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Guattari, 1992) schlägt mit Sicherheit das<br />
Labor einer anderen Moderne vor: Hier wird<br />
die hegemoniale Zeit und der hegemoniale<br />
Raum des Kapitals mit Misstrauen betrachtet,<br />
abgelenkt und untergraben. Das Meer wird<br />
das was Michel Foucault den Gegenschauplatz<br />
oder die Heterotopie der Moderne nannte.<br />
Indem es die Grenzen der Repräsentation<br />
berührt und durchquert, ermutigt uns das <strong>zeitgenössische</strong><br />
<strong>Kunst</strong>werk nochmal hinzusehen,<br />
die mannigfachen Falten der Moderne zu<br />
betreten und dort die Sprachen zu überdenken,<br />
die uns in unserem Wissen und in unserer<br />
Macht aufrechterhalten und die nun dem ausgesetzt<br />
sind, was sich unserer Fassungskraft<br />
entzieht. Losgelöst von vertrauten Orientierungspunkten,<br />
angerufen von dem planetarischen<br />
Erhabenen einer Moderne, die nicht nur<br />
wir definieren dürfen, lenkt uns das <strong>Kunst</strong>werk<br />
anderswohin, in das Anderswo. Die <strong>Kunst</strong>,<br />
die nicht mehr der zum Schweigen gebrachte<br />
Zeuge des historischen Zeugnisses ist, affiziert<br />
eine flüssigere, komplexere Komposition von<br />
Temporalitäten und Raum und besorgt die<br />
Überfahrt in eine Welt, die erst noch kommt.<br />
In diesem Sinne bleiben sowohl die Vergangenheit<br />
als auch die Zukunft „offen“, das<br />
heißt, sie schlagen weiterhin einen Raum vor,<br />
der sich entfaltet. Dies lagt nahe, dass wir<br />
nicht einfach das Ergebnis oder gar die „Opfer“<br />
der Chronologie sind, sondern Vermittler des<br />
Werdens eines kritischen Raums. Zeit ist nicht<br />
das unerbittliche Urteil über das, was gewesen<br />
ist, sondern über das, was eine kulturelle und<br />
soziale Zeit des Werdens sein könnte. Auch<br />
wenn all dies nahelegen soll, dass ein Meer von<br />
Befragungen gegen das diskursive Regime<br />
und die disziplinarische Macht der Geschichte<br />
schwappt, ist doch wichtig, dass dieses spezifische<br />
diskursive Regime leicht durch andere<br />
ersetzt werden könnte, die den Sozial- und<br />
Geisteswissenschaften entstammen: Soziologie,<br />
Anthropologie, Literaturwissenschaft, <strong>Kunst</strong>geschichte…<br />
Es gibt nicht erst den Gedanken und dann<br />
das Bild. Das Bild selbst ist eine Modalität des<br />
Denkens. Es repräsentiert das Denken nicht,<br />
sondern es schlägt es vielmehr vor. Das ist der<br />
potenzielle Sprengstoff, der im Bild steckt:<br />
Es markiert die Zeit und es sprengt sie. Dies ist<br />
das unwöhnliche Insistieren des <strong>Kunst</strong>werks,<br />
sein kritischer Schnitt und seine Unterbrechung.<br />
In dem <strong>Kunst</strong>werk, in der Bewegung und<br />
Migration der Sprache, wird die Benennung<br />
von der Beherrschung getrennt, während<br />
sie auf einem unvermuteten und kritischen<br />
Weg durch die Falten der nicht-innegehabten<br />
Moderne weiterrast.<br />
Wir sind also mit der ontologischn Herausforderung<br />
des Meeres zu dem kritischen Schnitt<br />
des <strong>Kunst</strong>werks gereist. Beide evozieren eine<br />
Unterbrechung und einen potenziellen Ausweg<br />
aus einem Humanismus, der konsequent<br />
versucht, die Welt des Subjekts sicherzustellen<br />
und zu versichern. Die Perspektive, die sich<br />
aus dem heterotopischen Ort des Meeres<br />
ergibt, und der künstlerische Intervall in der<br />
Vernunft der Repräsentation, liefern die Freiheit<br />
<strong>für</strong> ein kritisches Piratentum, das die selbstsichere<br />
Stabiliät eines Denkens überfällt, das<br />
in der provinziellen Unmittelbarkeit eines<br />
einzigartigen Schauplatzes und einer einzigartigen<br />
Sprache gründet. Damit soll eine Idee<br />
von Geschichte nahegelegt werden, die tief<br />
in der Schuld des kritischen Œuvres von Walter<br />
Benjamin steht, in dem Wissen, das durch die<br />
Suche nach neuen Anfängen aufrechterhalten<br />
wird, Geschichte nicht von einem stabilen<br />
Punkt aus vorschlägt, sondern mittels einer<br />
Bewegung, in der der Historiker nicht als die<br />
Quelle, sondern als das Subjekt auftaucht,<br />
das seine oder ihre Sprache nicht völlig beherrschen<br />
oder begreifen kann.<br />
Wir sind, wie Georges Didi-Huberman argumentiert,<br />
auf das Flottieren hin angelegt,<br />
aufgerufen in Sprachen, Strömungen und Bedingungen<br />
zu navigieren, die wir nicht selbst<br />
geschaffen haben (Didi-Huberman, 2000).<br />
Aus dieser kopernikanischen Revolution der<br />
historischen Sicht (Benjamin 1974) taucht<br />
die posthumanistische Bestätigung auf, dass<br />
das, was wir sehen, nicht vom Auge ausgeht,<br />
sondern von dem äußeren Licht der Welt,<br />
das es trifft. Im selben Sinne sind es weniger<br />
wir, die die Vergangenheit erforschen, als<br />
die Vergangenheit, die uns erforscht (Didi-<br />
Huberman, 2000). Das bedeutet, sich auf eine<br />
Geschichte einzulassen, die aus Intervallen,<br />
Einbrüchen und Unterbrechungen besteht.<br />
Es handelt sich um eine Geschichte, die von