Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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) Trifft soziale Ausgrenzung vermehrt die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen mit<br />
der Konsequenz einer Spaltung der deutschen Gesellschaft, oder kann jeder, ungeachtet seiner<br />
Qualifikation <strong>und</strong> Vorgeschichte, zumindest zeitweise von Prekarisierungsprozessen betroffen<br />
sein, so dass die Konturen zwischen gesicherten gesellschaftlichen Positionen <strong>und</strong> unsicheren<br />
Lebenslagen verschwimmen? 19<br />
Zu a)<br />
In Bezug auf die erste Frage herrscht in der Literatur weitgehend Konsens über eine quantitative<br />
Zunahme der von Armut betroffenen Menschen. Nach dem offiziellen, am Einkommen<br />
orientierten Armutsbegriff der Europäischen Union gilt als armutsgefährdet, wer über weniger<br />
als 60% des Nettoäquivalenzeinkommens verfügt. 20 Legt man diesen Armutsbegriff zugr<strong>und</strong>e,<br />
so zeigt sich seit Anfang der 90er Jahre ein Trend der zunehmenden relativen Armut in<br />
Deutschland (vgl. Böhnke 2009: 19). Nach Berechnungen des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />
lagen im Jahr 2006 13,9% der deutschen Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle von 60%<br />
des Medianeinkommens <strong>und</strong> 36,4% im Niedriglohnbereich (75%-Grenze) (Datenreport 2008:<br />
165f.). Nach dem neuen Datenreport von 2011 ist die relative Einkommensarmut im Jahr<br />
2009 weiter auf 15, 5% gestiegen (Datenreport 2011: 155). Der Niedriglohnbereich dagegen<br />
ging leicht zurück auf 34,8 Prozent (Datenreport 2011: 165). Noch im Jahr 1997 waren diese<br />
Anteile mit 11% bzw. 31,8% deutlich geringer (Datenreport 2008: 165f.) Auch andere<br />
Berechnungsarten kommen zum Ergebnis, dass die relative Armut in den 70er Jahren einen<br />
Tiefstand erreicht hatte <strong>und</strong> vor allem seit den 90ern deutlich ansteigt. Groh-Samberg stellt<br />
deshalb fest, dass bei Berücksichtigung des Gesamtbildes „kein Zweifel an einem deutlichen<br />
Anstieg von Armut seit den späten 70er Jahren bestehen (kann)“ (Groh-Samberg 2009: 48).<br />
<strong>Neue</strong>re Daten bestätigen den insgesamt ungebrochenen Trend zur Zunahme relativer Armut. 21<br />
Fragt man nach den Gruppen, die am stärksten von relativer Armut bedroht sind, so ist das<br />
Ergebnis nicht überraschend. Die höchsten Armutsraten finden sich unter Migranten,<br />
Arbeitslosen, Alleinerziehenden, Geschiedenen, Niederqualifizierten <strong>und</strong> Ostdeutschen. Ein<br />
in unserem Zusammenhang bemerkenswerter Bef<strong>und</strong> ist darin zu sehen, dass relative Armut<br />
zunehmend auch erwerbstätige Personen erfasst. So hat sich zwischen 1999 <strong>und</strong> 2005, in<br />
19 Die Kontroverse zwischen diesen beiden Positionen formulieren in ähnlicher Weise Böhnke (2005: 31 <strong>und</strong><br />
2010: 186), Vogel (2006: 73), Bude/Lautermann (2006: 233) <strong>und</strong> Groh-Samberg (2009: 173).<br />
20 Die Bezugsgröße bildet dabei nicht der Durchschnitt, sondern der Median, also der mittlere Wert. Zur<br />
Erläuterung des Berechnungsverfahrens für das Nettoäquivalenzeinkommen vgl. Datenreport 2011: 151 sowie<br />
Wingerter 2009: 1094.<br />
21 So kam es zwar im Jahr 2007 zu einem Rückgang der relativen Armut in Gesamtdeutschland, dem jedoch<br />
schon 2008 wieder ein deutlicher Anstieg auf 14% folgte. Dabei sind die Unterschiede zwischen Ost- <strong>und</strong><br />
Westdeutschland erheblich. In Ostdeutschland stieg die relative Einkommensarmut von 13% Ende der 90er Jahre<br />
auf 19,5% im Jahr 2008 <strong>und</strong> erreichte damit wieder das Niveau von 1992 (Grabka/Frick 2010: 5).<br />
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