HOLLY-JANE RAHLENS
HOLLY-JANE RAHLENS
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Ururgroßmutter Alma hier vorzustellen. Sieben Tage nach dem Ende ihrer Regel<br />
tauchte sie ins Wasser. Sauber gewaschen und kurz vor dem Eisprung (die Gesetze<br />
der alten Juden waren gar nicht blöd!), würde sie nach Hause gehen und Sex mit<br />
ihrem Ehemann Benjamin haben. Sie würde Bella bekommen, die wiederum Murray<br />
bekam, der Bo bekam, der wiederum mich zeugte.<br />
Ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig seltsam fühlte, als ich so dastand.<br />
Man muss sich das mal vorstellen: Ohne die Mikwe, diese unterirdisch, mit<br />
Harzwasser gespeiste Badewanne, würde es mich heute gar nicht geben.<br />
Was wohl meine Ururgroßmutter gedacht haben mochte, als sie ins Wasser<br />
tauchte? Wusste sie, dass ihr Eisprung bevorstand? Freute sie sich darauf, mit<br />
Benjamin, Dr. Benjamin Nussbaum, dem Metallurgen zu schlafen? Oder biss sie nur<br />
die Zähne zusammen, zog sich aus und ließ es über sich ergehen? Liebte sie ihn?<br />
War sie scharf auf ihn? Ich war fasziniert. Ich meine, wie viele Leute kriegen schon<br />
den Ort zu sehen, wo ihre Ururgroßmutter davon geträumt hat, was sie am Abend mit<br />
ihrem Mann im Schlafzimmer machen würde?<br />
Ein unangenehmes Rascheln riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah meine Mutter<br />
an. Schon wieder ein neuer Müsliriegel! Das war heute ihr zweiter. Sie biss ein Stück<br />
ab. Und kaute. Einmal ... zweimal ... dreimal ... bis hin zu hundertzwölfmal gekaut ...<br />
hundertdreizehn ... Schließlich hörte sie auf zu kauen ... nein, halt! Ihre Zähne<br />
setzten sich noch mal in Bewegung ... und dann ... Schluss.<br />
Pro Riegel musste sie hundertvierzehnmal kauen. Bei mindestens zwei Riegeln<br />
am Tag zweihundertachtundzwanzigmal. Das entsprach<br />
zweitausendzweihundertachtzig in zehn Tagen. In zwanzig Tagen würde sie also<br />
mindestens viertausendfünfhundertsechzigmal Mandelmüsliriegel kauen. Kamen<br />
noch zweihundertachtundzwanzig für Tag einundzwanzig hinzu, das machte genau<br />
viertausendsiebenhundertachtundachtzig – und ich war dazu verdammt, jede<br />
einzelne Kaubewegung mitzuerleben!<br />
»Möchtest du einen?«, fragte meine Mutter.<br />
»Du weißt doch, dass ich Müsliriegel nicht ausstehen kann.« Konnte sie<br />
Gedanken lesen? Das war ja direkt unheimlich.<br />
»Renée, lass uns versuchen, das Beste aus unserer Reise zu machen«, sagte<br />
sie. »Okay? Ich möchte nicht, dass noch einmal so etwas passiert wie gestern in<br />
Tangermünde.«