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Im Schatten des Raben<br />
auf den Beinen. Der Junge hatte die Augen noch immer nicht<br />
geöffnet, das Fieber hielt ihn noch gefangen. „Du, komm mit“,<br />
befahl sie dem Mann, „ich werde dir Kräuter geben, aus denen<br />
du in der Küche einen Tee für den Jungen kochen lässt, damit<br />
das Fieber abklingt.“ Die Augen des Mannes spiegelten Furcht<br />
und Verwunderung wieder. Furcht, über das, was die Magierin<br />
von ihm fordern mochte, und Verwunderung, dass sie sich des<br />
unbedeutenden Knaben angenommen hatte. Er erhob sich<br />
wortlos, und folgte Lefke zu ihrem Gemach. Sie gab ihm ein<br />
Stück einer getrockneten Wurzel. „Nimm davon ein Stück von<br />
einem Finger Breite auf einen Kessel Tee. Gib dem Jungen<br />
davon jede Stunde eine Tasse, auch in der Nacht. Flöße es ihm<br />
notfalls mit einem Löffel ein. Ich werde morgen früh<br />
wiederkommen und nach ihm sehen. Und spute dich.“ Damit<br />
entließ sie den Mann, der eilig in Richtung Küche entschwand<br />
und in seinem erwachenden Diensteifer völlig vergaß, die Tür<br />
hinter sich zu schließen.<br />
Kaum war der Mann gegangen, überwältigte sie die Schwäche,<br />
die sie nur mühevoll zurückgedrängt hatte. Sie taumelte, als sie<br />
die Türe schließen wollte. Das letzte, das sie wahrnahm, bevor<br />
sie ihn Ohnmacht fiel, war, dass jemand sie auffing, als ihre<br />
Knie einknickten.<br />
Als Lefke erwachte, blickte sie in Hagwulfs besorgtes Gesicht.<br />
Der Magus saß neben ihr auf der Bettkante. „Den Göttern sei<br />
dank, es geht Euch wieder besser!“ rief er. Lefke runzelte die<br />
Stirn, als sie versuchte, sich zu erinnern, wie sie in ihr Bett<br />
gekommen war. Dann fiel es ihr wieder ein: Henrik, der<br />
verwundete Junge. Ihre Ohnmacht. Stöhnend versuchte sie, sich<br />
aufzurichten. „Prinzliche Durchlaucht, bleibt lieber noch einen<br />
Augenblick liegen. Habt Ihr Durst?“ Hagwulf sprang schon<br />
auf, um Wasser aus einer Karaffe in einen Becher zu gießen.<br />
„Ihr seid wieder einmal zur rechten Zeit am rechten Ort<br />
gewesen, scheint mir?“ Sie blickte ihn unverwandt an. Hagwulf<br />
senkte den Blick und zuckte die Achseln. „Ich war zufällig eben<br />
auf dem Weg zu Euch, ich ...“<br />
Wider Willen musste Lefke lächeln: „Was würde ich nur ohne<br />
Euch machen, Hagwulf? Danke, ein Becher Wasser wäre<br />
willkommen.“ Hagwulfs Wangen wurden von einer feinen Röte<br />
überzogen, als er ihr eilfertig den Becher reichte. Offensichtlich<br />
war ihm bewusst, dass Lefke es bemerkt hatte, denn er wandte<br />
den Kopf ab und strich überflüssigerweise seine Robe glatt.<br />
Lefke betrachtete die langen, schlanken Finger, wie sie über<br />
den schweren Stoff glitten, ohne auch nur das geringste daran<br />
zu ändern, dass die Robe heillos zerknittert war. Trotzdem<br />
strahlte Hagwulf in all diesem Elend noch immer etwas von<br />
der alten Eleganz eines adligen Magus aus, der in besseren Zeiten<br />
bei Hofe eine gute Position hätte bekleiden können.<br />
Es war ihr inzwischen gelungen, sich in ihrem Bett aufzusetzen.<br />
Das kühle Wasser wirkte augenblicklich belebend. „Hagwulf,<br />
es ist gut, dass Ihr gerade da seid“, sagte sie, „ich habe gesehen,<br />
in welcher Unterkunft – wenn man das überhaupt so nennen<br />
kann – Ihr jetzt untergebracht seid. Das kann ich Euch wirklich<br />
nicht zumuten.“ Hagwulf setze zu einem Widerspruch an, doch<br />
Lefke ignorierte seinen Protest. „Nein, nein, ich bestehe darauf,<br />
dass Ihr augenblicklich Eure Sachen holt und dieses zweites<br />
Bett nehmt.“ „Aber, Prinzliche Durchlaucht! Es ziemt sich ganz<br />
und gar nicht, dass ich in Nachbarschaft Eures Onkels in Eurem<br />
<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr.17, Seite 82<br />
Zimmer residiere.“ Die Röte war in Hagwulfs Gesicht<br />
zurückgekehrt. „Papperlapapp“, sagte Lefke resolut, „wir haben<br />
schon so viel miteinander erlebt und an seltsameren Orten im<br />
gleichen Raum oder Zelt geschlafen – und abgesehen davon,<br />
sind die Zeiten so, dass man nicht pingelig sein sollte, was die<br />
Etikette angeht.“ „Was wird denn Euer Onkel denken, wenn<br />
Ihr mit einem fremden Mann das Zimmer teilt?“ wandte<br />
Hagwulf ein. „Erstens schert es mich nicht, was er über meine<br />
Beziehung zu Euch oder jemand anderem“ – ihr war gerade<br />
Nadêshda in den Sinn gekommen – „denken mag, und zweitens<br />
wird er sicherlich den Takt besitzen, es nicht breitzutreten.“<br />
Hagwulfs Gesicht drückte immer noch Unsicherheit aus. Doch<br />
Lefke bemerkte den sehnsüchtigen Blick auf das saubere Bett.<br />
„Mein Onkel vertraut Euch, das hat er mir unlängst selbst gesagt,<br />
ich bin sicher, er wäre froh, Euch in seiner unmittelbaren Nähe<br />
zu wissen – mit all Eurer Erfahrung. Und zwei Magier sehen<br />
doch auch mehr als einer.“ Ihre Worte – und die Aussicht auf<br />
ein angenehmeres Quartier - verfehlten ihre Wirkung nicht.<br />
Lefke fuhr fort: „Soll ich meinen Onkel bitten, Euch den Befehl<br />
zu erteilen?“ „Oh, nein, nein, das ist nicht nötig, wirklich nicht“,<br />
eilte sich Hagwulf zu antworten, „Ihr braucht noch Ruhe und<br />
sicher habt Ihr auch noch nichts gegessen. Ich werde in Bälde<br />
mit meinen Sachen und einem Abendbrot zurückkehren.“ Und<br />
schon war er zur Tür hinaus.<br />
Lefke musste unwillkürlich grinsen: ‚Ganz der Alte’, dachte sie,<br />
‚pflichtbewusst und immer verantwortungsvoll.’ Das andere<br />
Gefühl, das sie empfunden hatte, als sie in seine besorgten<br />
Augen geblickt hatte, drängte sie zur Seite. Darüber wollte sie<br />
jetzt wahrlich nicht nachdenken, die Welt war ohnehin<br />
kompliziert genug.<br />
Sie nahm einen der letzten ihr verbliebenen Zaubertränke, die<br />
sie aus Friedland mitgebracht hatte, zu sich. Der Trank diente<br />
dazu, ihre astralen Kräfte im Schlaf wieder zu regenerieren.<br />
Die bittere Flüssigkeit brannte in ihrem Mund und eine<br />
inzwischen schon allzu bekannte Übelkeit überkam sie; eine<br />
Nebenwirkung, die dieser Trank regelmäßig auf sie hatte. Sie<br />
würde in Kürze neue Tränke brauchen, damit sie in den<br />
kommenden Schlachten ihre Pflicht würde tun können.<br />
Nadêshda hatte diese für sie gefertigt, mächtige Tränke, die<br />
herzustellen kompliziert und zeitaufwändig war, abgesehen<br />
davon, dass eine Vielzahl seltener und teuer Zutaten vonnöten<br />
war. Sie bezweifelte, dass sie in der Lage wäre, einen derartigen<br />
Trank selbst herzustellen, selbst wenn sie, was nicht der Fall<br />
war, über die nötigen Zutaten verfügte. Ihre Kenntnisse auf<br />
diesem Gebiet waren recht dürftig, auch wenn Nadêshda sie<br />
immer wieder ermahnt hatte, dass es einmal gut sein könnte,<br />
sich solide Kenntnisse auf diesem Gebiet anzueignen. Es war<br />
Lefke einfach zu langweilig und zeitaufwendig gewesen – wie<br />
so oft. Nun schalt sie sich ob ihrer Ungeduld.<br />
Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Lehrmeisterin. Was<br />
Nadêshda wohl gerade tat? Sie hatte sie nicht mehr gesehen,<br />
seit Answins Armee sich der Burg genähert hatte.<br />
Wahrscheinlich befand sie sich noch im Lager oder sie war auf<br />
eine Erkundungsmission geschickt worden.<br />
Der Trank, den sie zu sich genommen hatte, begann bereits zu<br />
wirken und machte sie schläfrig. Mit dem Bild Nadêshdas vor