Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
33/189<br />
der Zukunft hatten wir überhaupt keine Vorstellung, sie war für uns kein<br />
Thema, wir verschwendeten keinen Gedanken daran, weder auf die<br />
Schläge, die wir austeilten, noch auf die, die wir noch einstecken würden.<br />
Uns war das alles egal.<br />
»Abdel Yamine, Abdel Ghany, kommt mal her. Ihr habt einen Brief aus Algerien<br />
bekommen.«<br />
Wir machten uns nicht mal die Mühe, Amina zu antworten, wie<br />
schnuppe uns das war. Der Brief blieb so lange auf dem Heizkörper im Flur<br />
liegen, bis Belkacem ihn fand und öffnete. Nach der Lektüre fasste er ihn<br />
kurz und stockend für uns zusammen.<br />
»Er ist von eurer Mutter, sie fragt, ob es in der Schule klappt, ob ihr<br />
<strong>Freunde</strong> habt.«<br />
Ich prustete vor Lachen.<br />
»Ob ich <strong>Freunde</strong> habe? Was glaubst du denn, Papa?«<br />
In die Schule zu gehen war Pflicht, und manchmal hielten wir uns daran.<br />
Kamen zu spät, schwatzten laut im Unterricht, bedienten uns ungeniert aus<br />
Jackentaschen, Federmäppchen und Schulranzen. Wir vermöbelten unsere<br />
Mitschüler, einfach so, zum Spaß. Alles war für einen Lacher gut. Die Angst<br />
im Gesicht der anderen stachelte uns an wie der Anblick einer flüchtenden<br />
Gazelle den Löwen. Eine leichte Beute hätte uns gelangweilt. Es machte uns<br />
viel mehr Spaß, unser Opfer eine Zeitlang im Ungewissen zu lassen, ihm<br />
aufzulauern, es zu bedrohen, um Gnade winseln zu lassen und in Sicherheit<br />
zu wiegen, bevor wir endlich zuschlugen … Wir hatten keine Seele.<br />
Ich habe einen Hamster geerbt. Eine Siebtklässlerin aus meiner neuen<br />
Schule hat ihn mir vermacht (aber nur, weil ihn sonst keiner haben wollte).<br />
Die Ärmste, da hat sie ihr ganzes Taschengeld für einen Spielkameraden<br />
ausgegeben, und dann traut sie sich nicht, ihn mit nach Hause zu<br />
nehmen …