Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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3.3 Zwischenfazit<br />
Nicht exkludierende Armut, aber Prekarisierungsprozesse im Sinne des Brüchigwerdens von<br />
Status, Beschäftigungssicherheit <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven haben demnach eine transversale,<br />
verschiedene Bereiche <strong>und</strong> Schichten der Gesellschaft erfassende Qualität. Fügt man mit<br />
Castel hinzu, dass Prekarität insbesondere die besonders benachteiligten Schichten betrifft<br />
<strong>und</strong> dort zu einer permanenten Bedingung des Lebens zu werden droht (Castel 2009: 31),<br />
dann scheint der Prekaritätsbegriff das zu leisten, was sich Kronauer von seinem Exklusionsbegriff<br />
erhofft, nämlich:<br />
„…dass er, als Prozesskategorie, darüber aufklärt, wie die ausgrenzenden Zuspitzungen<br />
von <strong>Ungleichheit</strong>en am gesellschaftlichen ´Rand` mit den zunehmenden Unsicherheiten<br />
<strong>und</strong> Verunsicherungen in der gesellschaftlichen ´Mitte` in Verbindung stehen“<br />
(Kronauer 2010: 229).<br />
Gesellschaftsanalytisch ist eine solche übergreifende Bedeutung des Prekaritätsbegriffes mit<br />
Veränderungen im Erwerbsleben zu begründen, auf die sowohl die Verfestigung von mehrfacher<br />
Lebenslagenarmut am Rand der Gesellschaft als auch die Entwertungs- <strong>und</strong> Abstiegsprozesse<br />
in ihrer Mitte zurückgeführt werden können. Während Robert Castel sich dabei auf eine<br />
soziologische Beschreibung dieser Veränderungen konzentriert, geht Klaus Dörre analytisch<br />
einen Schritt weiter <strong>und</strong> bezieht die Prekarisierungsprozesse auf die sozioökonomische Kernstruktur<br />
des Finanzmarkt-Kapitalismus. Für ihn ist die neue Prekarisierung dann auch „kein<br />
zwangsläufiges Resultat ökonomischer Effizienzsteigerung, sondern im Wesentlichen<br />
Ausdruck einer sozialen Macht finanzkapitalistischer Akteure“ (Dörre 2009a: 60).<br />
Auch wenn wir von dieser kapitalismuskritischen Identifikation eines gemeinsamen Gegners<br />
der unterschiedlich betroffenen Gruppen absehen, bietet der Prekarisierungsbegriff eine Reihe<br />
analytischer Vorteile:<br />
• er integriert die disqualifizierenden <strong>und</strong> exkludierenden Züge der neuen<br />
<strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen ohne ein dichotomisches Drinnen - Draußen unterstellen zu<br />
müssen <strong>und</strong> ist deshalb auch besser als der Exklusionsbegriff geeignet, die empirischen<br />
Bef<strong>und</strong>e einer zwar zunehmenden, aber quantitativ in (noch) engen Grenzen<br />
bleibenden, exkludierenden Armut mit den weit in die gesellschaftliche Mitte reichenden<br />
Prozessen der Entwertung, des Abstiegs <strong>und</strong> des Sicherheitsverlustes zu erfassen;<br />
• er enthält eine historische zeitdiagnostische Dimension, die den Bruch gegenüber dem<br />
wohlfahrtsstaatlichen, durch kollektive Absicherungen gekennzeichneten Kapitalismus<br />
unterstreicht,<br />
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