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PLATFORM3 - Räume für zeitgenössische Kunst - 2009

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Guattari, 1992) schlägt mit Sicherheit das<br />

Labor einer anderen Moderne vor: Hier wird<br />

die hegemoniale Zeit und der hegemoniale<br />

Raum des Kapitals mit Misstrauen betrachtet,<br />

abgelenkt und untergraben. Das Meer wird<br />

das was Michel Foucault den Gegenschauplatz<br />

oder die Heterotopie der Moderne nannte.<br />

Indem es die Grenzen der Repräsentation<br />

berührt und durchquert, ermutigt uns das <strong>zeitgenössische</strong><br />

<strong>Kunst</strong>werk nochmal hinzusehen,<br />

die mannigfachen Falten der Moderne zu<br />

betreten und dort die Sprachen zu überdenken,<br />

die uns in unserem Wissen und in unserer<br />

Macht aufrechterhalten und die nun dem ausgesetzt<br />

sind, was sich unserer Fassungskraft<br />

entzieht. Losgelöst von vertrauten Orientierungspunkten,<br />

angerufen von dem planetarischen<br />

Erhabenen einer Moderne, die nicht nur<br />

wir definieren dürfen, lenkt uns das <strong>Kunst</strong>werk<br />

anderswohin, in das Anderswo. Die <strong>Kunst</strong>,<br />

die nicht mehr der zum Schweigen gebrachte<br />

Zeuge des historischen Zeugnisses ist, affiziert<br />

eine flüssigere, komplexere Komposition von<br />

Temporalitäten und Raum und besorgt die<br />

Überfahrt in eine Welt, die erst noch kommt.<br />

In diesem Sinne bleiben sowohl die Vergangenheit<br />

als auch die Zukunft „offen“, das<br />

heißt, sie schlagen weiterhin einen Raum vor,<br />

der sich entfaltet. Dies lagt nahe, dass wir<br />

nicht einfach das Ergebnis oder gar die „Opfer“<br />

der Chronologie sind, sondern Vermittler des<br />

Werdens eines kritischen Raums. Zeit ist nicht<br />

das unerbittliche Urteil über das, was gewesen<br />

ist, sondern über das, was eine kulturelle und<br />

soziale Zeit des Werdens sein könnte. Auch<br />

wenn all dies nahelegen soll, dass ein Meer von<br />

Befragungen gegen das diskursive Regime<br />

und die disziplinarische Macht der Geschichte<br />

schwappt, ist doch wichtig, dass dieses spezifische<br />

diskursive Regime leicht durch andere<br />

ersetzt werden könnte, die den Sozial- und<br />

Geisteswissenschaften entstammen: Soziologie,<br />

Anthropologie, Literaturwissenschaft, <strong>Kunst</strong>geschichte…<br />

Es gibt nicht erst den Gedanken und dann<br />

das Bild. Das Bild selbst ist eine Modalität des<br />

Denkens. Es repräsentiert das Denken nicht,<br />

sondern es schlägt es vielmehr vor. Das ist der<br />

potenzielle Sprengstoff, der im Bild steckt:<br />

Es markiert die Zeit und es sprengt sie. Dies ist<br />

das unwöhnliche Insistieren des <strong>Kunst</strong>werks,<br />

sein kritischer Schnitt und seine Unterbrechung.<br />

In dem <strong>Kunst</strong>werk, in der Bewegung und<br />

Migration der Sprache, wird die Benennung<br />

von der Beherrschung getrennt, während<br />

sie auf einem unvermuteten und kritischen<br />

Weg durch die Falten der nicht-innegehabten<br />

Moderne weiterrast.<br />

Wir sind also mit der ontologischn Herausforderung<br />

des Meeres zu dem kritischen Schnitt<br />

des <strong>Kunst</strong>werks gereist. Beide evozieren eine<br />

Unterbrechung und einen potenziellen Ausweg<br />

aus einem Humanismus, der konsequent<br />

versucht, die Welt des Subjekts sicherzustellen<br />

und zu versichern. Die Perspektive, die sich<br />

aus dem heterotopischen Ort des Meeres<br />

ergibt, und der künstlerische Intervall in der<br />

Vernunft der Repräsentation, liefern die Freiheit<br />

<strong>für</strong> ein kritisches Piratentum, das die selbstsichere<br />

Stabiliät eines Denkens überfällt, das<br />

in der provinziellen Unmittelbarkeit eines<br />

einzigartigen Schauplatzes und einer einzigartigen<br />

Sprache gründet. Damit soll eine Idee<br />

von Geschichte nahegelegt werden, die tief<br />

in der Schuld des kritischen Œuvres von Walter<br />

Benjamin steht, in dem Wissen, das durch die<br />

Suche nach neuen Anfängen aufrechterhalten<br />

wird, Geschichte nicht von einem stabilen<br />

Punkt aus vorschlägt, sondern mittels einer<br />

Bewegung, in der der Historiker nicht als die<br />

Quelle, sondern als das Subjekt auftaucht,<br />

das seine oder ihre Sprache nicht völlig beherrschen<br />

oder begreifen kann.<br />

Wir sind, wie Georges Didi-Huberman argumentiert,<br />

auf das Flottieren hin angelegt,<br />

aufgerufen in Sprachen, Strömungen und Bedingungen<br />

zu navigieren, die wir nicht selbst<br />

geschaffen haben (Didi-Huberman, 2000).<br />

Aus dieser kopernikanischen Revolution der<br />

historischen Sicht (Benjamin 1974) taucht<br />

die posthumanistische Bestätigung auf, dass<br />

das, was wir sehen, nicht vom Auge ausgeht,<br />

sondern von dem äußeren Licht der Welt,<br />

das es trifft. Im selben Sinne sind es weniger<br />

wir, die die Vergangenheit erforschen, als<br />

die Vergangenheit, die uns erforscht (Didi-<br />

Huberman, 2000). Das bedeutet, sich auf eine<br />

Geschichte einzulassen, die aus Intervallen,<br />

Einbrüchen und Unterbrechungen besteht.<br />

Es handelt sich um eine Geschichte, die von

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