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Neue Ungleichheit und politische Repräsentation - Universität Trier

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Komplizierter ist die Lage mit Blick auf die Prekarisierungsthese. Auf den ersten Blick<br />

scheint sie durch die empirischen Bef<strong>und</strong>e widerlegt. Multiple Deprivationen <strong>und</strong> damit soziale<br />

Ausgrenzung sind nicht zum allgemeinen Lebensrisiko breiter Bevölkerungsschichten<br />

geworden. Aber trifft dieser Bef<strong>und</strong> tatsächlich die Prekarisierungsthese? Das wäre nur dann<br />

der Fall, wenn die Betroffenheit von Prekarisierung mit dem Absturz in Armut <strong>und</strong> multiple<br />

Deprivation gleichgesetzt würde. Ungeachtet der sprachlich gern dramatisierenden <strong>und</strong><br />

begrifflich wie empirisch häufig ungenauen Diskussion, lassen sich die beiden Phänomene<br />

jedoch analytisch klar unterscheiden. Die empirischen Studien zur Einkommens- <strong>und</strong><br />

Lebenslagenarmut erfassen weder allgemeine Abstiegserfahrungen noch Abstiegsängste.<br />

Abstiegserfahrungen nicht, weil gesellschaftlicher Abstieg nicht unbedingt in Armut, schon<br />

gar nicht in eine multipel bestimmte Lebenslagenarmut führen muss, <strong>und</strong> Abstiegsängste<br />

deshalb nicht, weil diese unabhängig vom Status <strong>und</strong> der aktuellen Einkommenssituation<br />

gedeihen können.<br />

Bezeichnenderweise thematisiert auch Petra Böhnke, die in ihren Veröffentlichungen die<br />

These von einer Verallgemeinerung des Risikos sozialer Ausgrenzung mehrfach zurückweist<br />

(Böhnke 2005: 34, 2006: 211, 2009: 18), eine starke Verunsicherung der Mittelschichten.<br />

Dabei bezieht sie sich auf Umfragedaten des Wohlfahrtssurveys <strong>und</strong> von Allbus, die belegen,<br />

dass sich die Angst vor Arbeitslosigkeit in der Arbeiterschicht zwischen 1988 <strong>und</strong> 2004 von<br />

ungefähr 10 auf 22 Prozent mehr als verdoppelt, in der Mittel- <strong>und</strong> Oberschicht, wenn auch<br />

auf einem niedereren absoluten Niveau, mehr als verdreifacht hat (Böhnke 2005: 35). Auch<br />

die Zustimmung zur Aussage, das Leben sei kompliziert geworden, <strong>und</strong> man finde sich kaum<br />

noch zurecht, kann als Indikator für Desintegration <strong>und</strong> Verunsicherung interpretiert werden.<br />

Interessanterweise hat sich die Zustimmung zu dieser Äußerung in der mittleren Einkommensquintile<br />

zwischen 1988 <strong>und</strong> dem Beginn des neuen Jahrtausend verdreifacht, während<br />

sie in der vierten Quintile kaum stieg <strong>und</strong> in der höchsten Einkommensgruppe sogar zurückging<br />

(Böhnke 2005: 35). Böhnke interpretiert diesen Bef<strong>und</strong> als Bestätigung ihrer These,<br />

Ausgrenzungsrisiken lösten sich nicht von schichtspezifischen Faktoren wie Ausbildungsdefiziten<br />

<strong>und</strong> geringer sozialer Integration, konzediert jedoch<br />

„Abstiegsängste, antizipierte Sicherheitsverluste <strong>und</strong> ein hohes Maß an Verunsicherung<br />

betreffen aber mittlerweile auch Bevölkerungsgruppen, deren soziale Lage nach<br />

objektiven Maßstäben, die sich an der Verteilung von Ressourcen orientieren, keineswegs<br />

überaus prekär sein muss“ (Böhnke 2005: 36). 27<br />

27 Entsprechend lautet auch das Fazit ihrer Studie von 2006, in dem sie „auf der subjektiven Ebene“ deutliche,<br />

bis in mittlere Gesellschaftsschichten reichende Verschlechterungen ausmacht (Böhnke 2006: 214). Ähnlich<br />

sieht dies auch Nicole Burzan, die auf der Einkommensebene keine dramatische Zunahme von Abwärtsmobilität<br />

ausmachen kann (Burzan 2008: 8).<br />

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