Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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Kollektivität <strong>und</strong> verbindender Interessen, ohne Gegenideologie <strong>und</strong> subversiven Aktionsdrang“<br />
(Walter 2011: 14).<br />
Während die Benachteiligten in Kronauers erstem <strong>Ungleichheit</strong>smuster sowohl in der eigenen<br />
als auch in der Fremdwahrnehmung allgemeine Interessen repräsentieren, <strong>und</strong> ihnen die<br />
Zukunft zu gehören scheint, werden die von Marginalisierung <strong>und</strong> Ausschluss Betroffenen im<br />
zweiten <strong>Ungleichheit</strong>muster eher als selbstverantwortliche Versager oder bestenfalls als<br />
unglückliche Opfer wahrgenommen.<br />
Verflüssigung <strong>und</strong> Entkollektivierung führen zudem zu einer über klar eingrenzbare Gruppen<br />
hinausreichenden Verunsicherung hinsichtlich des eigenen sozialen Status <strong>und</strong> der beruflichen<br />
Zukunft. Robert Castel sieht das Hauptkennzeichen der neuen sozialen <strong>Ungleichheit</strong> deshalb<br />
weniger in der Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen als vielmehr in einer durch die<br />
Dynamik der Entkollektivierung beförderten Verbreitung der „Verw<strong>und</strong>barkeit“, weshalb er<br />
den Exklusionsbegriff ablehnt <strong>und</strong> stattdessen von Prozessen der Entkoppelung <strong>und</strong> Prekarisierung<br />
spricht (Castel 2009: 29f.). Aus dieser Sicht ist das Hauptmerkmal der neuen<br />
<strong>Ungleichheit</strong> weniger die Exklusion einer Randgruppe als vielmehr eine weit in die Mittelschichten<br />
hineinreichende Statusgefährdung <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Ängste <strong>und</strong> Verunsicherungen.<br />
Die Entkollektivierung der <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen <strong>und</strong> die Individualisierung von Erfolg<br />
oder Misserfolg im Arbeitsleben wird zudem von Reformen des Sozialstaates <strong>und</strong> Deregulierungen<br />
des Arbeitsmarkts begleitet, die sich als Erosion des sozialen Bürgerstatus beschreiben<br />
lassen. Ralf Dahrendorf betont noch 1995, dass der Bürgerstatus ein nicht-ökonomischer<br />
Begriff sei, der die Stellung der Menschen unabhängig vom Wert ihres Beitrages zum<br />
Wirtschaftsprozess definiere <strong>und</strong> keinesfalls den Extravaganzen des Marktes überlassen<br />
werden dürfe (Dahrendorf 1995: 33). Demgegenüber zeichnet sich während der letzten Jahre<br />
in den großen westlichen Demokratien eine Entwicklung ab, in der marktorientierte Reformen<br />
die mit dem sozialen Bürgerstatus verb<strong>und</strong>enen Rechtsansprüche abbauen oder stärker als<br />
bisher an Vorleistungen der Individuen binden. Die egalisierenden Effekte des Bürgerstatus<br />
verlieren damit gegenüber marktförmigen Verteilungseffekten an Bedeutung. Die Umgestaltung<br />
der Sozial- <strong>und</strong> Arbeitsmarktpolitik zu einem „Aktivierungsregime“ verstärkt die individualisierende<br />
Wahrnehmung des eigenen Schicksals in einem insgesamt naturwüchsig<br />
vorausgesetzten Marktgeschehen (Lessenich/Nullmeier 2006). Darüber hinaus geht mit der<br />
Zunahme sozialer <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> der Schwächung des sozialen Bürgerstatus auch eine<br />
<strong>politische</strong> Marginalisierung der betroffenen Gruppen einher (Neugebauer 2007; Schäfer 2010;<br />
Walter 2011).<br />
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