Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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Während diese Konzeption von Exklusion im wesentlichen den Ausschluss von sozialer<br />
Wechselseitigkeit in Kooperationsverhältnissen <strong>und</strong> sozialen Netzen meint, identifiziert<br />
Kronauer in der französischen Debatte einen weiteren Exklusionsbegriff, der sich auf die<br />
Teilhabe in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens bezieht. Dabei geht es um den<br />
Ausschluss von wesentlichen Aspekten dessen, was nach gesellschaftlich geteilten Vorstellungen<br />
angemessene Lebenschancen ausmacht: im Bereich des Konsums, der Interessenvertretung,<br />
der materiellen Sicherheit, des Status <strong>und</strong> der Selbstbestimmung (Kronauer 2002:<br />
45). Kronauer sieht in dieser auf Teilhabe bezogenen Bedeutung des Exklusionsbegriffes<br />
einen eigenen Modus der gesellschaftlichen Zugehörigkeit, der sich nicht auf die Einbindung<br />
in vergesellschaftende Arbeitsteilung <strong>und</strong> in soziale Netze reduzieren lasse. 15 Interdependenz<br />
<strong>und</strong> Partizipation nennt er deshalb unterscheidbare Modi der gesellschaftlichen Zugehörigkeit,<br />
die aufeinander bezogen sind, aber auch in Spannung zueinander treten können (Kronauer<br />
2002: 46).<br />
Dass ein solcher, gewissermaßen drei Dimensionen umfassender Exklusionsbegriff geeignet<br />
sei, die neuen Züge sozialer <strong>Ungleichheit</strong> zu erfassen, ist allerdings umstritten. Robert Castel,<br />
einer der prominentesten Vertreter der französischen <strong>Ungleichheit</strong>sforschung, hält den Begriff<br />
der Exklusion für zu pauschal <strong>und</strong> zu statisch, um die von einer Dynamik der Entkollektivierung<br />
der Arbeitsbeziehungen ausgehende Wiederkehr sozialer Unsicherheit zu erfassen. Er sei<br />
zu pauschal, weil er die heterogenen Verhältnisse sehr unterschiedlicher Gruppen in eins<br />
setze. Jugendliche, Langzeitarbeitslose <strong>und</strong> Menschen ohne festen Wohnsitz teilten zwar den<br />
Mangel, hätten positiv aber wenig gemein. Und der Begriff sei statisch, weil er für die Betroffenen<br />
einen quasi stabilen Zustand unterstelle <strong>und</strong> nicht erfasse, dass sich Menschen, bevor<br />
sie zu „Ausgeschlossenen“ werden, häufig in einer Situation der Verw<strong>und</strong>barkeit oder Prekarität<br />
befinden. Dieser Prozess der Prekarisierung kumuliere zwar am Sockel der Gesellschaftspyramide,<br />
betreffe jedoch auch Teile des Mittelstands, der seine Qualifikationen<br />
entwertet sehe oder auch von Arbeitslosigkeit betroffen sein könne (Castel 2009: 28-31).<br />
Neben diesen eher phänomenologischen Schwächen ist der Exklusionsbegriff für Castel aber<br />
auch gesellschaftsanalytisch irreführend, weil er eine atomisierte Sichtweise der Gesellschaft<br />
befördere <strong>und</strong> die kollektive Dimension der Auflösungsphänomene ausblende (Castel 2009:<br />
29f.). Mit diesem letzten Aspekt verbindet Castel schließlich eine normativ-<strong>politische</strong> Ablehnung<br />
des Exklusionsbegriffes. Aus seiner Sicht entspricht der Exklusionsbegriff der klassischen<br />
Zielbestimmung der Sozialarbeit. Er orientiere auf die Eingrenzung von Problemgrup-<br />
15 Kronauer sieht hier Parallelen zu T.H. Marshalls Konzept der sozialen Bürgerrechte (social citizenship), das<br />
die Teilhabedimension berücksichtige. Allerdings kritisiert er Marshalls enge Bindung des Bürgerstatus an<br />
Erwerbsarbeit, die heute so nicht mehr möglich sei (Kronauer 2002: 76-95).<br />
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