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Myrkdag - Thorwal Standard

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Im Schatten des Raben<br />

Kontakt zu Orsino aufgenommen hat und alles vorbereitet ist.<br />

Ich hatte bisher angenommen, dass ein glücklicher Zufall es<br />

bewirkt hätte, dass bei einer Verbindung von dir und Bohemund<br />

Staatsräson und Gefühl im Einklang stünden. Doch es ist mir<br />

nicht entgangen, dass ihr beide euch seit unserem<br />

Zusammentreffen in Greifenfurt entfremdet habt.“<br />

Lefke nippte an ihrem Tee und zwang sich äußerlich zur Ruhe.<br />

Ihre Gedanken rasten. „Deine Beobachtungsgabe ist einfach<br />

unschlagbar“, versuchte sie Zeit zu gewinnen.<br />

Answin lächelte sie freundlich an, doch ahnte sie, dass hinter<br />

der gelassenen und wohlwollenden Miene Ungeduld und Eifer<br />

lauerten. „Nun, wie du schon selbst bemerkt hast, haben sich<br />

Umstände gezeigt, die meine Verbindung mit dem Hause<br />

Falkenhag unter einem neuen Licht erscheinen lassen.“ Nervös<br />

strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. „Onkel, ich sehe<br />

mich daher nicht mehr in der Lage, die Verlobung aufrecht zu<br />

erhalten.“ Jetzt war es heraus. Lefke wagte nicht, ins Gesicht<br />

ihres Onkels zu blicken.<br />

Seine Stimme war sanft aber bestimmt, als er ihr antwortete:<br />

„Du bist kein Kind mehr, Lefke von Rabenmund. Es geht hier<br />

nicht um deine mädchenhaften Schwärmereien. Was auch<br />

immer diesen Sinneswandel hervorgerufen hat, kann und wird<br />

diese Hochzeit nicht verhindern. Ich habe Orsino mein Wort<br />

gegeben und er mir seines. Diese Verbindung ist ein äußerst<br />

wichtiger Schritt – da sind sogar einmal dein Bruder und mein<br />

Sohn einer Meinung. Ganz zu schweigen von meiner eigenen<br />

Einschätzung. Ich hatte gehofft, dir das deutlich gemacht zu<br />

haben.“<br />

„Aber...“, setzte Lefke an.<br />

„Schweig! Es gibt kein ‚aber’. Die Hochzeit findet statt.“<br />

Wiewohl Answin weder die Stimme erhoben hatte, noch<br />

sonstige Zeichen seines Zornes zeigte, der unzweifelhaft unter<br />

der Maske der Ruhe loderte, war klar, dass er keinen weiteren<br />

Widerspruch dulden würde. Alle Farbe war aus Lefkes Gesicht<br />

gewichen, die Welt schien sich zu drehen. ‚Nein’, dachte sie<br />

verzweifelt, ‚nein!’ Doch sie schwieg, da sie wusste, dass jedes<br />

weitere Widerwort ihr nur zum Nachteil gereicht hätte. So<br />

würdevoll wie möglich erhob sie sich. „Wie du wünschst, Onkel.<br />

Entschuldige mich nun, ich habe noch immer keine<br />

Informationen über Goswin, Hilgert und Torwulf sammeln<br />

können, und der Tag ist schon halb vorbei.“ Ohne seine Antwort<br />

abzuwarten, stürmte sie aus dem Raum. Nur mühevoll gelang<br />

es ihr, die Tränen zurückzuhalten.<br />

Die Tür zu ihrem Gemach stand offen. Alruna macht gerade<br />

die Betten. „Lass mich allein“, befahl ihr die Prinzessin barsch.<br />

Erschrocken gehorchte die Dienerin. Als die Tür ins Schloss<br />

gefallen war, warf sich Lefke auf ihr Bett und ließ ihren Tränen<br />

freien Lauf. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie sich selbst<br />

zur Ruhe rief. Tränen würden ihr nicht helfen. Vielmehr war<br />

jetzt ein kühler Kopf gefragt. Die Hochzeit würde ohnehin<br />

nicht allzu bald stattfinden. Answins Pläne sahen vor, Wehrheim<br />

zu befreien. Ein ehrgeiziger, ja, hochfahrender Plan, der nicht<br />

nur viele Leben, sondern auch Zeit kosten würde. Erst danach<br />

wollte man sich nach Rommily wenden, um die Stadt zu befreien<br />

und Irmegunde auf seine Seite zu zwingen. Erst wenn die Stadt<br />

befreit war, würde sich die Gelegenheit ergeben, eine<br />

standesgemäße Zeremonie – und nichts anderes würde ihr<br />

Onkel dulden – zu vollziehen. So blieb ihr noch jede Menge<br />

Zeit, um dieses Problem zu lösen.<br />

<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr.17, Seite 88<br />

Mit diesen beruhigenden Gedanken machte sie sich erneut auf<br />

die Suche nach ihren Vettern. Zunächst traf sie nur erneut auf<br />

Hagwulf, der unlängst Hilgert vor dem Burgtor gesehen hatte.<br />

Und tatsächlich traf sie den Junker dort an, wo er sich die<br />

nachmittägliche Sonne aufs Haupt scheinen ließ.<br />

„Habt Ihr Eure Vorbereitungen für den Abmarsch morgen<br />

bereits abgeschlossen, Vetter?“ Hilgert musterte sie eindringlich<br />

und wies dann freundlich auf den Platz neben sich.<br />

„Wir werden nicht mitkommen. Goswin, Torwulf und ich<br />

werden morgen abreisen, um uns nach Bohlenburg<br />

durchzuschlagen, um die dort verbliebenen Truppen zu<br />

sammeln. Anschließend wollen wir zum Hohenstein, zu Eurer<br />

Schwester.“ Hilgert zögerte kurz, bevor er, vorsichtig seine<br />

Worte abwägend, fortfuhr, „Ihr macht auf mich auch nicht<br />

gerade den Eindruck, als wollt Ihr mit unbedingtem Eifer<br />

Answin und Ludeger folgen?“<br />

Lefke schwieg. Ihre Ratlosigkeit musste sich deutlich in ihrem<br />

Gesicht widergespiegelt haben, denn Hilgerts Stimme wurde<br />

eindringlicher: „Ihr kennt Eure Schwester und Euren Bruder<br />

doch viel besser als ich, könnt Ihr Euch wirklich vorstellen,<br />

dass es nicht zu einer Konfrontation kommt? Könnt Ihr Euch<br />

wirklich vorstellen, dass der Adel des Reiches sich dieses Mal<br />

vom Haus Gareth lossagt und Answin folgen wird? Selbst wenn<br />

Answins Heer noch einige Erfolge feiert und weitere Anhänger<br />

gewinnt, der Tag der Konfrontation wird kommen. Leomar<br />

vom Berg hat Recht: Das Reich braucht Answin jetzt. Aber<br />

nur, um die Schergen der Schwarzen Lande im Zaum zu halten,<br />

bis die Kräfte des Reiches sich neu formiert haben. Answin<br />

wird sich aber nicht damit begnügen, sich als Retter feiern zu<br />

lassen, nur um sich dann aufs Altenteil zurückzuziehen. Er will<br />

die Krone, davon bin ich überzeugt. Und wenn er sie nicht will,<br />

Ludeger will sie um jeden Preis. Goswin kennt ihn besser als<br />

ich und er ist überzeugt, dass unser feiner Vetter schon dafür<br />

sorgen wird, dass er sich eines nicht allzu fernen Tages<br />

Kornprinz nennen darf. Das aber wird zu einem erneuten<br />

Bürgerkrieg führen, aus dem die Rabenmunds nur als Verlierer<br />

hervorgehen können.“ Er unterbrach sich kurz, um mit fester<br />

Stimme fortzufahren: „Deshalb werden wir ein Zeichen setzen<br />

und uns eindeutig auf die Seite des Rechts stellen. Wir werden<br />

Eurer Schwester helfen. Wir würden uns freuen, wenn Ihr Euch<br />

uns anschließt. Überlegt es Euch, wir werden bei Tagesanbruch<br />

aufbrechen.“ Damit erhob er sich, grüßte noch einmal und ging<br />

zurück in die Burg.<br />

Lefke blieb sitzen. Sie genoss die Ruhe, die sie für einen Moment<br />

umgab. Der Duft des Laubes beruhigte ihre Sinne. Sie ließ das<br />

Gespräch noch einmal Revue passieren. Im Grunde wusste sie,<br />

dass Hilgert Recht hatte. Nach ihrem Gespräch mit Corelian<br />

sah sie keine Möglichkeit mehr, Answin von seinen Plänen<br />

abzubringen. Sie würde sich entscheiden müssen, ob sie zu ihrem<br />

Bruder hielt und darauf hoffte, dass Answins Motive noch so<br />

rein waren, wie zu Beginn ihres Feldzuges, auch wenn er ihre<br />

Schwester und den Rest der Familie jetzt nicht konsultieren<br />

wollte, oder ob sie sich mit den übrigen Rabenmunds nach<br />

Rommilys durchschlagen sollte, um dort an der Seite<br />

Irmegundes und Ucurians ihren Teil zum Sieg über die<br />

Schwarzen Lande beizutragen.<br />

Einen klaren Gedanken konnte sie kaum fassen, jede der<br />

Möglichkeiten erschien ihr so unsinnig. Sie waren doch auf einer

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