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HOLLY-JANE RAHLENS

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Tangermünde. Das war gestern. Mittwoch. Am Sonntag waren wir in Leipzig.<br />

Montag Magdeburg. Dienstag Halberstadt. Mittwoch Tangermünde.<br />

Wir kamen mittags an. Die Stadt sah aus wie aus einem Märchenbuch: hohe<br />

Stadttore, kunstvoller gotischer Backstein, gewundene Sträßchen, Fachwerkhäuser.<br />

Ich freute mich darauf, dort herumzuspazieren, die verborgenen Stufen zu einem<br />

Verlies zu entdecken und die mittelalterlichen Folterinstrumente zu fotografieren. Ich<br />

überlegte, ob irgendwo ein Keuschheitsgürtel ausgestellt sein mochte. Das wäre<br />

doch mal was!<br />

Aber dann, als wir in der Touristeninformation waren, entdeckte ich auf einer<br />

Landkarte, dass Berlin keine hundert Kilometer von Tangermünde entfernt war. Ohne<br />

ein Wort zu sagen, packte ich meinen Rucksack und stürmte aus dem Büro, meine<br />

Mutter mir nach.<br />

»Renée, was ist los? Was soll das?«, wollte sie wissen.<br />

Die Wahrheit war, ich hätte es ihr nicht erklären können, selbst wenn ich gewollt<br />

hätte. Jetzt, mit ein wenig Abstand, glaube ich, dass ich mich einfach ärgerte. Und<br />

zwar über mich selbst. Die ganze Zeit hatte ich gehofft, dass Philipp mich einen Tag<br />

besuchen, mich einfach überraschen würde. Wie im Bus in Berlin. Dass er plötzlich<br />

wie ein edler Ritter in goldener Rüstung auftauchen und durch den mittelalterlichen<br />

Burggraben zu meinem Hotel reiten würde. Und als ich dann auf der Karte in der<br />

Touristeninformation sah, dass Berlin nur einen Katzensprung entfernt war, gab mir<br />

das einen richtigen Schlag. Warum war er nicht gekommen? Es wäre so einfach<br />

gewesen. Und dann ging mir auf: Wäre ich nicht so versessen darauf gewesen, dass<br />

er mich besucht, hätte ich draufkommen können, ihn zu besuchen.<br />

Aber dafür war es jetzt zu spät.<br />

»Was ist denn los?«, beharrte meine Mutter.<br />

»Ich will nach Hause«, sagte ich. »Ich fühle mich hier wie eingekerkert.«<br />

»Und ich bin die böse Hexe, die dich eingeschlossen hat, richtig? Ach, Renée«,<br />

sagte sie seufzend. »Das haben wir doch alles schon durchgekaut. Ich will nicht,<br />

dass du in Berlin allein bist. Kannst du die Situation nicht einfach akzeptieren? Am<br />

Sonntag sind wir am Meer. Relax.«<br />

»Du kannst relaxen. Ich gehe jetzt zurück in die Folterkammer.«<br />

»Wie bitte?«<br />

»Ich geh ins Hotelzimmer.«

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