Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
34<br />
Monsieur Pozzo hält regelmäßig einschläfernde Vorträge vor BWL-Studenten,<br />
und auch dahin begleite ich ihn. Er spricht über die »Brutalität der<br />
Kapitalisten«, von der »Versklavung der Lohnempfänger oder ihrer Ausgrenzung«,<br />
von »Finanzkrisen, angesichts deren die Staaten ohnmächtig<br />
sind und die darüber hinaus die Not der Arbeitnehmer noch vergrößern«.<br />
Er duzt die Masse der Studenten, die ihm zuhören, um jeden einzelnen von<br />
ihnen zu erreichen. Ich habe seinen Rollstuhl aufs Podest vor die zwanzigjährigen<br />
Milchbubis in Anzug und Krawatte gerollt und mich auf einen<br />
Stuhl danebengesetzt, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Ich höre nicht zu.<br />
Er ist die reinste Schlaftablette, kein Wunder, dass ich einnicke. Aber von<br />
Zeit zu Zeit weckt mich ein prägnanter, mit etwas mehr Überzeugung vorgetragener<br />
Satz auf.<br />
»Nur du selbst kannst entscheiden, was unter Ethik zu verstehen ist,<br />
nur du allein bist für dein Handeln verantwortlich. In dir drin, in deinem<br />
Innersten, in der Stille, findest du das Andere und das Fundament deiner<br />
Moral.«<br />
Da, sage ich mir, weiß er, wovon er spricht. Von welcher Stille, von welchem<br />
Innersten. Von welchem Anderen. Ich bin ein Teil davon. Vor seinem<br />
Unfall, als er noch allmächtig war, als er im Pommery schwamm wie meine<br />
Mutter in Erdnussöl, hätte er mich da überhaupt eines Blickes gewürdigt?<br />
Wäre ich auf einer Party seiner unausstehlichen Göre aufgetaucht, hätte ich<br />
wahrscheinlich den Laptop mitgehen lassen. Wenn sie heute solche kleinen<br />
Rotznasen einlädt, übernehme ich den Sicherheitsdienst.<br />
Der große unbewegliche Weise, dessen Geist über seiner armseligen<br />
fleischlichen Hülle schwebt, dieses höhere Wesen, vom Fleisch und all seinen<br />
niederen Bedürfnissen befreit, setzt noch einen drauf: