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Im Schatten des Raben<br />
<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr.17, Seite 76<br />
Im Schatten des Raben<br />
Eine Geschichte um Adepta Lefke von Rabenmund, Prinzessin von Darpatien, und<br />
Adeptus Hagwulf von Herzogenrat zu Rechthag, Leibmagus im Dienste der Familie Rabenmund<br />
Von Maja Pfister und Ragnar Schwefel<br />
Mit Dank an<br />
Michelle Schwefel für Durchsicht und Korrekturen<br />
Lena Falkenhagen und Mark Wachholz für das Abenteuer „Rückkehr des Kaisers“,<br />
das uns den Rahmen für diese Geschichte bot<br />
(Achtung, diese Geschichte enthält Meisterinformationen zum o.g. Abenteuer.)<br />
‚Endlich Ruhe. Nicht denken. Nur einen Moment die Augen<br />
schließen.’<br />
Lefke von Rabenmund versuchte, die Welt um sie herum aus<br />
ihrem Bewusstsein auszuschließen.<br />
Sie saß im Innenhof von Burg Rabenmund mit dem Rücken<br />
an eine Mauer gelehnt und hatte die Augen geschlossen. Eine<br />
schon lange nicht mehr gefühlte Erschöpfung hatte sich ihrer<br />
bemächtigt. Sie vernahm nur ein undeutliches Stimmengewirr,<br />
ohne einzelne Worte zu erfassen.<br />
Nicht einmal ihre blutbespritzte Robe hatte sie abgestreift.<br />
Answins Heerführerin Lutisana hatte einem angreifenden<br />
Söldner den Kopf abgeschlagen und dessen Blut war<br />
größtenteils auf Lefke gespritzt und nicht auf die eilig davon<br />
galoppierende Söldnerführerin. Der schauerliche Anblick des<br />
blutspritzenden Halses wollte sie nicht loslassen, es gelang ihr<br />
nicht, sich davon zu lösen. Dermaßen abgelenkt hatte Lefke<br />
beinahe einen halbverwesten, untoten Söldner übersehen, der<br />
sich mordlüstern ihrem Onkel Answin näherte. Gerade noch<br />
vermochte sie die Unkreatur mit einem Ignifax<br />
niederzustrecken. Weitere Bilder der blutigen Schlacht tauchten<br />
wie Blitze in ihrer Erinnerung auf: der Bannerträger, der mit<br />
einem Pfeil in der Brust vom Pferd gestürzt und auf dem Banner<br />
im Schlamm gelandet war; eine Feuerkugel, die inmitten einer<br />
Gruppe von untoten Söldnern einschlug, und die Gestalten,<br />
die brennend und dennoch weitgehend unbeeindruckt auf die<br />
Abteilung Ludegers eindrangen.<br />
Kalte Schauer rannen über Lefkes Rücken. Wie im Fieber<br />
schüttelte es ihren Körper. Wieder und wieder sah sie die starren<br />
Gesichter der untoten Söldner vor sich, diese grässliche<br />
Perversion der göttlichen Ordnung. Als sie der Horden ansichtig<br />
wurde, musste sie all ihren Mut zusammennehmen, um an der<br />
Seite ihres Onkels und seiner Heerführerin zu bleiben. Jede<br />
Faser ihres Körpers hatte sich dagegen gesträubt, sich den<br />
Gestalten zu nähern. Mit einem Stoßgebet an Boron auf den<br />
Lippen war es ihr zwar gelungen, dem Impuls kehrt zu machen<br />
zu widerstehen, doch das Grauen, das sie gepackt hatte, wollte<br />
sie nicht loslassen.<br />
Die eigenen Truppen hatten sich den Weg durch die feindlichen<br />
Reihen geschlagen. Die Schreie der Sterbenden und<br />
Verwundeten hallten grausig in ihrer Erinnerung nach. Doch<br />
erschien ihr das wenigstens real, ja fast göttergewollt. Hingegen<br />
27. bis 29. Efferd 1028 BF<br />
Burg Rabenmund<br />
in der Baronie Bröckling, Grafschaft Wehrheim<br />
hatte sie ein nie gekanntes Grauen gepackt, als die untoten<br />
Söldner, die außer dem Klirren ihrer Rüstungen und dem<br />
Trampeln ihrer Schritte keinen Laut von sich gaben, selbst wenn<br />
sie getroffen wurden, unbeirrt und nur von Mordlust getrieben,<br />
ihnen näher kamen.<br />
Die grauenvoll zerstückelten Körper der untoten Söldner, über<br />
die die nachströmenden Truppen hinwegmarschierten, wanden<br />
sich in ihrer Erinnerung immer noch, einzelne Hände reckten<br />
sich zu ihr empor, um sie ins Verderben zu ziehen.<br />
Die Erinnerung schien immer realer zu werden. Lefke konnte<br />
die nach ihr greifenden Hände leibhaftig spüren. Aus<br />
unendlicher Distanz drang eine leise Stimme an ihr Ohr. Sie<br />
wurde zunehmend lauter und durchbrach mit wachsendem<br />
Nachdruck ihre Abschirmung, die sie von der Welt getrennt<br />
hatte. Sie kannte diese Stimme, dessen war sie sich gewiss. ‚Komm<br />
schon, öffne die Augen!’, versuchte sie sich aus ihrer Starre zu lösen.<br />
Langsam hob Lefke den Kopf und unter Aufbringung ihrer<br />
restlichen Willenskraft, gehorchten ihr schließlich auch die<br />
Augenlider.<br />
Zu der vertrauten Stimme gehörte auch ein vertrautes Gesicht.<br />
Vertraut und doch fremd, in seiner Abgezehrtheit. Der Mann,<br />
der vor ihr stand und sie vorsichtig an der Schulter rüttelte,<br />
blickte sie flehentlich an: „Prinzessin, kommt, dies ist kein<br />
angemessener Ort für eine Rast. Soll ich Euch helfen?“ Ein<br />
freundliches Lächeln lag auf dem bärtigen Antlitz mit<br />
eingefallenen Wangen und tief liegenden Augen. Der<br />
bemitleidenswerte Anblick wurde noch dadurch verstärkt, dass<br />
der Mann einen Lederhelm trug, der ihm deutlich zu groß war.<br />
„Ich kenne ihn doch“, dachte sie, reagierte aber immer noch nicht.<br />
Auf einmal fiel ihr ein Name ein, der aber nicht so ganz zu<br />
dem von Entbehrungen gezeichneten Gesicht passen wollte:<br />
„Hagwulf?“, fragte sie zögerlich, mit leiser, flüsternder Stimme.<br />
Sein schüchternes Lächeln verstärkte sich, verbreiterte sich zu<br />
einem Grinsen. „Ich habe auch schon einmal besser ausgesehen,<br />
nicht wahr?“ – „Wahrlich, Euch scheint nicht viel von den<br />
Untoten zu trennen.“ Sie gab sich einen Ruck und versuchte,<br />
sich zu erheben, doch die Schwäche war noch nicht gänzlich<br />
von ihr abgefallen. Mit einem um Entschuldigung bittenden<br />
Lächeln blickte sie den Mann in der geflickten Lederrüstung,<br />
die von einer schmutzigen, zerschlissenen Robe weitgehend<br />
verborgen wurde, an.