Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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stärker zwischen den verschiedenen, von multipler Armut <strong>und</strong> Exklusion betroffenen Gruppen<br />
zu unterscheiden. Die alleinerziehende, im Niedriglohnbereich arbeitende Mutter, der<br />
arbeitslose, noch nie einer geregelten Tätigkeit nachgegangene Jugendliche <strong>und</strong> der 45-jährige<br />
Arbeiter, der durch den Abbau gering qualifizierter Tätigkeiten Stelle <strong>und</strong> Zukunftschancen<br />
verlor, lassen sich weder von ihrer objektiven Lage noch kulturell über einen Kamm scheren.<br />
Festhalten lässt sich jedoch, dass sich nach einer mehrere Jahrzehnte dauernden Angleichung<br />
der Lebensverhältnisse zwischen Unter- <strong>und</strong> Mittelschichten, in der jüngeren Vergangenheit<br />
die erneute Verfestigung einer Unterschicht beobachten lässt, die nun jedoch nicht mehr Teil<br />
einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung mit eigenen Organisationen, kollektivem Selbstbewusstsein,<br />
kulturellen Werten <strong>und</strong> <strong>politische</strong>n Perspektiven bildet. Vielmehr herrscht ihr<br />
gegenüber eine Haltung der Abgrenzung, die nicht mehr durch eine gemeinsame Klassenidentität<br />
relativiert wird. Zwischen den unterprivilegierten Schichten <strong>und</strong> dem Rest der<br />
Gesellschaft verläuft eine „Trennlinie der Respektabilität“ (Vester 2009: 36).<br />
Dieser abgrenzenden Haltung durch die Mehrheitsgesellschaft steht auf Seiten der von<br />
multipler Armut betroffenen Gruppen eine eher resignative Lebenshaltung gegenüber. Renate<br />
Köcher spricht von einem „Statusfatalismus“ der unteren sozialen Schichten. 35 Politisch<br />
führen Lebenslagen mit mehrfacher Benachteiligung selten zur Unterstützung extremistischer<br />
Parteien, sondern eher dazu, „auf <strong>politische</strong> Partizipation zu verzichten <strong>und</strong> sich von der<br />
Möglichkeit der Mitbestimmung resigniert zu verabschieden“ (Böhnke 2006: 158). Ähnlich<br />
sieht Neugebauer in dem von ihm nicht nach objektiven sozialen Lagen, sondern schon<br />
aufgr<strong>und</strong> von Werthaltungen konstruierten „abgehängten Prekariat“ wenig Interesse an Politik<br />
<strong>und</strong> einen hohen Anteil von Nichtwählern. Allerdings stellt er auch einen überdurchschnittlichen<br />
Anteil an Wählern von linken <strong>und</strong> rechten Randparteien fest. 36<br />
zurückgingen. Eine andere Zahl deutet ebenfalls auf erhebliche Unterschiede in Lebensweise <strong>und</strong> Kultur hin:<br />
Während in den achtziger Jahren die Zahl der Raucher in der Oberschicht noch über der in der Unterschicht lag,<br />
habe sich in der Zwischenzeit die Zahl der Raucher in der Oberschicht halbiert, in der Unterschicht sei sie<br />
lediglich von 37 auf 34 Prozent zurückgegangen. Ähnliche Auseinanderentwicklungen lassen sich bei<br />
Leseverhalten, Mediennutzung <strong>und</strong> Erziehungsstilen beobachten (Köcher 2011: 5)<br />
35 Ihr zufolge erwarten nur 14 Prozent der unteren Schichten (wozu sie die nach Einkommen, Bildung <strong>und</strong> Beruf<br />
unteren zwanzig Prozent der Bevölkerung rechnet) dass es ihnen in zehn Jahren besser gehen wird. Nur dreißig<br />
Prozent sind zuversichtlich, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst (Köcher 2009: 5).<br />
36 Da nach seiner Konstruktion das „abgehängte Prekariat einen Anteil von 25 Prozent an der ostdeutschen, aber<br />
nur von 8 Prozent an der westdeutschen Bevölkerung ausmacht, kann allerdings auch nicht verw<strong>und</strong>ern, wenn in<br />
diesem Milieu ein überdurchschnittlich hoher Anteil angibt, Anhänger der Linken zu sein. Der Anteil der<br />
Anhänger rechtsextremer Parteien ist in diesem Milieu zwar auch überdurchschnittlich, mit 8 Prozent aber auch<br />
nicht dramatisch hoch (Neugebauer 2008: 34f.).<br />
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