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HOLLY-JANE RAHLENS

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Am nächsten Morgen klopfte meine Mutter an meine Tür. Sie war ungeschminkt, trug<br />

nicht mal Lippenstift, ihr Haar hatte sie zum Zopf geflochten, ihre Augen waren<br />

verquollen. »Ich fahre nach Weißensee«, sagte sie gelassen. »Willst du mit?«<br />

»Nein, danke.«<br />

Sie nickte. Und ging.<br />

Ich setzte mir wieder die Kopfhörer auf. Die Kings of Prussia. Wenigstens<br />

konnte ich jetzt zu ihrem Konzert. Mein Trostpreis.<br />

Ich fahre nach Weißensee. Willst du mit? Das fragte sie mich immer. Und<br />

immer sagte ich nein.<br />

Ich fuhr nie mit nach Weißensee. Thanks, but no thanks – auf Friedhöfe kann<br />

ich gut verzichten. Nach der Andacht bin ich nicht hingegangen. Als der Grabstein<br />

aufgestellt wurde, nicht. Nicht, nachdem meine Mutter von den schönen roten,<br />

goldenen und gelben Blättern dort erzählte, nicht, als sie nach Hause kam und sagte,<br />

es sei dort so friedlich, und still, mit dem frisch gefallenen Schnee, und ganz sicher<br />

nicht, als sie sagte, alles dort grüne und blühe, eine schöne letzte Ruhestätte<br />

eigentlich. Nee nee. Ich war nie dort. Und ich werde nie hingehen. End of story.<br />

Drittes Kapitel<br />

Meine Familie, meine Geister<br />

DIE NORDDEUTSCHE TIEFEBENE flog vorbei. Flaches, graugrünes Land. Ein paar<br />

Bäume und ein vom Regen schmutziger Himmel. Ich machte ein Foto. Komisch: Das<br />

Bild im Display sah genauso aus wie das, was ich zehn Minuten vorher gemacht<br />

hatte. Weniger komisch: Das nächste Foto würde wahrscheinlich genauso aussehen.<br />

Trüb und öde.<br />

Ich gähnte, dann blickte ich den Gang hinunter zu dem Mann im weißen<br />

Leinenanzug, der ein paar Reihen entfernt von uns etwas in seinen Laptop tippte.<br />

Für mich war er viel zu alt, so gegen Ende dreißig, aber er sah sehr gut aus. Gleich<br />

als er in unseren Wagen stieg, war er mir aufgefallen: sein sommerlicher,<br />

zerknitterter weißer Leinenanzug, sein langer schwarzer Pferdeschwanz – The Great<br />

Gatzki hatte auch so einen. Manche Männer sind einfach mit Geschmack gesegnet.

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