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Myrkdag - Thorwal Standard

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Er reichte ihr beide Hände, die sie dankbar ergriff und zog sie<br />

unter Mühen zu sich hoch. Er konnte nicht verhehlen, dass<br />

auch er geschwächt war. Es fehlte nicht viel und er wäre auf sie<br />

gestürzt, statt ihr auf die Beine zu helfen.<br />

Lefke war ihm dankbar, dass er nicht mit weiteren Worten in<br />

sie drang, sondern sich damit begnügte, ihr seinen Arm als Stütze<br />

zu bieten. Schweigend deutete Hagwulf auf eine Treppe und<br />

ließ ihr den Vortritt. Langsam erklomm sie die Stufen und<br />

vertraute sich weiter seiner Führung an.<br />

„Hier ist das Gemach Eures Onkels“, zeigte er mit der Linken<br />

auf eine Tür, „und hier, direkt daneben, hat Euer Vetter, der<br />

Burggraf, Euch untergebracht.“ Er trat einen Schritt vor und<br />

öffnete die Tür. Er betrat als erster die Kammer, wie es seine<br />

Gewohnheit war, und warf einen prüfenden Blick in den Raum.<br />

Dann trat er beiseite und bat Lefke mit einer einladenden<br />

Handbewegung hinein.<br />

„Eure Prinzliche Durchlaucht, Euer Vetter lässt Euch<br />

ausrichten, dass es ihm Leid tut, Euch keinen größeren Komfort<br />

bieten zu können.“<br />

Lefke musterte die Kammer, offensichtlich eine<br />

Dienstbotenkammer. Sie war klein, zwei Betten befanden sich<br />

links und rechts an der Wand. Der Platz dazwischen war<br />

vielleicht drei Spann breit. An der gegenüberliegenden Wand,<br />

ließ ein schmales Fenster das erste Tageslicht einen vorsichtigen<br />

Blick in die Kammer werfen. Links von ihr befand sich eine<br />

Truhe, rechts waren Haken neben dem Eingang angebracht.<br />

Auf einem der Betten lag ein in einer Wolldecke<br />

zusammengerolltes Bündel.<br />

Als Hagwulf bemerkte, dass ihr Blick an dem Bündel hängen<br />

blieb, räusperte er sich und richtete das Wort an sie:<br />

„Entschuldigt, ich bin noch nicht dazu gekommen, meine<br />

Sachen weg zu schaffen. Ich werde es gleich mitnehmen.<br />

Immerhin ist die Kammer gesäubert und ein Bett bezogen<br />

worden.“<br />

„Ich nehme Euch Euer Bett?“ Fragend zog sie eine Augenbraue<br />

hoch.<br />

„Ich teilte mir bislang die Kammer mit einem Magus aus<br />

Andergast, der aber vorgestern auf den Zinnen nicht vorsichtig<br />

genug war und sich einen Pfeil einfing. Aber keine Sorge, mir<br />

wurde schon ein neues Quartier zugewiesen, Prinzliche<br />

Durchlaucht. Schließlich müsst Ihr doch in der Nähe Eures<br />

Onkels sein.“ Die Prinzessin nickte nur und warf einen<br />

sehnsüchtigen Blick auf das einladende Bett.<br />

„Ich schlage vor, Ihr begebt Euch einen Moment zur Ruhe.<br />

Sobald Euer Onkel sich ausgeruht hat, sage ich Euch Bescheid“,<br />

eilte sich Hagwulf zu sagen, da er ihren Blick bemerkt hatte.<br />

Eine Verbeugung andeutend griff er nach seinem Bündel und<br />

verließ den Raum.<br />

***<br />

„Herrin, es tut mir Leid, aber Ihr müsst Euch erheben.“<br />

Lefke konnte nicht sagen, ob die Mädchenstimme, die an ihr<br />

Bewusstsein drang, schon längere Zeit auf sie einredete. Sie<br />

fühlte sich immer noch gerädert, wenngleich auch nicht mehr<br />

so zerschlagen, wie zuvor.<br />

„Wünscht Ihr, Euch frisch zu machen? Soll ich Euch eine<br />

Waschschüssel bringen oder wollt Ihr Euch in den Waschraum<br />

begeben?“<br />

Im Schatten des Raben<br />

Lefke richtete sich auf und sah an der Tür ein vielleicht 15jähriges<br />

Mädchen mit kurzen, struppig aussehenden braunen<br />

Haaren stehen, das mit halbwegs sauberer Kleidung und einer<br />

beigen Schürze angetan war. Es hielt den Kopf leicht gesenkt<br />

und hatte den Blick auf den Zwischenraum zwischen den Betten<br />

fixiert. Geduldig wartete es darauf, dass die hohe Dame sich<br />

bequemte, auf seine Fragen zu antworten.<br />

„Wie ist dein Name“, wollte Lefke wissen. „Alruna, Herrin.“<br />

„Nun gut, Alruna, dann bringe mir doch bitte eine Schüssel.“<br />

Lefkes karges Gepäck war zwischenzeitlich in die Kammer<br />

gebracht worden, ohne dass sie davon etwas mitbekommen<br />

hätte. Ihre Kleidung, von der sie sich vor dem zu Bett gehen<br />

trotz ihrer Müdigkeit befreit hatte, lag nicht mehr auf dem Stuhl.<br />

Stattdessen fand sie ein Handtuch und einen Schwamm vor.<br />

Plötzlich vernahm sie durch das Fenster Ludegers herrische<br />

Stimme und es schauderte sie unwillkürlich. Inzwischen war<br />

ihr der Vetter so verhasst, dass sie allein beim Klang seiner<br />

Stimme körperlichen Widerwillen verspürte. Er schien sich mit<br />

jemandem zu streiten. Obwohl zunächst nur einige Wortfetzen<br />

zu ihr herüber drangen, konnte sie sich zusammen reimen, dass<br />

einige Mitglieder der Familie in einem der Nachbarräume<br />

darüber stritten, ob sie Answin folgen oder zunächst auf ein<br />

Votum der Fürstin warten sollten. Jetzt war die durchdringende<br />

Stimme Helmbrechts zu hören: „Man rettet das Reich nicht<br />

durch Nichtstun und schöne Worte. Es braucht einen, der das<br />

anpackt. Und zwar richtig. Wenn die Finger dabei auch mal<br />

schmutzig werden, na und? Das Ergebnis zählt.“ Aufgeregte<br />

Stimmen schallten durcheinander.<br />

So sehr Lefke ihre Ohren spitzte, sie konnte nicht mehr<br />

verstehen, was gesprochen wurde. Ihre Neugier ließ sie rasch<br />

nach ihrem Stab greifen und die elfischen Worte des Zaubers<br />

murmeln, der ihre Sinne arkan schärfte. Alle<br />

Umgebungsgeräusche konnte sie nun intensiver wahrnehmen<br />

und es dauerte einen Moment, bis sie sich an die starken<br />

Eindrücke gewöhnte und ihre Sinne wieder auf das Gespräch<br />

konzentrieren konnte.<br />

Es war Goswin, der eben verärgert schnaubte: „Answin ist ein<br />

Reichsverräter und Usurpator!“ Nicht minder laut entgegnete<br />

Ludeger: „Die Rabenmunds sind Diener des Reiches. Nur wir<br />

können das Reich aus seiner Bedrängnis retten. Und wir hätten<br />

es schon viel früher tun sollen.“ Wieder assistierte ihm<br />

Helmbrecht: „Fürstin Irmegunde hat in den letzten Jahren<br />

gezeigt, dass sie zu weich ist. Sie hat die Chance nicht genutzt,<br />

uns die Bregelsaums vom Hals zu schaffen, und sie macht<br />

ständig einen Bückling vor der Möchtegern-Königin!“ Eine<br />

weibliche Stimme, die Lefke entfernt bekannt vorkam,<br />

unterstützte ihn: „Answin ist der einzig rechtmäßig gesalbte<br />

und gekrönte Kaiser!“ Im darauf folgenden Aufruhr konnte<br />

Lefke der Diskussion nicht mehr folgen. Torwulf übertönte<br />

die übrigen schließlich: „Irmegunde ist nun das Oberhaupt der<br />

Rabenmunds. Sie wird das niemals gutheißen!“ Anschließend<br />

wurde es wieder stiller, offensichtlich waren die<br />

Gesprächspartner zu einer normalen Zimmerlautstärke<br />

zurückgekehrt, sodass sie dem Fortgang des Disputs nicht mehr<br />

folgen konnte.<br />

Ihre Gedanken verweilten noch einen Moment bei Ludeger.<br />

Seit er in Friedland aufgetaucht war, hatten sich die Dinge<br />

verändert. Ludeger hatte sogleich wie selbstverständlich den<br />

Platz an der Seite seines Vaters beansprucht, nicht lange und<br />

sein Wort zählte mehr als das der übrigen Getreuen Answins.<br />

<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr. 17, Seite 77

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