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»Du lebst also nicht bei deinen echten Eltern, Abdel, richtig?«<br />
»Ich lebe bei meinem Onkel und meiner Tante. Aber jetzt sind sie<br />
meine Eltern.«<br />
»Das sind sie, seit deine wahren Eltern dich im Stich gelassen haben,<br />
richtig?«<br />
»Sie haben mich nicht im Stich gelassen.«<br />
»Abdel, wenn Eltern sich nicht mehr um ihr Kind kümmern, dann<br />
lassen sie es doch im Stich, richtig?«<br />
Sein »richtig« kann mir gestohlen bleiben.<br />
»Nein, sie haben mich nicht im Stich gelassen. Sie haben mich bloß anderen<br />
Eltern übergeben.«<br />
»Du wurdest von ihnen verlassen. So nennt man das.«<br />
»Nicht bei uns. Bei uns macht man das so.«<br />
Konfrontiert mit so viel Verstocktheit, seufzt der Psychologe. Ich lenke<br />
ein bisschen ein, damit er mich in Ruhe lässt.<br />
»Herr Psychologe, um mich brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Mir geht’s<br />
gut, ich bin nicht traumatisiert.«<br />
»Doch, Abdel, natürlich bist du traumatisiert!«<br />
»Wenn Sie das sagen …«<br />
Tatsächlich waren wir Kinder der Vorstadt uns nicht im Geringsten unserer<br />
Lage bewusst. Niemand hatte wirklich versucht, uns von der schiefen<br />
Bahn abzubringen. Die Eltern sagten nichts, weil ihnen die Worte fehlten<br />
und sie uns sowieso nicht zügeln konnten, selbst wenn sie unsere Einstellung<br />
nicht billigten. Die meisten Maghrebiner und Afrikaner lassen Kinder<br />
ihre eigenen Erfahrungen machen, so gefährlich sie auch sein mögen. So ist<br />
das nun mal.<br />
Anstand war für uns nur ein Begriff, dessen Bedeutung uns fremd<br />
blieb.<br />
»Mit dir nimmt es noch ein schlimmes Ende, mein Junge!«, sagten die<br />
Klassenlehrerin, der Geschäftsführer und der Polizeibeamte, die uns zum<br />
dritten Mal in zwei Wochen auf frischer Tat ertappten.<br />
Was dachten die sich eigentlich? Dass wir erschrocken aufjaulen<br />
würden, O Gott, da habe ich wohl eine Dummheit begangen, wie konnte<br />
das nur passieren, damit setze ich ja meine ganze Zukunft aufs Spiel! Von