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Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier

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konstatiert aus eher kulturkonservativer Perspektive eine bereits früh einsetzende, bis in die<br />

60er Jahre hinein anhaltende „Verbürgerlichung“ der Arbeiterschaft. Erst danach sei dieses<br />

Leitbild der Verbürgerlichung als normative Utopie <strong>und</strong> als kulturelle Praxis zerbröckelt<br />

(Nolte 2004: 67). Befördert durch die finanziellen Transfers des Sozialstaats soll sich ein<br />

eigener Lebensstil der Unterschichten verfestigt haben, der durch Bedeutungsverlust der<br />

Arbeit, eine hedonistische Massenkultur <strong>und</strong> insbesondere durch individuelle Verantwortungslosigkeit<br />

gekennzeichnet sei. Benachteiligung äußere sich heute „weniger als Mangel an<br />

Geldressourcen, eher als Mangel an kulturellen Ressourcen, als Sozialisation in spezifische<br />

Lebensweisen, Verhaltensformen <strong>und</strong> Konsummuster hinein“ (Nolte 2004: 65).<br />

Ähnlich klingt es bei Franz Walter, wenn er formuliert, die modernen Unterschichten seien<br />

„keine praktizierenden Fre<strong>und</strong>e von Disziplin, Langfristigkeit, Triebaufschub. Freizeit,<br />

Spaß, Unterhaltung, Ablenkung, Traumwelten, <strong>und</strong> Body-Kult - in diesen Chiffren<br />

drücken sich die Alltagsphilosophien <strong>und</strong> die Lebensbewältigung der modernen<br />

Underclass aus“ (Walter 2011: 20).<br />

Bedrohlichere Züge als die hedonistischen Medienkonsumenten <strong>und</strong> Tagträumer Walters<br />

gewinnen die Vertreter der Unterschicht in den Schilderungen Heinz Budes. Er macht in der<br />

Unterklassenkultur eine „schief laufende Maskulinität“ oder sogar einen „Habitus der<br />

Gemeinheit“ aus, den er als „verzweifelte Suche nach Respekt in dem Syndrom radikalen<br />

Verlierertums“ erklärt (Bude 2009: 31).<br />

Dass derartige Beschreibungen ebenso viel über die deutsche Mehrheitsgesellschaft wie über<br />

die porträtierte Unterschicht aussagen, liegt auf der Hand. Wir haben es hier nicht nur mit<br />

nüchterner soziologischer Beschreibung, sondern eben auch mit der gesellschaftlichen<br />

Konstruktion eines „inneren Auslands“ der deutschen Gesellschaft (Neckel 2008: 178) zu tun.<br />

Aber auch das ist ein wichtiger Bef<strong>und</strong>: Die von ausgrenzender Armut betroffene Unterschicht<br />

dient der Mehrheitsgesellschaft als „konstitutives Außerhalb“ 33 , über das sie ihre eigenen,<br />

positiv besetzten Selbstbilder generiert.<br />

Damit ist allerdings keineswegs behauptet, die festgestellte kulturelle Kluft zwischen der<br />

neuen Unterschicht <strong>und</strong> der Mehrheitsgesellschaft sei eine Fiktion. Unterschiede in der<br />

Lebensweise, in Interessen, Freizeitverhalten <strong>und</strong> Erziehungsstilen zwischen Ober- <strong>und</strong><br />

Mittelschicht auf der einen <strong>und</strong> der Unterschicht auf der anderen Seite scheinen während der<br />

letzten zwei Jahrzehnte drastisch zugenommen zu haben. 34 Im Einzelnen wäre hier allerdings<br />

33 Zu diesem Begriff vgl. Mouffe 2007: 23.<br />

34 In der FAZ vom 17.8.2011 nennt Renate Köcher eine ganze Reihe von Indikatoren, die für eine solche<br />

Auseinanderentwicklung der Lebensweisen <strong>und</strong> Kulturen sprechen. Unter anderem hat das Institut für<br />

Demoskopie Allensbach für die Mitte der neunziger Jahre noch bei 45 Prozent der unter 25-Jährigen aus den<br />

unteren Schichten ein zumindest eingeschränktes Interesse für Politik ermittelt. Diese Zahl sei heute auf 32<br />

Prozent abgesunken, während die ohnehin höheren Zahlen in Mittel- <strong>und</strong> Oberschicht nur geringfügig<br />

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