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gemeingefährlichste von ihnen. Ich dreh die Lautstärke runter, schalte den<br />
Fernseher wieder ein. Charles Ingalls sägt Holz, seine Söhne rennen über<br />
die Wiese, Caroline kümmert sich im Häuschen ums Kaminfeuer. Ich<br />
dämmere weg …<br />
Ich hab’s gut getroffen. Fleury, das ist ein Ferienlager. Besser noch:<br />
Club Med, nur ohne Sonne und ohne Miezen. Die Aufpasser, diese netten<br />
Animateure, tun alles, um uns glücklich zu machen. Die Knüppelschläge,<br />
Beleidigungen, Erniedrigungen kenne ich aus Filmen, hier habe ich so was<br />
noch nicht erlebt. Und was den berüchtigten »Seifentrick« unter der<br />
Dusche angeht: Das ist bloß eine Legende oder vielleicht eine sexuelle<br />
Phantasie. Die Wärter tun mir leid, denn die müssen ihr ganzes Leben hier<br />
verbringen. Diese grauen Gebäude tauschen sie am Abend nur gegen ein<br />
anderes, das vermutlich auch nicht fröhlicher aussieht. Mit einem einzigen<br />
Unterschied: Bei ihnen zu Hause werden die Türen von innen verriegelt,<br />
zum Schutz vor bösen Jungs wie uns, die noch nicht eingelocht wurden. Die<br />
Männer mit dem Schlüssel sind hier wie dort eingesperrt. Die Häftlinge<br />
zählen die Tage bis zu ihrer Entlassung, die Wärter zählen die Jahre bis zur<br />
Pensionierung …<br />
Am Anfang habe ich die Tage auch gezählt. Aber schon nach einer Woche<br />
war mir klar, dass ich die Zeit einfach verstreichen lassen und im Augenblick<br />
leben sollte, ohne an das Morgen zu denken, so wie früher … Ich bin<br />
artig geworden, habe mich mit meinen Nachbarn gutgestellt. In der Verbindungswand<br />
zwischen zwei Zellen befindet sich in Bauchnabelhöhe immer<br />
ein Loch mit acht bis zehn Zentimetern Durchmesser. So kann man<br />
sich ein bisschen miteinander unterhalten, Zigaretten oder ein Feuerzeug<br />
durchgeben oder seinen Nachbarn in den Genuss des Fernsehers kommen<br />
lassen, falls er selbst keinen hat. Dafür braucht man nur einen Spiegel so<br />
auf den Hocker zu stellen, dass er das Bild entsprechend zurückwirft. Für<br />
den anderen ist es nicht sehr bequem, den Film zu gucken, gebückt klebt er<br />
mit dem Auge am Loch und muss die Ohren spitzen, um die Dialoge zu verstehen.<br />
Aber es ist besser als nichts. An jedem ersten Samstag im Monat<br />
sendet Canal+ einen Porno. Kurz bevor es losgeht, trommeln sämtliche