PLATFORM3 - Räume für zeitgenössische Kunst - 2009

der Vergangenheit spricht, vom Vergessen,
und die zugleich versucht, die Türen der Gerechtigkeit
auf die Zukunft hin zu öffnen. Dies
ist eine Geschichte, die sich in der explosiven
Erklärung der Zeit abzeichnet und nicht in
der geistigen Einheit einer unilateral begriffenen
Moderne. All dies soll eine abgeklärte
Moderne nahelegen, die migriert und für nicht
erlaubte Winde und Strömungen empfänglich
ist: eine Moderne, die eine diskontinuierliche
Geschichte sät, die sich nicht mehr im Einklang
mit der Synthese befindet, die von einer
Epoche verlangt wird, die nur die Selbstbestätigung
ihres Willens sucht.
Aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus G. Schneider.
Literatur
Benjamin, W., „Über den Begriff der Geschichte“, in: ders.,
Gesammelte Schriften, Band 1.2, Frankfurt am Main.
Deleuze, G., und Guattari, F. (1992), Tausend Plateaus,
übers. v. Gabriele Ricke und Ronald Voullié, Berlin.
Foucault, M. (1991), „Andere Räume“, in: Aisthesis. Wahrnehmung
heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig.
Melville, H. (2003), Moby Dick or, The Whale, Harmondsworth.
Schmitt, C. (2008), Land und Meer.
Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Stuttgart.
Weizman, E. (2007), Hollow Land:
Israel’s Architecture of Occupation, London.
Wolfe, C. (2008), „Learning from Temple Grandin, or Arnimal
Studies, Disability Studies, and Who Comes After the Subject“,
New Formations, 64.
Geschichte in Archiv und Narrativ –
Navigationsversuche zwischen Golfstrom und Weltgeist
Florian Grosser
„As the past becomes less easily reduced to
a single set of meanings and effects, as the
present is forced to orient itself amid so much
history and so many histories, history itself
emerges as both weightier and less deterministic
than ever before.“
Wendy Brown, Politics out of History
Schriftrollen nicht exakt zu bestimmender
Herkunft pflegten die Bibliothekare Alexandrias
in ihrem Bemühen, dem größten Wissensspeicher
der Antike Struktur zu verleihen, mit
der Aufschrift „Von den Schiffen“ zu versehen.
Über Jahrhunderte hinweg wurde in der Hafenstadt
von einigen der hervorragendsten Köpfe
des Ptolemäerreiches akribisch registriert
und systematisiert, welche in Text gebannten
Kenntnisse die Strömungen und Wellen des
Mittelmeeres an dessen südöstliche Gestade
getragen hatten. Ein verheerender Brand war
es, welcher dem Sammeln und Ordnen, dem
Vermessen und Kartographieren des Wissens
der damaligen (mediterranen) Welt schließlich
ein Ende bereitete und abertausende Geisteswerke
nahezu spurlos verschwinden ließ.
So tief hat sich das traumatische Bild des in
Flammen aufgehenden alexandrinischen
Wissensreservoirs ins kollektive Gedächtnis
eines gesamten Kulturkreises eingebrannt,
dass man sich zu Beginn unseres Jahrtausends
nicht mit dem symbolischen Akt zufrieden gab,
an historischer Stätte eine neue Bibliotheca
Alexandrina zu errichten. Vielmehr erwies sich
die Sorge, erneut einen ähnlich gravierenden
Gedächtnisverlust zu erleiden, als triebkräftig
genug, um eben dort auch einen „Mirror“, eine
Kopie des Internet Archive, des umfangreichsten
existierenden Archivs digitaler Daten, zu
installieren.
Aller Eindrücklichkeit und offensichtlichen
Wirkungsmacht der Szene von Unmengen zu
Asche zerfallender schriftzeichenübersäter
Papyri zum Trotz – es scheint, als sei der Archi-
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