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Ausgetankt<br />
Karin Bergdolt<br />
Alltag. Termine, Erledigungen, Versorgung und<br />
Freizeit. Das motorisierte Fahrzeug steht vor<br />
der Tür – bitte mit gefülltem Tank. Aufgetankt –<br />
oder doch ausgetankt? Diese Frage begleitet<br />
mich nicht nur in meinem Alltag neben der Arbeit,<br />
sondern sie „ist“ meine derzeitige Arbeit:<br />
Gemeinsam mit Ann Rosenthal (Pittsburgh,<br />
USA) und Elizabeth Monoian (Dubai, Arabische<br />
Emirate) habe ich mir die Herausforderung<br />
geschaffen, leerstehende Tankstellen zur Kontaktstelle<br />
<strong>für</strong> <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum<br />
temporär umzugestalten. Damit möchte ich die<br />
Frage öffentlich stellen: Was ist, wenn doch<br />
ausgetankt? What comes after Oil?<br />
Eine Vielzahl der leerstehenden Tankstellen<br />
bleibt über lange Zeit sich selbst überlassen. Es<br />
sind Orte mit einer besonderen Aura. Es sind<br />
Relikte, die mit ihrer bloßen räumlichen Präsenz<br />
unser sinnliches, technisches und soziales Können<br />
und Wollen hinterfragen. Es sind symbolhafte<br />
Orte eines langsam vergehenden Zeitalters,<br />
denn noch bestreiten wir unseren Alltag<br />
mit uneingeschränkter Mobilität, und (noch) sind<br />
wir die Idee grenzenlosen Wachstums gewohnt.<br />
Ein Großteil der anvisierten Orte liegt den<br />
sogenannten „<strong>Kunst</strong>zentren“ fern – dort, wo<br />
grundsätzlich nur wenig <strong>Kunst</strong> zu erwarten ist.<br />
Gerade deshalb bieten sie ein hohes Potential<br />
an unvoreingenommener Begegnung und<br />
Auseinandersetzung. Künstlerinnen und<br />
Künstler werden nach einem zweistufigen Bewerbungsverfahren<br />
eingeladen, sich mit ihren<br />
Visionen der Frage What comes after Oil?<br />
anzunähern. So werden Symbole einer an<br />
ihrem Ende stehenden Technologie zu Quelle<br />
und Ausgangspunkt <strong>für</strong> Neues umgeformt –<br />
als Hot Spots technologischer und gesellschaftlicher<br />
Reformation. Dabei wird es Blicke<br />
zurück geben, direkt hinein in unser gegenwärtiges,<br />
auf den Rohstoff Öl ausgerichtetes<br />
gesellschaftliches Gefüge; es wird aber auch<br />
voraus gedacht und visionäre Vorstellungen<br />
werden ihren Platz finden. Inzwischen hat uns<br />
eine Vielzahl an Projektvorschlägen erreicht,<br />
von Künstlern aus Asien über Europa, Nord- und<br />
Südamerika. Sie versprechen eine hohe Professionalität<br />
und Qualität in der Realisierung.<br />
Angestrebt wird ein interdisziplinärer Prozess<br />
in der Auseinandersetzung mit Architekten,<br />
Landschaftsplanern und Naturwissenschaftlern.<br />
Auch Menschen, die in Bildung und Vermittlung<br />
tätig sind, werden mit ihrer Arbeit mit Kindern,<br />
Jugendlichen und Erwachsenen Teil des Ganzen.<br />
Ein erstes konkretes Vorhaben wird derzeit<br />
in Zusammenarbeit mit einer Schülergruppe<br />
aus Kaufbeuren und einer im dortigen Stadtgebiet<br />
leerstehenden Tankstelle entwickelt.<br />
Daneben ist das parallel konzipierte Posterdesign-Projekt<br />
Oil: A Non-Renewable<br />
Resource bereits angelaufen. Jeweils eine<br />
Hochschule aus Dubai, Pittsburgh und München<br />
hat mit ihren Studenten den Dialog um nachhaltige<br />
Lebensformen aufgenommen und in<br />
Form von Postern visuell bearbeitet. Die jeweilige<br />
Leitung liegt bei Elizabeth Monoian, Ann<br />
Rosenthal und Wolfgang Gebhart. Die Ergebnisse<br />
wurden in gut besuchten Ausstellungen<br />
in den genannten Städten präsentiert. Der<br />
angestoßene Prozess findet derzeit seine Fortsetzung<br />
mit Video und filmischer Arbeit, jeweils<br />
eine Hochschule aus Chile und voraussichtlich<br />
New Mexico werden sich anschließen. Für die<br />
Präsentation der Ergebnisse hat uns die Abu<br />
Dhabi International Petroleum Exhibition and<br />
Conference (ADIPEC) im Herbst 2010 ein Ausstellungsforum<br />
angeboten.<br />
Auf meinem persönlichen Weg <strong>für</strong> Hot<br />
Spots arbeitend, mache ich immer wieder bemerkenswerte<br />
Beobachtungen, die ich vorab<br />
so nicht erwartet hätte. Natürlich stellt das<br />
Projekt kritische, aber unbedingt zukunftsweisende<br />
Fragen an die Gesellschaft – und wirft<br />
sie damit wieder zurück an mich als Künstlerin.<br />
Ich erlebe diesen Kommunikationsprozess<br />
zunehmend als mein <strong>Kunst</strong>werk selbst. Zuhörende<br />
und Betrachtende wollen Lösungen und<br />
erhoffen sich Handlungsanweisungen. Der<br />
Wunsch nach einer Antwort auf ein weltweit ungelöstes<br />
Problem ist groß! Ich spiele die Frage<br />
zurück, gebe keine Antwort, doch versuche ich<br />
mit Fortgang des Vorhabens auf unterschiedlichen<br />
Ebenen, mit ausgewählten Partnern bestehende<br />
<strong>Räume</strong> – Denkräume, Visionsräume,<br />
Spielräume, Kontakträume, Ideenräume und<br />
Arbeitsräume – zu öffnen und neu zu besetzen.<br />
Ich bereite den Boden, um unterschiedlichen<br />
Antworten und Sichtweisen Raum zu geben.