zusammenhänge neu<br />

zu überdenken. Maritimer Wandel meint also<br />

einen Denkraum, der in Verbindung mit dem<br />

Phänomen der Globalisierung einen neuen<br />

Zugang zu Geschichte und Gegenwart herstellt.<br />

Der hier dargestellte Ansatz findet sich in<br />

künstlerischer Praxis oftmals bereits realisiert.<br />

Dies zu zeigen, ist die Absicht der Ausstellung<br />

Liquid Archives. Die Arbeiten der 19 Künstler-<br />

Innen aus 12 Ländern befassen sich alle, wenn<br />

auch in unterschiedlicher Weise mit der Überschreitung<br />

von Grenzen, seien sie zeitlicher,<br />

räumlicher oder formaler Natur oder sei es die<br />

Grenze zwischen Realität und Fiktion. Sie alle<br />

sind daran beteiligt, Ansätze einer alternativen<br />

Moderne in ihrem Zirkulieren um Themen wie<br />

Archiv, Konstruktion des Wissens, Gleichzeitigkeit<br />

der Ungleichzeitigkeit, Mobilität, Verbindung<br />

und Grenzen zu artikulieren und damit, über die<br />

Perspektive des Ozeanischen, neue (Zwischen-)<br />

<strong>Räume</strong> zu eröffnen und bewusst zu machen.<br />

Den gedanklichen Ausgangspunkt bildet<br />

Frédéric Bruly Bouabré (*1923, Elfenbeinküste),<br />

der sich seit seinem zwanzigsten Lebensjahr<br />

als Autodidakt mit Literatur, Ästhetik, Geschichte,<br />

Naturwissenschaften, Politik und Religion<br />

beschäftigt. Mitte der 60er Jahre beginnt er<br />

unter dem Titel Connaissance du Monde eine<br />

Kosmogonie – einen Werkzyklus, der die enzyklopädische<br />

Sammlung der Erkenntnisse der<br />

Welt zum Ziel hat. Die kleinformatigen, stets aus<br />

einem Bild und einem Textelement zusammengesetzten<br />

Zeichnungen sind einer archivarischen<br />

Praxis verpflichtet, relativieren jedoch<br />

dominante, westliche Taxonomien. Sie zeigen<br />

eine andere, nur zum Teil fassbare Ordnungsstruktur.<br />

Das Gleiche gilt <strong>für</strong> die Arbeit des aus<br />

Algerien stammenden, in Deutschland lebenden<br />

Künstlers und Designers Hamid Zenati<br />

(*1944), der sich in einem zutiefst autonomen<br />

Bilduniversum bewegt.<br />

Die Suche nach einer Ordnung, die fotografischer<br />

Logik, der Materialisierung der Realität<br />

und der Psychologie des Fotografen selbst<br />

gerecht wird, treibt auch Nadim Asfar (*1976,<br />

Libanon) bei der Serie Les Constallations an.<br />

Les Constallations speisen sich aus unzähligen<br />

Fotos, die er vom Balkon seiner Beiruter Wohnung<br />

aufgenommen hat und die er zu großformatigen,<br />

hochauflösenden, sich aus einem<br />

Raster zusammensetzenden Bildern komponiert.<br />

Asfar, der in seinen Arbeiten über die Bedingungen<br />

von Bildproduktion heute reflektiert,<br />

verhandelt mit großer technischer Fertigkeit<br />

die Schnittstelle zwischen Dokument und<br />

Abstraktion, zwischen Nähe und Distanz. Die<br />

Spannung zwischen Abstraktion und Figuration<br />

steht auch im Zentrum der malerischen Auseinandersetzung<br />

von Silke Markefka (*1974,<br />

Deutschland). Die Bilder der Serie Archiv lösen<br />

sich vom Gegenstand und werden zu Feldern<br />

aus Farbe und Form. Und dennoch werden durch<br />

Erinnern die Regalreihen und Mediatheken nicht<br />

ausschließlich als abstraktes Konzept gelesen,<br />

sondern behalten die Qualität eines Nachbildes<br />

des Gedächtnisses. So steht die Serie Archiv<br />

letztlich auch <strong>für</strong> eine Auseinandersetzung<br />

mit der Unmöglichkeit der Speicherung von Zeit.<br />

Mit der Konstruiertheit unseres Wissens,<br />

der damit unausweichlichen Relativierung von<br />

geschichtlichem Narrativ und der zeitlichen<br />

Projekte <strong>2009</strong> | Liquid Archives<br />

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