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„Treu zu welcher Sache, Corelian?“ gab Lefke zurück, „zur Rettung<br />
des Reiches und Darpatiens? Oder zum Sturm auf Gareth, das<br />
unbeschützt daliegt und nur darauf wartet, den ‚wahren Kaiser’ zu<br />
empfangen?“<br />
„Wie kannst du unserem Onkel solches unterstellen?“ Corelians<br />
Stimme wurde lauter, aber Lefke hörte unter der Wut deutlich seine<br />
eigenen Zweifel heraus.<br />
„Du bist blind für die Realität“, antwortete sie, „siehst du denn<br />
nicht, was Ludeger plant? Hörst du nicht seine Einflüsterungen?“<br />
Erregt sprang sie auf: „Es geht doch um unser Land! Und wer,<br />
wenn nicht die Rabenmunds stehen bereit, es zu verteidigen? Aber<br />
nicht allein. Allein gegen alle zu streiten, wird uns aufreiben. Wir<br />
müssen die Kräfte einen – und wenn es bedeutet, die Armee dem<br />
Befehl unserer Schwester zu unterstellen, dann muss es eben so<br />
sein. Für das Wohl des Landes“<br />
Ihr Bruder blickte sie finster an: „Bist du von allen Göttern<br />
verlassen? Irmegunde wird die Rechtmäßigkeit unseres Tuns<br />
erkennen und sich der Familie zuwenden, sobald wir ihre Stadt aus<br />
dem Griff der Paktierer befreit haben. Dann wird sie nicht länger<br />
zögern, dem Ruf ihres Blutes zu folgen. Der Rabe wird sich nicht<br />
unter das Banner des Fuchses beugen. Rohaja wird niemals zulassen,<br />
dass Rabe und Fuchs gemeinsam ziehen, selbst wenn du unseren<br />
Onkel davon überzeugen könntest. Du bist naiv, wenn du glaubst,<br />
dass sie uns mit offenen Armen empfangen würde.“<br />
„Nein, vielleicht nicht mit offenen Armen, aber mit Klugheit und<br />
Vernunft – und mit dem Wissen, dass Darpatien ohne Answin<br />
verloren ist. Das wird ihnen die Augen öffnen!“ Lefke hatte sich in<br />
Rage geredet und wurde immer wütender: „Ich glaube nicht, dass<br />
unsere Schwester sich euch anschließen wird und ich werde<br />
jedenfalls nicht zustimmen, wenn wir gefragt werden, ob wir uns<br />
von der Familie lossagen.“ Die Geschwister schauten sich<br />
herausfordernd an.<br />
Corelian antwortete gepresst: „Im Gegensatz zu dir durfte ich die<br />
Gastfreundschaft des Fuchses bereits kosten. Ich darf dir<br />
versichern, er empfindet wenig Wärme für uns. Deine Familie, das<br />
bin ich, das ist Onkel Answin, wir haben dir Zuflucht gewährt,<br />
während unsere ehrenwerte Schwester sich Gareth angedient hat<br />
und mich dafür verstieß. Wir sind die Zukunft.“<br />
„Du verleugnest dich selbst“, antwortete Lefke, die sich bemühte<br />
etwas ruhiger zu werden. „Seit Ludegers Ankunft in Friedland ist<br />
nichts mehr wie es war. Seither schwebt der unselige Geist der<br />
Vergangenheit über allem. Ich bin hier, so wie du auch, weil ich<br />
davon überzeugt bin, dass das Reich uns braucht. Weil ich überzeugt<br />
bin, dass Answin gebraucht wird. Aber es braucht ihn als Feldherrn,<br />
als Retter in der Not – und nicht als Kaiser. Ich weiß, du hast all<br />
die Jahre davon geträumt, den Raben auf seinem rechtmäßigen<br />
Platz zu sehen.. Doch das ist vorbei, sieh’ es doch endlich ein.“<br />
Corelian ließ sich wieder in einen Sessel fallen und vergrub sein<br />
Gesicht in den Händen. Kaum verständlich waren seine nächsten<br />
Worte: „Wir können nicht zurück. Wenn uns die Familie nicht folgt,<br />
so sei es. Ich bleibe an Answins Seite, wie in all den Jahren. Und ich<br />
bete zu den Göttern, dass mein Wort gegenüber Ludegers Bestand<br />
haben wird.“<br />
Seine Schwester kniete sich vor ihn und nahm sanft seine Hände in<br />
die ihren. „Corelian, du weißt, dass Ludegers Einfluss von Tag zu<br />
Tag wächst. Das hast du mir gerade selbst gesagt. Wir müssen<br />
Answin davon überzeugen, dass er sich Irmegunde unterwirft.“<br />
Einen Moment blickte Corelian sie sinnend an, doch dann schüttelte<br />
er ihre Hände ab und sagte: „Nein, Lefke, das ist nicht der Weg,<br />
den Answin gehen wird. Das ist nicht der Weg, den das Schicksal<br />
Im Schatten des Raben<br />
uns vorgezeichnet hat. Ich mag zweifeln, aber mein Schicksal<br />
ist mit dem seinen unlösbar verbunden. Wohin auch immer<br />
Answin sich wenden wird, was auch immer für eine<br />
Entscheidung er trifft, ich werde treu zu ihm stehen. So<br />
habe ich es in heiligem Eid geschworen und so werde ich es<br />
erfüllen.“ Sein Blick war unergründlich. „Du allerdings<br />
musst auf der Hut sein. Ludeger wird nicht zögern, kurzen<br />
Prozess mit dir zu machen, wenn er auch nur einen halbwegs<br />
begründeten Hinweis dafür findet, dass du seine Pläne<br />
durchkreuzen willst. Und wenn dem so ist, wird selbst unser<br />
Oheim dich nicht länger beschützen können. Ich halte<br />
deinen Plan für aberwitzig. Aber ich gelobe dir, das niemand<br />
von mir etwas darüber erfahren wird, Schwester. Darauf<br />
mein Wort. Nur sei vorsichtig. Nicht alle sind dir so<br />
verbunden, wie du weißt.“<br />
Voller Kummer machte Lefke sich erneut auf die Suche<br />
nach Goswin und ihren anderen beiden Vettern. Doch kaum<br />
hatte sie den Burghof betreten, wurde sie erneut aufgehalten.<br />
Einer der persönlichen Wachen Answins kam eilig auf sie<br />
zu: „Der Graf wünscht Euch zu sprechen.“ Seufzend folgte<br />
Lefke dem Mann zurück zu Answins Gemach.<br />
Ihr Onkel war allein, als sie den Raum betrat. Herzlich<br />
begrüßte er sie, und bot ihr einen Stuhl an. Lefke fragte<br />
sich, was er von ihr wollte. Vermutlich wollte er einen<br />
Rapport bezüglich seiner widerspenstigen Verwandten. Nun,<br />
dazu vermochte sie wenig genug sagen– unter anderem,<br />
dachte sie verärgert, weil sie jetzt ihre Zeit hier verbringen<br />
musste statt nach den dreien zu suchen. „Meine Liebe, ich<br />
bin erfreut, dass du so schnell die Zeit gefunden hast,<br />
meinem Ruf zu folgen. Darf ich dir einen Tee anbieten?“<br />
Auf einem Tablett vor ihm stand eine Kanne, der<br />
aromatische Dämpfe entstiegen, sowie zwei Tassen. Ein<br />
kräftiger Tee war in diesen Tagen ein nicht zu<br />
unterschätzender Genuss, da die meisten Vorräte längst<br />
verbraucht waren. „Einen Tee würde ich ausgesprochen<br />
gerne trinken“, antwortete sie, „es ist im Übrigen den<br />
scharfen Augen deiner persönlichen Garde zu verdanken,<br />
dass ich so schnell von deinem Ruf erfahren habe. In diesem<br />
Getümmel hier auf der Burg irgendjemanden zu finden, ist<br />
ein echtes Kunststück.“ Answin lächelte. Während er ihr<br />
eine Teetasse reichte, sagte er: „In diesen Zeiten ist es für<br />
die Menschen wichtig zu sehen, dass ihre Führer<br />
zuversichtlich in die Zukunft schauen. Und was wäre ein<br />
deutlicheres Zeichen für den Glauben an eine glückliche<br />
Zukunft als eine Hochzeit?“<br />
Beinahe hätte Lefke ihre Tasse fallen lassen. Sie würde sich<br />
sicher nie an seine direkten und immer wieder verblüffenden<br />
Gesprächseröffnungen gewöhnen.<br />
Ihr Onkel fuhr fort: „Zudem ist es für mich jetzt umso<br />
wichtiger, die Falkenhags an unsere Sache zu binden. Orsino<br />
steht unzweifelhaft treu zu unseren Zielen, doch ist er vielen<br />
Einflüssen ausgesetzt. Eine familiäre Bindung wäre gewiss<br />
geeignet, ihm zu verdeutlichen, dass der Rabe seine Loyalität<br />
wertzuschätzen weiß.“ Er machte eine kurze Pause, in der<br />
er Lefke nicht aus den Augen ließ. „Du bist Prinzessin von<br />
Darpatien, dir sind solche Überlegungen bekannt und du<br />
weißt, dass Hochzeiten in den seltensten Fällen aus Liebe<br />
geschehen. Du weißt, dass dein Bruder entsprechenden<br />
<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr. 17, Seite 87