HOLLY-JANE RAHLENS
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»Ja. Da unten.«<br />
Sie sah nach unten, dann wieder hoch. »Wo unten?«<br />
»Also wirklich«, sagte ich. »Wenn du nicht weißt, was da unten ist, solltest du<br />
dir vielleicht auch einen Ratgeber zulegen.«<br />
Wir bekamen noch einen Lachanfall. Tatsächlich lachte Alina so sehr, dass sie<br />
überlegte, ob nicht sie den Artikel für die Schülerzeitung schreiben sollte.<br />
Die Wahrheit ist: Als ich mit Alina sprach, hatte ich bereits einen Sexratgeber.<br />
Sammy. Ich wollte es ihr bloß nicht gleich sagen. Fragt mich nicht, warum. Vielleicht<br />
weil ich damals dachte, sie muss ja nicht immer alles über mich wissen.<br />
Sammy hatte ich mir für meine Reise nach New York gekauft, wo so ein<br />
Ratgeber bestimmt nützlich sein würde. Hoffentlich! Ich zählte schon die Tage, die<br />
Stunden, die Minuten und die Sekunden bis zur Abreise. Als Philipp mich tief unten<br />
im Schwimmbecken küsste, trennten mich genau sechs Tage, vier Stunden und<br />
zwölf Minuten von Manhattan und der Freiheit. In Anbetracht meiner gerade<br />
aufblühenden Romanze hatte das natürlich auch was Tragisches. Nichtsdestotrotz<br />
war ich fest davon überzeugt, dass das wilde Leben in New York meine Sehnsucht<br />
nach Philipp bestimmt ein Weilchen ertragbar machen würde.<br />
In New York wollte ich meine Exbabysitterin Nelly besuchen. Vor zwei Jahren<br />
hatte sie ihren Abschluss an der Twain gemacht und ein Stipendium an der<br />
Columbia-Universität bekommen. Dort studiert sie jetzt Physik. In diesem Jahr wollte<br />
sie nicht wie sonst ihre Ferien in Berlin verbringen, sondern das Appartement ihres<br />
Onkels auf Manhattans Upper West Side hüten. Und dabei würde ich ihr helfen.<br />
Nelly war die große Schwester, die ich mir immer gewünscht hatte. Selbst als<br />
ich keinen Babysitter mehr brauchte, waren wir in Kontakt geblieben. Ein bisschen ist<br />
sie mein Vorbild – obwohl ich keinerlei Absicht habe, wie sie Kosmologin zu werden.<br />
Ich bin wirklich nicht gerade auf den Kopf gefallen, aber wenn Nelly von Roten<br />
Riesen und Blauer Spektralverschiebung redet, versuche ich das gar nicht erst zu<br />
begreifen, sondern genieße einfach nur den Klang der Worte.<br />
Was ich an Nelly so mag, ist, dass sie einen immer wieder zum Staunen bringt.<br />
Das war schon so, als ich klein war. Eines Abends zum Beispiel erzählte sie mir beim<br />
Zubettbringen, dass sie jetzt ihre Trigonometrie-Hausaufgaben machen würde. Ich<br />
hatte keine Ahnung, was Trigonometrie war, aber es klang nicht sehr aufregend, also<br />
ging ich freiwillig ins Bett.