HOLLY-JANE RAHLENS
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Ich sah über die Schulter meiner Mutter, konnte aber nicht erkennen, ob sie an Ulf<br />
Krauss schrieb oder nicht. Der Zug fuhr langsam. Wir waren kurz vor Wolfsburg. Ich<br />
zog mein Handy raus und sah auf das Display: keine Nachricht. Aber jemand hatte<br />
angerufen, ohne etwas auf die Mailbox zu sprechen. Ich guckte bei den entgangenen<br />
Anrufen nach. Meine Mutter spürte wohl meine Aufregung und drehte sich zu mir um.<br />
Zu meiner großen Enttäuschung stammte der Anruf nicht von Philipp, sondern von<br />
Fritzi. Was wollte die denn? Bei ihrem letzten Anruf, und das war eine Ewigkeit her,<br />
hatte ich gesagt, dass ich keine Zeit hätte und sie zurückrufen würde. Hatte ich zwar<br />
nie getan, aber manche Leute geben eben nie auf.<br />
»Wer war’s?«, fragte meine Mutter.<br />
»Weiß nicht. Wahrscheinlich hat sich jemand verwählt«, sagte ich.<br />
Wir fuhren nun am Gebäudekomplex der Autostadt vorbei. Wolfsburg. Heimat<br />
von Volkswagen. Das war immer mein liebster Teil der Reise von Berlin zu Oma Ulli<br />
gewesen. Ich mochte, wie das blanke, klare Glas und der silberne Stahl der Pavillons<br />
in der Sonne glitzerten, mochte die roten Ziegel der alten Fabrikgebäude, die grüne<br />
Hügellandschaft. Das erinnerte mich immer an die Miniaturstädte, die mein Vater und<br />
ich aus den Platinen und Elektrochips bauten, die wir in seinem Tonstudio „Botown“<br />
fanden.<br />
Eines Tages, ich war ungefähr acht, entdeckte ich in Botown ein kaputtes<br />
Faxgerät, das mein Vater auseinander genommen hatte. Verheißungsvoll glitzernd<br />
lag die Platine vor mir. Ich nahm sie in die Hand. Sie sah aus wie eine Stadt aus der<br />
Vogelperspektive. Wie Los Angeles, wenn man von den Hollywood Hills oder von<br />
einem Hochhaus darauf schaut.<br />
Danach begann ich ausrangierte Geräte auseinander zu nehmen. Dabei bekam<br />
ich leider kaum was über Elektronik mit – was mein Vater gern gehabt hätte –, wurde<br />
dafür aber sehr geschickt mit Werkzeugen. Ich bestaunte die Kabel im Innern der<br />
Maschinen und verflocht sie zu Spaghettischnüren in Knallorange, Bonbonrosa,<br />
Ozeanblau und Sonnengelb. Die seltsamen Strukturen und Pfade auf den Platten,<br />
die Schaltpläne, konnten mich stundenlang fesseln. Für Ingenieure und Elektriker<br />
sind diese Muster wie ein technischer Straßenplan, für mich waren es Wanderwege,<br />
Teiche, Flüsse. Manchmal kratzte ich in die Platinen Straßennamen, wie ich sie aus<br />
den Vororten Südkaliforniens kannte, wo mein Vater aufgewachsen war: Voltage<br />
Valley, Battery Bend, Oscillator Alley, LED Lane.