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From Process to Procession<br />
Claire Tancons<br />
In den letzten fünf Jahren habe ich ausgiebige<br />
Reisen durch die Karibik und Lateinamerika<br />
unternommen, um den Schwarz-Atlantischen<br />
Karneval zu erforschen. Ich habe historische<br />
Archive und Privatsammlungen durchkämmt,<br />
den Karneval besucht, daran teilgenommen<br />
und ihn fotografiert. Außerdem war ich in<br />
Ateliers von Künstlern, in mas’-Lagern in Trinidad,<br />
Junkanoo-Hütten auf den Bahamas,<br />
barracones in Brasilien und vergleichbaren<br />
Orten auf Martinique, Dominica und St. Kitts.<br />
<strong>2009</strong> bin ich sechs Monate lang durch<br />
Süd- und Westafrika gereist, habe mich in die<br />
Geschichte des Karnevals von Kapstadt in<br />
Südafrika vertieft und <strong>zeitgenössische</strong> Prozessions-,<br />
Maskeraden- und Karnevalstraditionen<br />
in den meisten ehemaligen portugiesischen<br />
Kolonien in Afrika (Mozambique, Angola, São<br />
Tomé und Cabo Verde) sowie in Senegal, Benin,<br />
Nigeria und Kamerun untersucht. Ich tat dies,<br />
weil ich versuchen wollte, das Gebiet des<br />
Karnevals im Kontext der zirkumatlantischen<br />
Performance zu erweitern.<br />
Mit der Zeit begann mein Interesse am<br />
Karneval auch ein breites Spektrum an Paraden<br />
und Prozessionen zu umfassen, von Jazz-<br />
Beerdigungen und Second Lines in New Orleans<br />
bis zu politischen Demonstrationen und sozialen<br />
Protesten in der ganzen Welt. Parallel dazu<br />
gab es unter <strong>zeitgenössische</strong>n Künstlern, vor<br />
allem aus Europa, aber auch aus Afrika den<br />
Trend, die Prozession oder Parade als künstlerisches<br />
Medium zu benutzen.<br />
Dabei wurde mir klar, dass diese <strong>zeitgenössische</strong>n<br />
Prozessionen und Paraden, die<br />
von <strong>zeitgenössische</strong>n Künstlern außerhalb<br />
der historischen Stätten der Entstehung des<br />
modernen und <strong>zeitgenössische</strong>n Karnevals,<br />
d.h. in der Karibik, Lateinamerika und Afrika,<br />
organisiert wurden, die Rückkehr verdrängter<br />
vormoderner karnevalesker Formen zum Ausdruck<br />
brachte. Darauf begann ich zu hinterfragen,<br />
warum letztere als <strong>zeitgenössische</strong><br />
<strong>Kunst</strong> anerkannt wurden, erstere aber nicht.<br />
Zugleich versuchte ich allerdings zu vermeiden,<br />
dem Eurozentrismus in Anbetracht zu wenig<br />
anerkannter nicht-westlicher moderner und<br />
<strong>zeitgenössische</strong>r <strong>Kunst</strong>formen einen allzu wohlfeilen<br />
Prozess zu machen.<br />
Meine kuratorische Prozessionspraxis entwickelte<br />
sich aus dieser Forschung und fundamentalen<br />
Befragung der fortdauernden Kluft<br />
auf dem Gebiet der visuellen Kultur etwa<br />
zwischen Anthropologie und <strong>Kunst</strong>geschichte,<br />
nicht greifbarem Erbe und Performance-<strong>Kunst</strong>,<br />
soweit sie nicht-westliche künstlerische Praktiken<br />
betrifft, und der Unfähigkeit, über einen<br />
Großteil davon im Museumskontext und im<br />
Ausstellungsformat gebührende Rechenschaft<br />
abzulegen.<br />
Ich sage gerne, dass ich nicht eines Morgens<br />
aufgewacht bin und mich entschieden<br />
habe, Prozessionen zu organisieren, weil mich<br />
der Museumskontext und das Ausstellungsformat<br />
gelangweilt hätten. Ich habe dies vielmehr<br />
aus dem Verständnis heraus getan, dass<br />
dies das angemessene Format ist, um eine<br />
Reihe künstlerischer Praktiken in die Sichtbarkeit<br />
zu überführen, die andernfalls im Bereich<br />
der <strong>zeitgenössische</strong>n <strong>Kunst</strong>welt unsichtbar<br />
bleiben.<br />
Während ich an Spring arbeitete, meinem<br />
ersten 90-minütigen Prozessionsprojekt <strong>für</strong><br />
die 7. Gwangju Biennale (Südkorea, 2008), entwickelte<br />
ich dann die Idee des künstlerischen<br />
Vertrags, und erprobte sie bei A Walk Into the<br />
Night, meinem zweiten 60-minütigen Prozessionsprojekt<br />
<strong>für</strong> CAPE 09 (Südafrika, <strong>2009</strong>).<br />
Die Idee sieht vor, dass bei einer Prozession<br />
ein Vertrag zwischen dem Künstler und den an<br />
seinem Werk Beteiligten geschlossen wird.<br />
Ohne Teilnehmer kann es keine Prozession<br />
geben. Ohne den künstlerischen Vertrag kann<br />
es kein <strong>Kunst</strong>werk geben. Das <strong>Kunst</strong>werk, das<br />
der Künstler <strong>für</strong> die Prozession entwirft, erlangt<br />
nur dann eine Form und Funktion, wenn<br />
das Werk von den Teilnehmern, die sein fester<br />
Bestandteil werden, angezogen und herumgetragen<br />
wird, wenn sie mit ihm interagieren.<br />
Die Postmoderne hat die Idee verfochten, dass<br />
der Betrachter das <strong>Kunst</strong>werk vollendet. Im<br />
Karneval ist diese Idee einfacher und grundlegender,<br />
da die Vollendung des Werkes physisch,<br />
nicht nur konzeptuell, von der menschlichen<br />
Beteiligung abhängig ist.<br />
Doch andererseits gibt es nichts Konzeptuelleres<br />
als die Idee einer vertraglichen