Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier
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Das Problem mit dieser Argumentation liegt offensichtlich darin, dass sie objektive, durch<br />
kumulierte Armut charakterisierte soziale Lagen auf der einen, subjektiven Wahrnehmungen<br />
wie Ängsten, antizipierten Verlusten <strong>und</strong> Verunsicherungen auf der anderen Seite gegenüberstellt<br />
<strong>und</strong> damit die realen, nicht nur antizipierten Erfahrungen, welche diesen Wahrnehmungen<br />
auch lange vor Erreichen der Armutsschwelle zugr<strong>und</strong>eliegen, ausblendet. Beschränkt<br />
man Prekarisierungsprozesse auf den Abstieg in Einkommens- <strong>und</strong> Lebenslagenarmut, muss<br />
der Eindruck entstehen, die Mittelschichten hätten vor allem ein Problem mit ihrer subjektiven<br />
Wahrnehmung, ihren pessimistischen Zukunftsszenarien <strong>und</strong> ihren übertriebenen Statusängsten.<br />
28<br />
Demgegenüber deuten jedoch zahlreiche Indikatoren auf erhebliche Veränderungen in der<br />
objektiven sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten hin, die plausibel als Prekarisierung<br />
zu bezeichnen sind. Tatsächlich grenzen Robert Castel <strong>und</strong> die Jenaer Forschergruppe um<br />
Ulrich Brinkmann, Klaus Dörre u.a. den Prekarisierungsbegriff auch explizit von vollständiger<br />
Deprivation, Ausgrenzung <strong>und</strong> <strong>politische</strong>r Apathie ab (Castel/Dörre 2009: 17). Zudem ist<br />
ihr Prekaritätsbegriff stärker als der Armutsbegriff auf die Erwerbsarbeit fokussiert. Damit<br />
verbindet sich einerseits die Gefahr, neuere Veränderungen im Erwerbsleben, die wir oben<br />
bereits unter den Stichwort der Vermarktlichung, Flexibilisierung <strong>und</strong> Entkollektivierung<br />
angesprochen haben, umstandslos unter den Begriff der Prekarisierung zu subsumieren, die<br />
Arbeitswelt insgesamt als prekär zu qualifizieren <strong>und</strong> dem Begriff dadurch jede analytische<br />
Schärfe zu nehmen. 29 Andererseits scheint der Begriff aber geeignet, die Absenkung des an<br />
Erwerbsarbeit geknüpften Schutz- <strong>und</strong> Integrationsniveaus zu erfassen, das die wirtschaft-<br />
28 Von einer ähnlichen Gegenüberstellung ausgehend, unternehmen Bude/Lauterbach einen Versuch der<br />
Vermittlung zwischen objektiver Lebenslage <strong>und</strong> subjektivem Exklusionsempfinden. Dabei machen sie das<br />
subjektive Exklusionsempfinden zum entscheidenden Exklusionskriterium <strong>und</strong> sprechen dort, wo trotz<br />
offensichtlicher Benachteiligungen noch das Gefühl vorherrscht, das eigene Leben meistern zu können, von<br />
Marginalisierung (Bude/Lauterbach 2006: 234). Die beiden Autoren entwerfen ein komplexes „Prekaritäten-<br />
Ressourcen-Modell, das objektive <strong>und</strong> subjektive Exkludiertheit, prekäre Lebensverhältnisse <strong>und</strong><br />
Exklusionsempfinden“ aufeinander beziehen soll (Bude/Lauterbach 2006: 244). Aufgr<strong>und</strong> einer<br />
Telephonumfrage unter mehr als 1500 Frauen <strong>und</strong> Männern kommen sie im Ergebnis zu einer noch über das<br />
Modell hinausgehenden Subjektivierung des Exklusionsbegriffes, die Exklusion sehr stark von den „inneren<br />
Ressourcen“ der betroffenen Personen abhängig macht. „Auch der wegen seiner externen Ressourcen<br />
Privilegierte kann objektiv <strong>und</strong> vor allem subjektiv exkludiert sein, wie auch der objektiv `Minderprivilegierte´<br />
nicht zwangläufig auch zugleich objektiv oder subjektiv exkludiert sein <strong>und</strong> sich so fühlen muss“<br />
(Bude/Lauterbach 2006: 244). Ob damit sehr viel mehr gesagt ist, als dass es psychisch stabile <strong>und</strong> instabile,<br />
optimistische <strong>und</strong> pessimistische Menschen gibt, sei dahingestellt. In jedem Fall rückt damit aber die Frage in<br />
den Vordergr<strong>und</strong>, wie subjektives Exklusionsempfinden zu vermeiden wäre, weniger diejenige nach der<br />
Möglichkeit einer <strong>politische</strong>n Repräsentation der von Marginalisierungs- <strong>und</strong> Exklusionsprozessen Betroffenen<br />
(so auch bei Bude 2008: 51f.).<br />
29 Diese Gefahr sehe ich, wenn man wie Berthold Vogel unter Rückgriff auf Gerry Rodgers die Prekarität eines<br />
Arbeitsverhältnisses anhand von vier Merkmalen bestimmt: „Grad der Arbeitsplatzsicherheit, Einfluss auf die<br />
Arbeitsplatzsituation, Vorhandensein von Arbeitsschutzbestimmungen <strong>und</strong> Chancen der Existenzsicherung<br />
durch Arbeit“ (Vogel 2006: 79 <strong>und</strong> ähnlich Vogel 2009a: 189-191). Damit wäre ein stark fremdbestimmter<br />
Arbeitsplatz bereits prekär zu nennen.<br />
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