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den Saal verließen. Sie blickte auf, als sie Rahjandas Stimme<br />
hörte: „Ihr seid still, Base. Wäre es nicht Eure Aufgabe, die<br />
Stimme zu erheben, um Euren Onkel gegen solch unhaltbare<br />
Anwürfe zu verteidigen?“<br />
Die ebenmäßigen Züge Rahjandas zeigten keine Regung, als<br />
sie Lefkes Blick begegnete. „In der Kunst der wortreichen<br />
Verteidigung bin ich Ludeger und Helmbrecht weit unterlegen.<br />
Auch dünkte mir, dass mein Oheim keiner weiteren Verteidiger<br />
bedurfte, er war sich seines Standpunktes sicher genug“,<br />
entgegnete Lefke. „Doch Ihr habt Recht, meine Aufgaben rufen<br />
mich. Entschuldigt mich nun.“ Etwas zu hastig stand sie auf,<br />
um sich mit einem Nicken von ihrer Base zu verabschieden.<br />
Rahjanda blickte ihr sinnend nach, als sie eilig hinausging.<br />
Zurück in ihrer Kammer, prüfte Lefke noch einmal ihr Bündel.<br />
Als sich die Tür öffnete, blickte sie erschrocken auf. Hagwulf<br />
trat ein und zog die Augenbrauen hoch. Ohne Zweifel hatte er<br />
bereits vom Ausgang des Familienrats erfahren. Wortlos ging<br />
er zu seinen Sachen und schnürte wortlos ebenfalls sein Bündel.<br />
Sie lächelte ein wenig wehmütig. Es kam ihr vor, als sei der<br />
treue Adeptus der letzte Freund, auf den sie noch zählen konnte.<br />
Dankbar, dass er sie nicht mit unnötigen Fragen bedrängte,<br />
drückte sie seine Hand. Schließlich saßen sie sich gegenüber<br />
auf ihren Betten und blickten sich offen an. „Morgen in aller<br />
Frühe brechen wir auf.“ Hagwulf nickte nur.<br />
Nach einer Weile gemeinsamen Schweigens sagte Hagwulf: „Ein<br />
IGNORATIA wird uns hilfreich sein. Ich versuche derweil,<br />
unauffällig ein paar Vorräte zu ergattern.“<br />
***<br />
Was ihn geweckt hatte, konnte Hagwulf nicht genau sagen, aber<br />
der helle Mond, der durch das Fenster schien, sagte ihm, dass<br />
er noch nicht lange geschlafen haben konnte. Lefke lag friedlich<br />
in ihrem Bett. Eine innere Unruhe hatte Hagwulf ergriffen.<br />
Gefahr lag in der Luft.<br />
Mit seinem Stab bewaffnet, trat er auf den Gang und blickte<br />
sich forschend um. Als sich nichts rührte, wandte er sich an die<br />
Wachen vor Answins Gemach: „Mir war, als hätte ich etwas<br />
gehört.“ Die Soldaten schreckten auf. „Was sagt Ihr da? Es ist<br />
alles ruhig!“ antwortete der eine. „Seid Ihr ganz sicher?“ bohrte<br />
Hagwulf nach. Die zweite Wache richtete sich beleidigt auf:<br />
„Wollt Ihr uns Nachlässigkeit vorwerfen?“ „Nein, nein, ganz<br />
gewiss nicht“, beeilte sich Hagwulf zu sagen, „es ist nur…“<br />
Bevor Hagwulf seinen Satz beenden konnte, durchbrach ein<br />
gellender Schrei die nächtliche Stille.<br />
Knapp wies Hagwulf die Wachen an, sich auf keinen Fall von<br />
der Tür Answins zu entfernen, dann stürmte er davon. Ein<br />
Söldner rannte ihm, aus Ludegers Zimmer kommend, entgegen.<br />
Als er Hagwulfs gewahr wurde, blieb er abrupt stehen, sein<br />
Im Schatten des Raben<br />
Blick hetzte panisch hin und her. Hagwulf bereitete sich<br />
vorsichtshalber auf einen IGNIFAXIUS vor, doch schon folgte<br />
dem Mann Ludeger, unbekleidet, mit nichts als einem blutigen<br />
Schwert in der Hand. In rasender Flucht wandte sich der Mann<br />
dem Fenster zum Hof zu und sprang hinaus.<br />
Ludeger machte kehrt und hastete zurück zu seinem Gemach.<br />
Hagwulf folgte ihm auf dem Fuße und sah, dass ein weiterer<br />
Soldat mit einer klaffenden Wunde quer über der Brust<br />
wimmernd am Boden kauerte. Mit zwei Schritten war Ludeger<br />
bei dem Mann und riss ihn in die Höhe. „Elender, wenn du dir<br />
einen schnellen Tod erkaufen willst, gestehst du, wer dich<br />
geschickt hat.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht brabbelte der<br />
Mann hilflos, zu keinem klaren Wort fähig. Ludeger stieß ihn<br />
zurück, so dass er strauchelte und zu Boden fiel. Die Spitze<br />
von Ludegers Schwert lauerte bedrohlich über seine Kehle.<br />
„Sprich!“ brüllte Ludeger, „sonst wirst du dir bald wünschen,<br />
niemals geboren worden zu sein.“<br />
Erst jetzt bemerkte Hagwulf Rahjanda, die ihre Nacktheit mit<br />
einem Laken zu verdecken suchte. Auf ihrem Gesicht lag ein<br />
Ausdruck, den Hagwulf nicht zu deuten verstand. Sie wirkte<br />
nicht so, als sei sie gerade einem Attentat entgangen, vielmehr<br />
blitzte etwas wie Triumph in ihren Augen auf. Der Söldner hatte<br />
sich etwas beruhigt und stammelte in Todespein: „Die<br />
Prinzessin, es war die Prinzessin. Sie wollte, dass Ihr sterbt. Sie<br />
gab mir Gold...“ Mit einem einzigen Streich stieß Ludeger ihm<br />
das Schwert in den Hals. Blut spritzte hervor und mit einem<br />
Röcheln sackte der Attentäter tot zusammen.<br />
Wie mit einem Schlag traf Hagwulf die Erkenntnis, das<br />
Rahjanda die Doppelgängerin Lefkes gewesen war. ‚Welch’<br />
perfides Spiel’, schoss ihm in den Kopf, ‚sie wollen die Prinzessin<br />
kaltstellen. Wir müssen umgehend weg!’<br />
Ludeger hatte sein Schwert aus dem Körper des Toten gezogen<br />
und griff nach seinen Kleidern. Auf Hagwulf verschwendete<br />
er keinen Blick.<br />
Ohne eine Sekunde länger zu zögern, rannte der Adept zu seiner<br />
Kammer. Hinter der Tür stand bereits Lefke im Nachthemd.<br />
Den Stab hielt sie kampfbereit in den Händen. Fragend schaute<br />
sie den Heranstürmenden an. „Wachen, ein Attentat auf den<br />
Sohn Seiner Kaiserlichen Hoheit!“ rief Hagwulf, „schnell<br />
hinüber zu seiner Kammer!“ Kaum hatten die Männer seinem<br />
Befehl Folge geleistet, raunte Hagwulf Lefke zu: „Wir müssen<br />
weg. Sofort!“<br />
Sie stellte keine Fragen, sondern wandte sich ohne zu zögern<br />
um. Zurück in der Kammer streifte sie sich rasch ihre Robe<br />
über und griff nach ihrem Bündel. Schon wollte sie aus dem<br />
Zimmer eilen, als Hagwulf sie an der Schulter packte, um sie<br />
zurück zu halten. Er sprach den IGNORATIA über sie beide und<br />
so flohen sie unbemerkt von Burg Rabenmund.<br />
<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr. 17, Seite 91