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Myrkdag - Thorwal Standard

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Schwarzen Lande zum Trotz würde Rohaja Answin das Reich<br />

und den Kaiserthron gewiss nicht kampflos überlassen.<br />

Die Müdigkeit ergriff wieder Besitz von ihr und ließ Lefkes<br />

Gedanken verschwimmen. Mit einem Kopfnicken an die beiden<br />

Wächter vor der Tür ihres Onkels, zog sie sich in ihre Kammer<br />

zurück, ohne eine Entscheidung über ihre weitere Zukunft<br />

getroffen zu haben.<br />

***<br />

Als Lefke wieder erwachte, dämmerte es bereits. Ob der späten<br />

Stunde verwundert erhob sie sich und tastete nach ihrem Stab.<br />

In dessen nun aufleuchtendem Licht richtete die Adepta ihre<br />

ohnehin nicht besonders standesgemäße und nun auch noch<br />

zerknitterte Kleidung und ihre zerzauste Frisur. Leidlich<br />

zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen trat sie auf den<br />

Gang hinaus. Die Wachen vom Nebenzimmer waren inzwischen<br />

abgelöst worden. Auf ihre Nachfrage erhielt sie die Auskunft,<br />

ihr Onkel habe sich in den Speisesaal begeben, wo eine<br />

Stabsbesprechung abgehalten würde.<br />

Danach stand ihr nicht der Sinn. Lieber wollte sie sich auf die<br />

Suche nach Hagwulf machen, um gemeinsam mit ihm etwas<br />

Essbares aufzutreiben und sich von ihm über die Monate der<br />

Belagerung berichten zu lassen.<br />

Die Suche ließ Lefke in aller Klarheit das Ausmaß der Not und<br />

des Schreckens der Belagerung erkennen. Mit wachsendem<br />

Entsetzen sah sie, in welch schlechter Verfassung die meisten<br />

Menschen waren, die hier in der Burg so lange eingeschlossen<br />

gewesen waren. Viele Räume der einst sehr repräsentativ<br />

eingerichteten Burg waren überfüllt, dicht an dicht hatten die<br />

Menschen hier ausgeharrt. Die Räumlichkeiten befanden sich<br />

in einem ähnlich beklagenswerten Zustand.<br />

Sie musste viele Leute befragen, bevor sie herausbekam, wo<br />

Hagwulf stecken könnte. Schließlich erfuhr sie, dass es im ersten<br />

Stock eine Kammer geben sollte, in der einige Magier<br />

untergebracht waren. Als sie endlich die Kammer gefunden<br />

hatten, traute sie ihrer Nase und ihren Augen nicht, was sich<br />

ihr darbot. Das schwache Licht einer Öllampe, die neben der<br />

Tür angebracht war, beleuchtete drei Mehrstockbetten, die mit<br />

faulig riechendem Stroh gepolstert waren. Es stank erbärmlich.<br />

Einer der Schlafenden gab ein qualvolles Röcheln von sich,<br />

derweil er sich in Fieberträumen auf seiner Bettstatt hin und<br />

her warf, offensichtlich hatte er sich eine höchst unangenehme<br />

Erkrankung zugezogen.<br />

Angewidert blickte Lefke sich zweifelnd um, ob Hagwulf<br />

tatsächlich hier einquartiert worden war. Ihr suchender Blick<br />

gewahrte ihn aber tatsächlich im untersten Bett rechts an der<br />

Wand. Er lag angezogen auf seiner Wolldecke, die er über das<br />

stinkende Stroh gedeckt hatte. Wie die anderen schien auch er<br />

fest zu schlafen.<br />

Leise, um die Schlafenden nicht zu stören, die alle so aussahen,<br />

als könnten sie jeden Moment der Ruhe gut gebrauchen, verließ<br />

Lefke den Raum wieder. Draußen lehnte sie sich gegen die Wand<br />

und kämpfte mit der Übelkeit, die sich ihrer bemächtigt hatte.<br />

Schließlich straffte sie sich und folgte den Gängen zurück zu<br />

ihrem Gemach. Sinnend stand sie einen Augenblick im Eingang,<br />

ihr Blick schweifte über die beiden Betten darin. Es mochte<br />

vielleicht unschicklich sein, mit Hagwulf hier das Zimmer zu<br />

teilen, aber andererseits stand war ein sauberes Bett frei.<br />

Im Schatten des Raben<br />

Außerdem hatten sie und Hagwulf schon vieles miteinander<br />

durchlebt, sodass sie keine Scheu hatte, mit ihm erneut ein<br />

Zimmer zu teilen. Entschlossen wandte sie sich wieder um und<br />

machte sich auf die Suche nach Alruna, sie anzuweisen, das<br />

zweite Bett zu beziehen. Sie fand die Magd schließlich in der<br />

Küche, wo sie gerade damit beschäftigt war, eine recht wässrige<br />

Suppe, in der einige undefinierbare Stücke Gemüse schwammen,<br />

an eine lange Schlange wartender Menschen zu verteilen. Trotz<br />

des wenig appetitlichen Aussehens der Suppe lief Lefke bei<br />

dem Geruch das Wasser im Munde zusammen und ihr Magen<br />

erinnerte sie mit einem deutlichen Knurren daran, dass sie den<br />

ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Doch gerade als sie<br />

sich an der Menschenschlage vorbei drängen wollte, wurde sie<br />

sich der entsetzlich müden und hungrigen Gesichter der<br />

Wartenden bewusst, Kinder darunter, aber auch alte Männer<br />

und Frauen, die sich nur noch mühsam auf den Beinen halten<br />

konnten. Fluchtartig verließ sie die Küche wieder, nachdem sie<br />

Alruna noch Bescheid gegeben hatte. Sie hätte es sich nicht<br />

verzeihen können, diesen Bedürftigen auch nur einen Becher<br />

ihrer Suppe zu nehmen. Grimmig dachte sie, dass<br />

wahrscheinlich im Anschluss an die Stabsbesprechung<br />

ordentlich aufgetafelt würde, soweit die knappen Vorräte und<br />

die kargen Ernten es in diesen schlimmen Zeiten eben erlaubten.<br />

Unentschlossen, wohin sie sich wenden sollte, ging Lefke<br />

langsam durch die überfüllten Gänge der Burg. Das Gewimmer<br />

eines Jungen, der kaum älter als 15 Jahre sein mochte, ließ sie<br />

verharren. Der Junge lag auf dem nackten Steinboden zwischen<br />

anderen, apathisch wirkenden Gestalten. Sein rechtes Bein war<br />

mit blutigen Lappen umwickelt, von denen bereits ein<br />

unangenehmer Geruch von Eiter und Entzündung ausging.<br />

Ohne auf die aufwallende Übelkeit zu achten, kniete Lefke sich<br />

neben den Knaben, der sie aber nicht wahrzunehmen schien.<br />

Seine Haut glühte von Fieber. „Was ist mit ihm passiert“, fragte<br />

sie den Mann, der neben dem Jungen an die Wand gelehnt saß.<br />

Der Angesprochene sah sie aus stumpfen Augen an, bevor er<br />

die Schultern hob und antwortete: „Henrik hat es erwischt …<br />

einer von den Untoten … beim Angriff letzte Woche.“ Mit<br />

einem Blick auf den Jungen, fuhr er fort: „Bald hat er es<br />

geschafft ...“ Lefke schwindelte, als der Mann wieder in seine<br />

vorherige Starre versank. ‚Es muss aufhören, dieser verdammte<br />

Krieg’, dachte sie, ‚Ihr Götter, lasst Answin Erfolg haben, um<br />

diese Menschen zu retten!’ Sie schloss kurz die Augen, dann<br />

entfernte sie mit grimmiger Entschlossenheit den Verband. Das<br />

Bein des Jungen sah schlimmer aus, als sie es befürchtet hatte.<br />

Eine breite, klaffende Wunde zog sich über den gesamten<br />

Oberschenkel, das Fleisch war von der Entzündung und dem<br />

Eiter aufgequollen, der Gestank, der davon ausging, nahm ihr<br />

fast den Atem. Den Widerwillen mit aller Willenskraft<br />

ignorierend, legte sie dennoch ihre Hand auf das verletzte Bein.<br />

Sie musste alle ihr zu Gebote stehende Konzentration aufbieten,<br />

um die arkanen Muster des Heilzaubers formen und mit astraler<br />

Kraft aufrecht erhalten zu können. Die Wunde war so schwer<br />

und der Zustand des Jungen so erbärmlich, dass der Zauber<br />

Lefke über den Rand ihrer ohnehin geschwächten Kräfte<br />

brachte. Es sauste in ihren Ohren, als sie sich schließlich erhob.<br />

Das Bein des Jungen war zwar noch nicht so weit geheilt, dass<br />

er wieder würde laufen oder gar kämpfen können, aber die<br />

giftige Entzündung war gewichen. Für den Rest würde Mutter<br />

Peraine sorgen, wenn es ihr gefiel. Mühsam hielt Lefke sich<br />

<strong>Thorwal</strong> <strong>Standard</strong> Nr. 17, Seite 81

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