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Myrkdag - Thorwal Standard

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Im Schatten des Raben<br />

Der Streit, den sie eben mitgehört hatte, schwelte schon seit<br />

Beginn des Feldzuges. Ludeger war der Wortführer derer, die<br />

es als unabdingbar ansahen, dass sich die Familie geschlossen<br />

und bedingungslos hinter Answin stellte. Er wollte Irmegunde<br />

dazu zwingen, ihre Truppen mit denen des Onkels zu vereinen<br />

und sich ihm zu unterwerfen.<br />

Dass er der Verwirklichung dieses Ziels notfalls auch mit Gewalt<br />

nachhelfen würde, hatte Ludeger erst vor zwei Monaten<br />

bewiesen, als er, wie Lefke aufgrund sicherer Quellen wusste,<br />

Duridanyas und Ucurians Kinder entführen ließ, um Ucurian,<br />

der ein getreuer Gefolgsmann seiner Schwester war und dessen<br />

Wort im Palast viel galt, unter Druck zu setzen. Unwillkürlich<br />

hatte sie an ihr eigenes Schicksal denken müssen, als Feinde<br />

der Rabenmunds sie im Alter von zwölf Götterläufen entführt<br />

hatten und ihr Gewalt angetan worden war.<br />

Glücklicherweise war ihren Neffen und ihrer Nichte, die nur<br />

zwei Jahre jünger als sie selbst seinerzeit war, nichts Schlimmeres<br />

passiert. Als sie schließlich erfuhr, dass ihr Vetter hinter der<br />

Entführung steckte, kannte ihr Zorn keine Grenzen. Doch ihr<br />

Onkel wollte von der Geschichte nichts wissen. Zutiefst verletzt<br />

musste Lefke mit ansehen, dass Ludegers Tat ungesühnt bleiben<br />

würde. „Und nicht nur die seine“, dachte sie bitter. Beim Gedanken<br />

an die Verstrickung ihres Geliebten, Bohemund von Falkenhag,<br />

in das grausame Spiel ihres Vetters, entrang sich ihr ein<br />

schmerzlicher Laut und sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.<br />

Zum Glück vertrieb Alruna ihre trüben Gedanken, als sie<br />

anklopfte und mit einer Schüssel Wasser hereinkam. Abwartend<br />

stand das Mädchen in der Tür, bis Lefke sagte: „Danke. Du<br />

kannst gehen.“ Seufzend betrachtete Lefke Schwamm und<br />

Wasserschüssel, bevor sie sich ihrer dreckstarrenden<br />

Unterkleidung entledigte. Sehnsuchtsvoll dachte sie an das<br />

Badezimmer im Magierhaus in Friedland – und in ihre<br />

Gedanken schlich sich die Erinnerung an die unbekümmerten<br />

Stunden, die sie dort mit Nadêshda verbracht hatte. „Nein“,<br />

sagte sie laut zu sich selbst. Entschlossen tauchte sie den<br />

Schwamm in das gerade einmal lauwarme Wasser.<br />

Lefke schloss eben die Fibel ihres Umhanges, den sie über ein<br />

schlichtes blaues Leinenhemd, das fürs erste ihre Robe ersetzen<br />

musste, geworfen hatte, als Hagwulf um Einlass bat.<br />

„Ich sehe, Ihr seid wieder bei Kräften, Prinzliche Durchlaucht.<br />

Euer Onkel wird sich demnächst in den Speisesaal begeben<br />

und lässt Euch ausrichten, dass er Euch sehr verbunden wäre,<br />

wenn Ihr ihm zuvor Eure Aufwartung macht“, meldete der<br />

Adeptus wie stets überkorrekt.<br />

Auch Hagwulf hatte sich leidlich zurecht gemacht. Nun, wo<br />

die Bartstoppel abrasiert waren, war unverkennbar, dass Lefkes<br />

erster Eindruck richtig gewesen war: Viel gegessen hatte er nicht<br />

in den letzten Wochen und viel geschlafen unzweifelhaft auch<br />

nicht. Die eingefallenen Wangen und die müden Augen<br />

bezeugten seinen elenden und erschöpften Zustand. Wie immer<br />

stand Hagwulf steif vor ihr, ganz und gar der diensteifrige,<br />

respektvolle Diener der Familie. Dabei wusste er schon lange,<br />

dass sie auf solche Förmlichkeiten keinen Wert legte,<br />

insbesondere nicht von ihm, mit dem sie schon so einiges<br />

zusammen erlebt hatte. Schon des öfteren hatte sie ihn gebeten,<br />

wenigstens auf die allzu förmliche Anrede ‚Prinzliche<br />

Durchlaucht’ zu verzichten, doch Hagwulf schien sehr großen<br />

Wert auf die Distanz des Titels zu legen.<br />

<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr.17, Seite 78<br />

So in Gedanken hatte sie ihn einige Augenblicke abwesend<br />

angesehen. Auf einmal bemerkte sie, dass er sich unter ihrem<br />

Blick sichtlich unwohl fühlte. „Entschuldigt, ich war gerade in<br />

Gedanken. Seid bedankt für die Nachricht. Ich werde sogleich<br />

dem Ersuchen meines Onkel folgen.“ Ihr schalkhafter Tonfall<br />

führte ihre förmlichen Worte ad absurdum. Wie so oft versuchte<br />

sie ihn damit zu necken, es ihm an Förmlichkeit gleich zu tun.<br />

Und tatsächlich brach, kaum dass sie den Satz beendet hatte,<br />

ein offenes Lächeln hervor. Im Plauderton erkundigte die<br />

Prinzessin sich nun danach, wo er untergekommen sei.<br />

Lefke erwartete nicht ernstlich, eine offene Antwort auf ihre<br />

Frage nach seinem Befinden zu erhalten, denn selbst wenn<br />

Hagwulf im Schweinestall untergebracht wäre, würde er sich<br />

wahrscheinlich eher die Zunge abbeißen, als sich darüber bei<br />

ihr zu beklagen. „Meine neue Unterkunft verfügt über ein Bett<br />

und das ist schon mehr als die meisten hier für sich<br />

beanspruchen können“, lautete denn auch Hagwulfs Antwort.<br />

Lefke musste wider Willen lachen. „Ihr seid wirklich unglaublich,<br />

Hagwulf. Könnt Ihr nicht einmal Ihr selbst sein?“ sagte sie<br />

kopfschüttelnd. „Nun gut, ich werde wohl selbst nachsehen<br />

müssen, ob Ihr ordentlich untergebracht seid. Aber ich hoffe<br />

doch zumindest, dass Ihr ein wenig Ruhe finden konntet? Ich<br />

für meinen Teil bin ausgesprochen dankbar für den genossenen<br />

Schlaf.“<br />

Irritiert beobachtete sie den Magus, der schweigend vor ihr<br />

stand. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, als ob<br />

tatsächlich das förmliche Verhalten bröckelte und einen Blick<br />

auf den Mann dahinter ermöglichte. Während sie sprach, hatte<br />

er sie für einen längeren Zeitraum direkt an, ja sogar in ihre<br />

Augen gesehen, was er ansonsten stets zu vermeiden trachtete.<br />

Als sie plötzlich schwieg, schluckte er hastig und straffte sich.<br />

Verlegen senkte er seinen Blick in ziemlicher Weise und erklärte,<br />

dass seine Aufgaben es ihm nur gestattet hätten, sich kurz frisch<br />

zu machen. „Schon das ist ein seltener Luxus in den letzten<br />

Tagen“, bemerkte er, etwas peinlich berührt, „doch angesichts<br />

des hohen Besuches“, er lächelte sie kurz an, „hielt ich es für<br />

dringend geboten, wenigstens leidlich anständig auszusehen.“<br />

„Nun, Ihr hattet in den letzten Wochen gewisslich unter sehr<br />

schweren Bedingungen zu leiden, möchte ich annehmen. Ich<br />

hoffe, dass unsere Ankunft die Dinge wenigstens hier in der<br />

Burg zum besseren wenden wird“, entgegnete sie. „Ihr müsst<br />

mir jedoch baldmöglichst erzählen, wie es Euch in den letzten<br />

Monden ergangen ist. Jede Information kann für den weiteren<br />

Feldzug von Belang sein. Vielleicht ergibt sich ja heute Abend<br />

noch eine Gelegenheit für einen Austausch. Und abgesehen<br />

davon würde ich mich freuen, wieder ein paar Worte mit einem<br />

vertrauen Menschen zu wechseln.“ Wieder lächelte er kurz:<br />

„Verfügt über mich.“<br />

Lefke betrat das Gemach ihres Onkels. Sein Enkel Answin der<br />

Jüngere hatte es für seinen Oheim geräumt, zumal es ja<br />

ursprünglich ohnehin das seine gewesen war. Angesichts der<br />

allgemeinen Not auf der Burg, stach der luxuriös ausgestatte<br />

Raum, der mit weichen Teppichen und edlen Möbeln<br />

ausgestattet war, besonders ins Auge. Ihr Onkel war nicht allein:<br />

Answin d.J., Answins Marschallin Lutisana von Perricum und<br />

Lefkes Base Rahjanda erstatteten ihm gerade Bericht über die<br />

Verluste und den Stand der Versorgung der Verwundeten.<br />

Rahjanda, die sich kurz umgeschaut hatte, als die Prinzessin<br />

eintrat, aber nicht grüßte, ergänzte den Bericht schließlich um

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