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Einfach Freunde

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»Was haste für Turnschuhe? Wie groß?«<br />

»Die Schuhgröße? Warum?«<br />

»Sag schon!«<br />

»Vierzig.«<br />

»Super, das passt! Gib sie her.«<br />

»Aber ich kann schlecht in Socken zur Schule gehen, oder?«<br />

»Ich hab ein Teppichmesser dabei. Du möchtest doch keine hässlichen<br />

roten Flecken auf deinem hübschen blauen Pulli? Setz dich hier hin!«<br />

Ich zeigte auf eine Bank, eine Treppenstufe, die Schwelle einer noch<br />

geschlossenen Boutique.<br />

»Los, mach die Schnürsenkel auf, aber dalli!«<br />

Ich verstaute die Nikes in meinem Rucksack und haute mit Yacine ab,<br />

der bereits Schuhgröße 42 brauchte und sich nicht so einfach bei kleinen<br />

Gymnasiasten bedienen konnte.<br />

Manchmal benutzten wir das Messer doch. Aber nur, um die Jacke zu zerschneiden,<br />

die Hülle, niemals die Haut. Ab und zu setzte es auch Faustschläge<br />

und Fußtritte. Und zwar immer, wenn unser Opfer sich wehrte, was<br />

wir völlig hirnrissig fanden. Für ein Paar Schuhe, also echt … Ich wurde<br />

mehrmals erwischt. Dann verbrachte ich ein bis zwei Stunden auf der<br />

Wache, bevor ich wieder heimdurfte. Die französische Polizei ist bei weitem<br />

nicht so schlimm wie in den Filmen. Nie hat man mir ein Telefonbuch an<br />

den Kopf geworfen oder auch nur die kleinste Ohrfeige verpasst. In<br />

Frankreich werden Kinder nicht geschlagen, das gehört sich nicht. Auch bei<br />

Belkacem und Amina wurde nicht geschlagen. Ich weiß noch, wie manche<br />

Nachbarn schrien: der Vater, der seinen Sohn auspeitschte, der Sohn, der<br />

vor Schmerz aufheulte, die Mutter, die um das Ende der Folter bettelte. Ich<br />

erinnere mich an Mouloud, Kofi, Sékou, die regelmäßig eine ordentliche<br />

Tracht Prügel bezogen. Danach durfte man ihnen ein paar Tage lang nicht<br />

allzu fest auf die Schulter klopfen, und vor allem durfte man sich auf keinen<br />

Fall anmerken lassen, dass man Bescheid wusste. Immer so tun, als wäre<br />

nichts passiert. Es war auch nichts passiert, das Leben nach der Peitsche<br />

glich haargenau dem Leben vor der Peitsche. Mouloud, Kofi und Sékou

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