Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
horizontal vernetzte Formen der Arbeitsorganisation zu ersetzen. Deren Kehrseite bildeten<br />
allerdings „zunehmende <strong>Ungleichheit</strong>, prekäre Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> die Verarmung vieler<br />
Lohnempfänger“ (Boltanski/Chiapello 2005: 308). Aber nicht nur das. Es scheint als hätten<br />
die erweiterten Möglichkeiten der individuellen Identifikation mit den Arbeitsinhalten eine<br />
neue Trennungslinie eröffnet. Serge Paugam jedenfalls sieht als Konsequenz des Strebens<br />
nach Anerkennung über die Qualität der Tätigkeit nicht nur ein Verblassen kollektiver Orientierungen,<br />
sondern die Disqualifikation anderer, weniger qualifizierter Arbeitnehmer (Paugam<br />
2009: 180).<br />
Sighard Neckel knüpft in seiner Theorie von der Marktgesellschaft als kulturellem Kapitalismus<br />
an den Arbeiten von Boltanski/Chiapello an <strong>und</strong> bezieht sie auf die ältere These Polanyis<br />
von der kulturellen Einbettung des Kapitalismus. Allerdings kommt er zu einem ganz anderen<br />
Ergebnis hinsichtlich des Verhältnisses von Kultur <strong>und</strong> Kapitalismus. Polanyi habe in der<br />
Einbettung von Märkten noch eine Begrenzung ihrer destruktiven Logik durch soziale Institutionen<br />
<strong>und</strong> kulturelle Werte gesehen. Heute dagegen zeichne sich statt einer solchen kulturellen<br />
„Einbettung“ eher eine Vermarktlichung der Kultur <strong>und</strong> der maßgeblichen Sozialnormen<br />
ab. Die moderne Marktgesellschaft habe die Tendenz, „das Soziale bis hin zu den<br />
inneren Antrieben von Personen zu ökonomisieren“ (Neckel 2008: 28).<br />
Neckel konkretisiert diese These an der Ablösung des Leistungsprinzips durch eine<br />
Gewinner/Verlierer Kultur. Während das Leistungsprinzip mit seinem Regelwerk von<br />
Aufwand <strong>und</strong> Entschädigung noch Reziprozitätsnormen folge, sei Markterfolg allenfalls<br />
teilweise von Arbeitsleistungen abhängig <strong>und</strong> beruhe zum großen Teil auf Gelegenheitsstrukturen,<br />
positiven Zuschreibungen oder schlicht dem Zufall (Neckel 2008: 25). Anders als<br />
das Leistungsprinzip, das graduelle Statusunterschiede zuschreiben <strong>und</strong> normativ legitimieren<br />
könne, setze die Orientierung auf Markterfolg an die Stelle einer solchen „graduell-quantitativen<br />
<strong>Ungleichheit</strong>ssemantik“ die Dichotomie von Gewinnern <strong>und</strong> Verlierern. (Neckel 2008:<br />
183-195). Neckel sieht seine Analyse sowohl durch die weite Verbreitung der Gewinner-<br />
Verlierer Semantik (Neckel 2008: 165) als auch durch die Zunahme fatalistischer Deutungsmuster<br />
bestätigt, die gesellschaftliche <strong>Ungleichheit</strong> auf Zufall, auf bereits bestehende Privilegien<br />
oder einfach auf Willkür zurückführen (Neckel 2008: 192). Nicht nur die durch keinen<br />
Arbeitsaufwand mehr zu legitimierenden Einkommen an der Börse oder im Showgeschäft,<br />
auch die Popularität von Castingshows veranschaulichen ihm zufolge die kulturelle Leitfunktion<br />
des „winner-take-all“ Prinzips (Neckel 2008: 85).<br />
Ähnliche Diagnosen einer destruktiven Dominanz des Wettbewerbsprinzips finden sich in den<br />
Gesellschaftsanalysen von Hartmut Rosa (2006) <strong>und</strong> Lessenich/Nullmeier (2006). Rosa<br />
44